Hallo liebe Mitleser/innen und herzlichen Glückwunsch, dass Sie sich für die ganze Geschichte entschieden haben. Es wird abenteuerlich, emotional und verdammt eklig, aber es lohnt sich.
Am nächsten Morgen sind wir um acht beim Clubhaus der Farm verabredet. Die Mädels mit Kopftüchern, ich mit Hut warten wir ein bisschen wie die Hühner auf den Hahn… naja, es ist was es ist. Natürlich hat Leo gleich am Anfang eine ganz tolle Aufgabe für uns: Der Zaun des Polofelds muss eingeölt werden, die Sonne macht das Holz spröde.
Hm… mir war ja klar, dass ich hier nicht nur Pferde streichle, aber gleich sowas? Jede von uns bekommt einen Kannister mit Öl (nein, kein Olivenöl, sondern das aus dem Fass für Traktoren, Autos und so) einen alten, auseinanderfallenden Schwamm, einen Eimer und ein zerrissenes Tuch zum Hände abtrocknen. Und dann ab in die Sonne mit euch. Wir ergeben uns unserem Schicksal, je schneller wir sind, desto weniger direkte Sonneneinstrahlung nehmen wir mit. Objektiv betrachtet hätte ich in Leos Situation uns mit genau so einer Aufgabe betraut. Wir sind vier, der Zaun endlos lang, eine Person alleine braucht Tage für diese Arbeit… und es die Art von Arbeit, die man freiwilligen pferdeverrückten Mädchen gibt, weil das sonst echt niemand machen will. Ich würde es nicht anders machen. Subjektiv aus meiner Perspektive betrachtet, ist die Sache etwas anders. Aber eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Nachdem man sich von seinen Händen und Fingernägeln verabschiedet hat und die einzige Mission ist, die Kleidung halbwegs fleckenfrei zu halten, ist die Arbeit sogar ziemlich meditativ. Die Hände voll mit schwarztriefendem Öl arbeiten wir was das Zeug hält, vor allem Maddie legt ein ordentliches Tempo vor. Mein Hut erweist sich als eine großartige Investition. Er schützt mich großflächig vor der beißenden Sonne und durch die gröberen Löcher zieht der Wind angenehm durch. Absolut perfekt für diese Arbeit. Ich überlasse mich meinen Gedanken und arbeite vor mich hin.
Wir schaffen tatsächlich den kompletten Zaun. Leo ist total begeistert und freut sich richtig. Dafür fordern die drei Mädels, dass er uns allen heute Nachmittag Polo spielen beibringt. Er sagt zu und wir verabreden uns für 16 Uhr. Mittagessen, Siesta, dann ist es so weit.
Ich hab bereits erklärt, dass ich nicht reiten kann. Ich liebe Pferde, ich saß ein paar Mal drauf, ist Jahre her, ich würd’s gerne probieren, aber ich kann es nicht. Maddie und Daisy sind auch Anfängerinnen, Lizzie reitet schon länger und winkt ab, kein Problem, kriegen wir hin. Auch Leo meint, das passt schon, einfach probieren. Na gut. Für mich ist es schon schön, einfach in der Nähe von Pferden zu sein, auch wenn ich am Ende nicht mitspiele.
Wir gehen mit Halftern bewaffnet auf die Weide, Leo weist uns allen ein Pferd zu. Ich fange einen hübschen großen Falben (gelb-beiges Fell, schwarze Mähne und Schweif) mit dem schönen Namen „Louis Vitton“. Wahrscheinlich der einzige Louis Vitton, den ich mir jemals kaufen würde. Ich bin ein bisschen nervös. Pferde, so gern ich sie mag, sind einfach verdammt groß, wenn man direkt davor steht und ich habe schon ein bisschen Respekt. Ich rufe mir in Erinnerung, dass Pferde spüren, wenn man Angst hat und versuche mich zu entspannen. Leo kommt zu mir, schnappt sich mein Bein und auf drei schwinge ich mich auf Louis Vittons Rücken. Oh, wie schööön und… wie schmerzhaft!! Nackte Pferderücken sind nicht dafür geschaffen, um darauf zu sitzen. Die Erfindung des Sattels hatte einen Grund. Ich rutsche ein bisschen hin und her, bis es halbwegs bequem ist, dann reiten wir von der Koppel. Ich habe null Kontrolle aber das Pferd weiß genau, wohin es muss und bleibt dann auch dort stehen, wo man es anbinden soll.
