
Vor langer langer Zeit, als in Deutschland Weihnachten noch weiß und Ostern noch grün war, träumte ein kleines Mädchen von ihrem perfekten Leben. Also, von diversen Möglichkeiten eines perfekten Lebens, welches jetzt genau das eine war – egal. Aber alle hatten eins gemeinsam: Pferde. Und zwar mindestens zwanzig. Der Pferdebestand auf dem Palo Alto Polo Club beträgt exakt 24 Tiere. 20 Jahre hat es gedauert, aber jetzt ist der Traum endlich wahr geworden.
Ich vergesse alles um mich herum. Raum, Zeit, Vergangenheit, Zukunft, es verschwindet alles. Mein ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen ist wie ein altes Buch, das vergessen und verwittert ganz hinten in einem Regal steht. Mich kümmert nicht, was die Zukunft bringt. Es ist als hätte ich ein Paralleluniversum betreten, die mich vom Rest der Welt abschneidet. Es gibt nur das hier und jetzt. Woche um Woche verlängere ich meinen Aufenthalt, zu schön ist, endlich sorgenfrei zu sein und in einem Kindheitstraum zu leben. Wofür hab ich all die Jahre geschuftet, gelitten, immer höher gestrebt… wo es doch so einfach ist, glücklich zu sein… Oder?
Tja oder? Die Illusion lässt mich vergessen, dass ich nur den schönen Teil genieße, ohne die Last der Verantwortung oder die Sorge des Geldes zu tragen. Als Freiwillige muss ich keine Miete zahlen, das wenige Geld, das ich für Essen brauche, fällt kaum ins Gewicht… das Leben ist sorgenfrei. Aber das ist ein Status auf Zeit. Deshalb genieße ich’s umso mehr.
Der Deal ist folgender: Ich arbeite vier Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Den Rest kann ich tun und lassen, was ich will. Die anderen Freiwilligen verlassen die Farm ein bis zwei Tage nach meiner Ankunft. Da ich sonst alleine auf der Mädelsfarm wäre, überlässt Leo mir das Zimmer in Albas Haus, das eigentlich das Zimmer der Putzfrau ist. Die ist im Moment aber nicht da und es ist ungewiss, ob sie je zurückkommt. Mein erstes Upgrade zum VIP-Volunteer. Es sollte nicht das einzige sein.
Alba und ich verstehen uns fabelhaft. Und reden nahezu ausschließlich auf Spanisch. Sie nimmt sich die Zeit und die Geduld mit mir zu üben und alle meine falschen Ausdrücke zu korrigieren… die manchmal sehr lustig sind. Sie selbst hat bis vor einem Jahr das Reiseleben geführt, das ich führe… und hat super viele spannende Geschichten zu erzählen. Wir verbringen viel Zeit zusammen, machen Ausflüge, spazieren, sehen uns den Sonnenuntergang an. Aber das Zusammenleben funktioniert deshalb so gut, weil wir auch ein gutes Gespür dafür haben, wann die andere ihre Zeit für sich braucht. Schon allein ihretwegen wird es schwer, die Farm wieder zu verlassen. Ich habe in ihr einen ganz besonderen Menschen und eine gute Freundin gefunden.
Die Arbeit mit Leo ist… wie soll ich es sagen… großartig. Was ich am meisten schätze ist, dass er mir viel Freiheit und mich Sachen ausprobieren lässt. Er zeigt mir, wie es geht und hält mir dann das Werkzeug hin, ohne Sorge, dass ich etwas kaputt oder falsch mache. So lerne ich in kürzester Zeit die verschiedensten Dinge: Rasentraktor fahren, Quad fahren, Hecken schneiden mit dem Trimmer, Schafe scheren, den Umgang mit Pferden, Pferde richtig einfangen, Pferden Spritzen verabreichen und so weiter und so fort. Wir verstehen uns super und ich verbringe gerne Zeit mit ihm. Wir fahren auch öfter mal in die Stadt, um diverse Dinge einzukaufen, Eis zu essen oder einfach, weil er mit seinem Oldtimer Mercedes – Baujahr 1972 – angeben will. Und natürlich mit der blonden Begleitung (die ganze Geschichte steht in der Extended Edition).
Ich verbringe so viel Zeit mit den Pferden wie möglich. Leider enden meine Reitversuche meistens kläglich und nach dem zweiten Sturz, gebe ich es auf. Ich weiß, soll man eigentlich nicht, aber ich will hier während dieser Reise im Ausland keine größeren Verletzungen riskieren. Außerdem kuschle viel lieber mit den Tieren, als mich draufzusetzen. Der Großteil der Pferde steht in einem Paddock, aber es laufen insgesamt sechs Tiere frei auf dem Gelände herum. Das ist „die Familie“, die schwangeren Stuten, zwei kranke Tiere und zwei Fohlen.