Wir striegeln sie, bekommen einen dicke Decke mit Gurt als Sattel, die Trense (das Lenkrad) ist ein normales. Ich rufe mir sämtliche Infos aus Kindertagen wieder vor Augen, der Hof neben dem meines Papas war ein Pferdehof und manchmal durfte ich mitreiten. Das ist alles, was ich an Erfahrung habe. Ich schaffe fast alles alleine, sogar die Trense aufzuzäumen, obwohl Louis Vitton anfangs ordentlich die Zähne zusammenbeißt. Dann hebt Leo uns wieder hoch und drückt uns den Polo-Stab in die Hand (weiß nicht wie der richtig heißt). Damals wusste ich es nicht, jetzt weiß ich’s, es heißt Mallet.
Ich fasse zusammen: Ich sitze zum ersten Mal (mit einer unbedeutenden Ausnahme) seit 15 Jahren wieder auf einem Pferd, einem großen, ohne richtigen Sattel, keine Ahnung wie man sitzt, lenkt oder reitet, habe nur eine Hand zum reiten, in der anderen muss ich mit einem langen Stab versuchen einen Ball am Boden in eine bestimmte Richtung zu befördern.
Welcher Vollarsch hat nochmal Multitasking erfunden?
Der Witz ist: Es klappt. Leo wirft den Ball und wie aus einer magischen Superkraft heraus spiele ich Polo. Auf einem Pferd! Sehr sehr sehr schlechtes Polo, aber wir spielen! Das Gefühl ist unbeschreiblich.
Ehrlicherweise versuche ich mich meistens nur oben zu halten und festzuklammern, den Löwenanteil macht Louis Vitton. Er spürt, wohin er laufen muss und versteht sämtliche stupide Hilfen, die ich ihm gebe. Nach einer Weile habe ich ungefähr raus, wie ich lenken muss, damit er versteht, wohin er muss. Ich trabe (aua, das tut richtig weh), galoppiere, treffe den Ball manchmal, blockiere die Gegner… habe richtig Ehrgeiz zu gewinnen. Es macht unglaublich viel Spaß und Freude auf einem Pferd Ball zu spielen. Lizzie ist richtig gut, genauso wie ein Mädel aus er gegnerischen Mannschaft, eine Bekannte von Leo, die auch mitspielt. Meistens hetzen wir anderen den beiden nur hinter her, aber das reicht auch völlig aus. Leo selbst guckt lachend zu… für einen Profi muss das alles ziemlich peinlich aussehen, ist aber sicher unterhaltsam. Viel zu früh satteln wir wieder ab, obwohl wir eigentlich allesamt völlig kaputt sind. Was für eine großartige Erfahrung. Außerdem bin ich total verliebt in Louis Vitton! Beruht aber wahrscheinlich nicht auf Gegenseitigkeit, ich bin die schwerste und unfähigste von uns allen, er ist sicher froh, mich los zu sein. Ich streichle und knuddle ihn viel, glaube nicht, dass es das besser macht.
Wir bringen die Pferde zurück und gehen selig unserer Wege um zu duschen und danach wieder gemeinsam mit den Mädels zu essen. Letztes Mal haben die Latinas gekocht, heute kochen die Britinnen… leider zum Abschied, es ist schon ihr letzter Abend. Auch die Latinas verlassen einen Tag später das Haus, weshalb ich vorerst bei Alba bleiben darf, sonst müsste ich alleine auf die Mädelsfarm ziehen.
Trotzdem für alle, die das hier lesen und sich denken „ICH WILL AUCH“: Ich bin hier draußen echt im Nirgendwo. Es gibt kaum Internet, höchstens genug für eine Whatsapp Nachricht, die Moskitos beißen einen zu Tode, wenn man nicht ständig eingesprüht ist, die Sonne sticht wie verrückt. Ich schmiere mich morgens erst mit Sonnencreme, dann mit Mückenspray/creme ein, dasselbe nochmal am Nachmittag. Die Zimmer, vor allem Badezimmer sind für mich okay, aber alles andere als europäischer Standard. Nicht zu verwechseln mit den Gästezimmern/-bädern, die sind für Touristen ausgelegt. Aber für die (Gast)-arbeiter sind Frösche, Käfer, Ameisen, viel Rost und alte Armaturen hier guter Standard: Der schlechte ist die kaputte Dusche und die Schlange im Bad. Das klingt jetzt wieder zu heftig, es ist trotzdem alles sehr sauber und gut benutzbar, sobald man die Dusche gezähmt hat (aus dem nichts kommt ein hoher Wasserdruck, die Regulatoren klemmen oft). Und nach dem ersten Eindruck habe ich mich auch schnell an alles gewöhnt.
Nochmal ganz klar: Die Leute leben hier nicht schlecht oder in Armut oder im Dreck: Es ist schlichtweg kein europäischer Standard und für Leute, die das gewöhnt sind, ist die Umstellung ein Schock.
Ich habe außerdem das Privileg bei Alba zu wohnen, da ist es schon viel besser und mein Zimmer ist das der Putzfrau, die gerade nicht da ist, wirklich schön und groß. Trotzdem kein europäischer Standard! Bedenkt, ich lebe seit einem Monat in Hostels. In billigen!
Okay, Exkurs vorbei, wo war ich? Ach ja, ICH LIEBE ES HIER!!!! Der letzte Abend mit den Mädels ist auch ganz schön. Da mein Spanisch besser ist als Romis Englisch werde ich schnell als Übersetzerin zwischen Briten und Latinas eingesetzt, was manchmal eine kleine Herausforderung ist, aber doch größtenteils gut funktioniert. Der Abend geht trotzdem bald zu Ende, weil wir alle ziemlich fertig vom Polo sind. Die Latinas bestehen darauf, mich den Weg zurück zu Alba zu begleiten, total nett. Schade, dass ich nicht so viel Zeit mit ihnen hatte. Aber ich freue mich trotzdem sehr, das alles hier fast für mich allein zu haben.
Am nächsten Morgen verabschieden sich die drei Engländerinnen und ich starte meinen Arbeitstag mit Leo allein. Die erste Aufgabe ist immer die Raubtierfütterung. Außerhalb der Koppel stehen einige Ballen Silage, davon verteilen wir ein gutes Stück an die Pferde. Im Moment gibt es einige kranke Tiere, eines davon ist eines der beiden Fohlen. Die erste Herausforderung ist immer das Tier zu fangen, gerade bei den scheuen Fohlen. Leo wirft sein Lasso einige Male, bis wir es endlich haben, während ich die Mutter fest- und ruhighalte. Eine kleine Spritze in den Popo und dann ist der Spuk vorbei… zumindest für das Fohlen.
An dieser Stelle eine kleine Warnung, liebe Mitleser*innen: Was ich in den nächsten Zeilen schreibe ist zwar wahnsinnig interessant und lehrreich, aber auch verdammt eklig. Ich rate denen von euch, die gerade beim essen sind oder vielleicht einfach nicht das kleinste Detail von kranken Pferden wissen wollen, den ein oder anderen Absatz zu überspringen. Den folgenden zum Beispiel, danach könnt ihr wieder problemlos einsetzen.
Das zweite Tier das wir heute behandeln müssen hat es besonders fies erwischt. Hat sich vor ein paar Wochen beim Polo spielen das Hinterbein gebrochen. Anders als meistens in Europa werden die Pferde hier nicht sofort getötet, sondern man lässt sie einfach außerhalb der Koppel laufen… und ein paar Monate später wird der Knochen verheilt sein. Nicht in allen Fällen, aber in den meisten. Leider ist das noch nicht alles. Sicher, dass ihr weiterlesen wollt? Letzte Chance! Da es an dieser Stelle besonders einfach ist – weil Weichteile – haben sich im Penis des Pferdes Maden eingenistet, die sich immer tiefer ins Fleisch hineinfressen. ICH HAB EUCH GESAGT, ES WIRD EKLIG!!! Aber so ist es nun mal, das gehört zum Leben auch dazu. Augen zu und durch. Während ich das Pferd festhalte, geht Leo an die Arbeit. Das Tier wird sediert, sobald es ruhig ist, greift er sich den Penis und zieht mit einer langen Pinzette die Maden raus. Komischerweise finden wir heute kaum welche. Am Ende noch alles desinfizieren, dann sind wir fertig. In der Hoffnung, dass alle Maden draußen sind, sonst wiederholt sich das Spiel endlose Male. Okay, ihr habt’s geschafft. Also die erste Runde.