Und sonst so? Ganz schön viel Zeit, die noch übrig bleibt. Meistens sitze ich einfach irgendwo, starre in die schöne Landschaft und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Ich verbringe wieder Zeit mit Lesen. Stundenlang. Was für ein schönes Hobby, das ich berufsbedingt die letzten Jahre hab schleifen lassen. Ich schreibe mit, was mir hier jeden Tag so passiert… und plötzlich packt mich die Inspiration und ich schaffe einige Seiten an meinem Schreibprojekt. Hier hab ich ja auch alles, was ich dazu brauche: Raum, Zeit, Ruhe, Natur. Nachmittags erschlägt mich die Hitze und ich schlafe oft nochmal zwei Stunden. Pünktlich um 19 Uhr finde ich mich dann an meinem Lieblingsplatz, einer Holzbank bei den Ställen ein, kurz bevor die große Show beginnt. Der Sonnenuntergang ist jeden Tag ein Spektakel, das mich immer wieder mitreißt. Manchmal kommen Alba oder Leo oder beide dazu, sie wissen schon, dass sie mich um die Zeit dort finden.
Es ist schon komisch: Ich stehe bei großer Hitze auf offenem Feld und schaufle Pferdemist in eine Schubkarre… und trotzdem hab ich die ganze Zeit ein Lächeln auf dem Gesicht und fühle mich 10-Mal so glücklich, als vor ein paar Monaten in München mit einem gutbezahlten Job in einem bequemen Büro. Schätze das ist ein ziemlich eindeutiger Hinweis, was die Frage um meine Zukunft betrifft.
Die letzten beiden Wochen ändert sich meine Freiwilligenarbeit vom Farmaufenthalt zum Housesitting. Leo fliegt für zwei Wochen zum Carneval nach Rio und freut sich, dass ich noch bleibe und ein Auge auf alles habe. Und ich mich erst. In dieser Zeit kann ich das Haupthaus nutzen, wie ich will: Die Außenlounge wird zu meinem Lieblingsplatz. Ich kann den Pool nutzen, den Fernseher und natürlich die Gitarre, was ich auch Abend für Abend tue. Täglich überprüfe ich die Pferde auf Verletzungen und bin da, falls Ezekiel zum Füttern und Schafe heimtreiben ausfällt. Ich kümmere mich um den Park und um die Pflanzen, kann mir aber meine Zeit einteilen, wie ich will. Chefin halt ;-).








Die Zeit vergeht dennoch wie im Flug. Die Entscheidung nach Leos Rückkehr zu gehen, fällt mir alles andere als leicht. Mein Herz fleht mich an zu bleiben, aber der Kopf weiß, dass die Reise weitergehen muss, sonst schlage ich hier Wurzeln. Ich genieße die letzten Tage also noch so gut es geht. Und dann wird es Zeit für den Abschied. Leo kommt zurück und am nächsten Morgen verabschiede ich mich mit vielen Umarmungen von diesem wunderschönen Ort.
Im Hostel in Buenos Aires angekommen, habe ich das Zimmer noch für mich allein, was gut ist. Ich setze mich aufs Bett und weine los. Es ist, als hätte ich mich meine Heimat ein zweites Mal hinter mir gelassen. Keine fünf Minuten in der Stadt vermisse ich alles dort schrecklich und würde am liebsten sofort zurückfahren. Aber tief drin weiß ich, dass mir die Fortsetzung meiner Reise wichtiger ist und dass ich nicht ewig in der Paradies-Blase bleiben kann. Und ich bin sicher, dass es nach ein paar Tagen Abstand einfacher wird, glücklich und dankbar auf die Erfahrung zurückzuschauen anstatt traurig, dass sie jetzt vorbei ist.
Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich Leo und Alba bin, für alles, was sie für mich getan haben, für alles was ich lernen durfte und für die wunderschöne gemeinsame Zeit, die ich immer im Herzen tragen werde.


Und für alle die neugierig geworden sind, wie es da so ist: Der Palo Alto Polo Club ist Hotel! Bucht euren nächsten Urlaub einfach dorthin und lasst euch reiten/ Polo spielen beibringen. Vergesst nur nicht, Leo liebe Grüße von mir auszurichten!! Nein, das bringt euch keine Vergünstigungen 😉
Für mich heißt es jetzt wieder: Nach vorne schauen. Auf neue Abenteuer, neue Erlebnisse. Wer weiß, was die Zukunft noch bringt.
Liebste Grüße
Jane, the farmer and the vet
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