Ab hier wieder alles normal. Nachdem alle versorgt sind muss ich für den Rest des Tages wieder Zäune ölen. Aber mittlerweile hab ich es ganz gut raus, mich nicht komplett einzusauen und im Schatten ist es fast meditativ.
Um 12 Uhr ist der Arbeitstag für mich vorbei. Ich esse zu Mittag und lege mich dann für eine kurze Pause hin… Zwei Stunden Tiefschlaf später wache ich wieder auf. Ich arbeite halt nicht mehr im Büro, mein Körper ist einfach müde. Für den Nachmittag hab ich mir vorgenommen, das arme Pferd mit dem gebrochenen Bein einmal von oben bis unten zu striegeln, er sieht nämlich ziemlich schmutzig aus. Leider mache ich es nur schlimmer. Es ist sehr heiß an dem Tag, er schwitzt und wird beim Striegeln richtig schaumig. Aber genießen tut er es trotzdem. Irgendwann gebe ich auf und beschließe, es an einem anderen Tag nochmal zu versuchen. Danach setze ich mich auf eine Bank vorm Clubhaus, eine Art Aufenthaltsraum mit Sofas und einer Getränkebar für die Polospieler. Dort sitze ich einfach nur, schaue den Pferden beim Grasen zu und versuche, ein bisschen zu schreiben. Leo kommt mit dem Auto vorbei und fragt, ob ich Lust auf ein Eis in der Stadt habe. Immer. Ich steige ein und wir fahren los.
Während der Fahrt erzählt er mir ein bisschen etwas über Argentinien und die Geschichte der Gauchos. Vor der Kolonisation Lateinamerikas gab es keine Pferde auf diesem Kontinent. Heute unvorstellbar. Aber die ersten Tiere kamen mit den Europäern, einige hauten ab, verwilderten, erst dann begannen die ersten Eingeborenen die Pferde zu zähmen, auf ihre ganz eigene Art, in dem sie eine Beziehung zu dem Tier aufbauten. Wir googlen die genaue Bedeutung des Wortes „gaucho“, es heißt so etwas wie „Wanderer“. Die Gauchos sind die Nachkommen von Europäern und Eingeborenen, meistens unfreiwilliger Natur durch Vergewaltigung und Zwang. Sie waren nicht europäisch weiß, aber sie gehörten auch nicht mehr zu den Eingeborenen. Verachtet von beiden Seiten bildeten die Gauchos ihre eigene Gesellschaft, damals noch eher Kriminelle, als Farmer, aber sie lernten die Art zu reiten und zu farmen von den Eingeborenen (als niedrig-gestellte Arbeiter). Nach der Zeit, als die Europäer die indigene Bevölkerung so gut wie ausgelöscht hatte, waren die Gauchos die einzigen, die noch wussten, wie man das Land bestellte und etablierten sich so zu dem, was sie heute sind. Interessant oder?
Unterwegs treffen wir auf eine der Latinas, die im Haus gewohnt hat und den ganzen Weg zum Dorf mit ihren Rucksäcken zu Fuß gegangen ist… leider hat sie niemand mit dem Traktor abgeholt. Ich bin so ein Glückspilz. Dafür nehmen wir sie jetzt mit nach Las Heras, dann spart sie sich die Busfahrt. Argentinien allgemein, aber Las Heras insbesondere ist eine sehr weiße Stadt, hautfarben-technisch. Wie amerikanische Städte und/oder Buenos Aires ist die Stadt gitterartig aufgebaut. Erinnert mich sehr an die Zeit in den USA. Die meisten Leute sind hier entweder mit dem Fahrrad unterwegs oder mit Motorrädern. Und zwar in allen Konstellationen, zu zweit, zu dritt, mit Kindern oder dem Wocheneinkauf. Ansonsten ist es wirklich europäisch/US-Amerikanisch hier. Wir setzen uns draußen an einen Tisch und lassen uns in der schönen Abendstimmung das Eis schmecken. Leo meint, so kann er angeben, dass er mit einer blonden, weißen Frau unterwegs ist. Ich verdrehe mal wieder die Augen, aber es stimmt leider, wie ich am eignen Leib erfahren habe, ich bin für die Südamerikaner wie ein Einhorn mit Glitzermähne. Heute ist es aber nicht so schlimm. Wir verabschieden uns von Lucy und treten dann auch wieder den Rückweg an. Schöner Ausflug. Auf der Fahrt zurück erinnere ich mich an meine Fahrt mit dem Traktor und erkläre Leo, dass es in Deutschland ein passendes Lied zu dieser Situation gibt. Natürlich muss ich es dann auch singen… dabei fällt mir auf, dass ich es nicht mal komplett singen kann (Kann jemand von euch den kompletten Refrain?). Er findet’s trotzdem lustig. Mit Leo verstehe ich mich super. Er hat schon viel von der Welt gesehen, hat sich viel von dem, was er kann und über Pferde weiß, selbst beigebracht und lebt jetzt seinen Traum. Ich merke, dass ich sehr viel von ihm lernen kann und diese Gelegenheit will ich unbedingt nutzen.
Die Farm hat er übrigens „gemietet“. Das komplette Areal mit sämtlichen Kühen gehört einem reichen Österreicher, der hier nebenbei Geld mit den Rindern verdienen will. Die Polofarm, sowie eine kleine Schafherde sind Leos Geschäft. In den Sommermonaten empfängt er hier Gäste, bringt ihnen Polo bei oder veranstaltet Spiele. Im Winter lässt er die Pferde frei herumlaufen, er selbst reist dann nach Europa oder in die USA, um dort Polo zu trainieren, Pferde auszubilden, etc. Ich bin ein bisschen neidisch… das Leben hätte ich auch gerne.
Am Abend kommt Romi mit ihrem Maté-Set zu unserem Haus und wir drei Mädels verbringen einen Maté-Abend. Romi ist die die einzige der Latinas, die noch da ist, sie verlässt die Farm am nächsten Morgen. Ab dann sind es nur noch Leo, Alba und ich. Ich freu mich wahnsinnig auf die Zeit und plane jetzt schon, noch eine Woche länger zu bleiben.
Der nächste Tag verläuft wieder genauso. Pferde füttern, Antibiotikum für das Fohlen und check für Pferd mit dem gebrochenen Bein. Jetzt wird es wieder wirklich eklig, für die die nicht wollen, bitte den nächsten Absatz überspringen.
Leo hatte gehofft, dass die Wunden heute schon fast verheilt sind. An dieser Stelle geht das schnell, da das Gewebe weich und feucht ist. Leider tropft immer noch Blut aus der Wunde. Wir haben also nicht alle Maden erwischt. Wir sedieren das Pferd wieder. Wenn ich so zusehe, wie sich das Tier mehr und mehr entspannt, habe ich ein bisschen Angst, dass es umfällt. Dem ist aber nicht so. Leo sucht erneut, doch wir sehen beide nichts… bis wir weiter oben am Genital nachsehen und fündig werden: Ein Loch fast drei mal vier Zentimeter groß aus dem die Maden nur so hervorquellen. Ich erschrecke mich fast ein bisschen, das ist richtig widerlich. Auch Leo meint, so schlimm hat er es bis jetzt noch nicht gesehen. Das arme Pferd, das seit Tagen damit rumläuft. Leo entfernt die Bündel an sich windenden Maden und wir gehen sicher, das keine einzige im Fleisch des Pferdes bleibt. Wunde desinfizieren, dann ist der Spuk vorbei. Hoffen wir, dass es am nächsten Tag besser ist. Auch ein anderes Tier ist befallen, aber an der Schulter. Bei der jungen Stute ist die Herausforderung für mich etwas größer, sie ruhig zu halten. Mit einem gebrochenen Bein zappelt ein Pferd nicht wirklich, aber ihr gefällt es gar nicht, was wir machen. Heute geben wir ihr nur eine Spritze, am nächsten Tag wird auch sie entmadet.
Ab hier könnt ihr wieder unbesorgt lesen. Während wir zusammenarbeiten stelle ich Leo tausende Fragen, beobachte ihn genau bei dem was er tut und lerne schnell. Was für ein Glück, dass ich als momentan einzige Freiwillige zu seiner rechten Hand werden kann und definitiv eine ganz besondere Erfahrung hier machen kann. Den Rest des Vormittags sollte ich eigentlich die Hecke trimmen. Hätte ich auch gerne, wenn das Gerät nicht den Geist aufgegeben hätte. So heißt es nochmal Zäune ölen. Es wird aber das letzte Mal sein: Als ich nämlich für heute Schluss mache, gibt es kein Öl mehr. YES!
Am Nachmittag zerlegt es mich wieder für fast zwei Stunden, wahrscheinlich mittlerweile mehr aus Gewohnheit denn aus Anstrengung. Ab frühen Abend lädt mich Alba ein, einen Spaziergang mit ihr zu machen und anschließend wieder Maté zu trinken. Ich sage gerne zu. Wir unterhalten uns viel, meistens auf Spanisch, sie animiert mich richtig zum lernen. Ich gebe mein bestes, bin aber immer noch weit von dem Niveau entfernt, das ich mal hatte. Alba ist ein richtiger Schatz. Ich verbringe super gerne Zeit mit ihr und sie ist ein unglaublich beeindruckender Mensch. Sie kommt ursprünglich aus Spanien und ist sehr viel alleine durch Südamerika gereist, finanziert durch Arbeit wie die meine jetzt und immer in die kleinsten, abgelegensten Dörfer. Sie erzählt mir viel über die Sitten hier, vor allem, wenn man als Europäer*in herkommt. Ich spüre ganz deutlich, dass hier richtig enges Freundschaftsmaterial besteht, weil wir auch richtig zusammen lachen können. Meistens, weil ich auf Spanisch etwas komplett falsches sage. Nachdem Spaziergang setzen wir uns auf eine kleine Brücke, packen Maté und Snacks aus und beobachten den Sonnenuntergang. Alba erklärt mir, was sie gelernt hat: Den ersten Becher trinkt immer der „Gastgeber“. Man bedankt sich nicht, wenn einem jemand den Becher reicht oder zurückgibt, Mate wird einfach geteilt, das ist so, kein Danke nötig. Wenn man „Danke“ sagt, heißt das „Nein, danke, für mich nicht mehr“. Außerdem gibt man den Becher immer in die Hand des „Gastgebers“ zurück und stellt ihn nicht einfach auf den Tisch. Puh, ganz schön kompliziert, diese Regeln. Aber gemeinsam Maté trinken hat einfach was. Irgendwie würde ich die Tradition gerne mitnehmen.
Am nächsten Tag schickt Leo mich mit Ezekiel los, um die Pferde zu füttern. Der braucht mich dafür gar nicht wirklich, aber während er füttert, sehe ich mir unsere Patienten nochmal an. Bei zweien eine Verbesserung, aber ich sehe, dass ein neuer Fall dazugekommen ist. Dass ich das nach so kurzer Zeit schon erkennen kann, macht mich ein bisschen stolz. Ich gehe zu Leo und erstatte medizinischen Bericht. Er sitzt mit einem der Nachbarn draußen am Tisch und bittet mich für einen Moment dazu.
Eine der ersten Dinge, die der Nachbar (Alejandro) mich fragt, ist, ob ich einen Freund habe. Klar. Das ist ja das einzig Interessante, was es an einer Frau zu wissen gibt. Ich mache deutlich, dass ich lieber unabhängig bin und das auf unbestimmte Zeit auch gerne bleibe. Ich verfolge meine Ziele, meine Ideen, passe mich ungern anderen an… einem Mann schon gar nicht. Leo nickt, er ist da ganz genauso, er macht einfach sein Ding. Nur ist er ein Mann, da ist das normal. Alejandro ist ein bisschen überrascht von mir, fragt mich dann nach meinem Alter. Als ich es ihm sage, meint er „Na, dann hast du ja noch Zeit“ (dir einen zu suchen)… ich gebe auch, ich hab’s versucht. Auch als die beiden weiter auf Spanisch sprechen, fange ich einige Brocken über Frauen auf, die mir nicht gefallen. Aber mir wird hier kein Durchbruch gelingen, schon gar nicht auf Spanisch. Also höre ich nicht weiter zu, bis Leo und ich wieder zu den Pferden gehen. Ich hatte Recht mit dem neuen Patienten. Er hat dieselbe eklige Sache, wie das andere Pferd. Wir gehen wieder an die Arbeit und Leo fällt noch ein weiteres Pferd auf, das nicht wirklich zu fressen scheint. Er vermutet eine beginnende Kolik und wir verabreichen ihm ein magenberuhigendes Mittel. Dann lassen wir ihn ebenfalls raus aus der Koppel, damit er sich ungestört erholen kann. Es ist so interessant, mit welcher Krankheit man wie umgehen muss. Ich lerne super viel dazu.
Ist es euch zu pferdelastig? Verständlich, leider lebe ich hier gerade den Traum meiner Kindheit und finde alles superinteressant und toll. Nach den Pferden ist Gartenarbeit angesagt. Ich reche den Dreck unter den Büschen hervor und kämme Sträucher zurecht bis 12 Uhr, dann war’s das wieder für mich. Super, diese vier Stunden Arbeitszeit. Und ich liebe es draußen zu arbeiten. Endlich habe ich das Gefühl, mir mein Mittagessen richtig verdient zu haben. Den Nachmittag sitze ich vorm PC und schreibe. Vor mir grast die kleine Herde mit den drei Stuten und den zwei Fohlen. Es ist super idyllisch, wie im Märchenland.
Hier draußen gibt es keine Uhrzeit, nur Tag und Nacht. Keinen Stress, kein Muss, kein Unruhe. Mein Handy liegt nur nutzlos herum, höchstens mal für ein paar Fotos und als Wecker, hole ich es raus. Ich bin weit weg von der Welt, von Krisen und Sorgen, im Wunderland meiner Kindheit. Hätte man mir das vor einem halben Jahr gesagt… ich hätte es nie geglaubt, plötzlich in meinem Traumleben zu sein. Zumindest als Besucherin.
So vergeht ein Tag nach dem anderen. Eines Abends bin ich dabei die Schafe zurückzutreiben. Eigentlich macht aber Ezekiel alles allein, genauer gesagt die Schafe. Er pfeift laut und schon hüpfen sie ganz von selbst den langen Weg zurück bis in ihren Stall. Wir müssen nur noch die Tür schließen und fertig.
Eines Nachmittags nimmt mich Alba mit ihrem Auto mit ins Dorf und wir essen ein Eis. Das Auto ist ein Abenteuer für sich, es ist ein Wunder, dass es beim Fahren nicht in alle Einzelteile zerfällt. Wenn man die Tür zu wirft fällt die Kurbel fürs Fenster raus, anspringen tut’s erst beim fünften Mal und auch sonst ist alles ziemlich alt und improvisiert. Ich find’s toll. SUV fahren kann ja jeder, das hier macht erst richtig Spaß! Wir lassen uns das Eis schmecken, kaufen noch ein paar Sachen ein und halten dann kurz bei einer lokalen Näherin, von der Alba einige Sachen abholen will. Wir gehen vors Haus und Alba klatscht dreimal in die Hände. Ich gucke sie verwirrt an, sie erklärt, so klingelt man hier auf dem Land. Sie klatscht nochmal, aber es scheint keiner da zu sein. Also machen wir uns auf den Weg zurück zur Farm.
Am nächsten Tag bringt Alba das Auto in die Werkstatt… mittlerweile ist genug kaputt, dass sich die Reparatur auch lohnt. Heißt aber auch, dass sie ab jetzt für sämtliche Einkäufe/Ausflüge ins Dorf laufen muss. Beziehungsweise wir. Alba will mir nämlich die nächste Stadt zeigen, Marcos Paz, dort gibt es ein Café, das die leckersten Torten der Region macht. Da bin ich natürlich dabei. Mit Alba an meiner Seite ist es super angenehm für mich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. So muss ich nicht auf Pläne, Schilder oder ähnliches achten, sondern folge ihr einfach. Wir fahren dieselbe Strecke, die ich irgendwann auch so ähnlich zurück nach Buenos Aires fahre: Mit dem Bus von Villars nach Zarmudio, von dort mit dem lauten, altmodischen Zug nach Marcos Paz. Und wow, die Stadt ist wirklich schön. Gleich wenn man aussteigt, steht man in einem schönen grünen Stadtpark voller Blumen. Die Stadt ist super sauber und hat alles zu bieten, was auch eine Großstadt zu bieten hat, nur eben in kleinen, persönlichen Geschäften. Wir setzen uns erst ein bisschen in den Park, dann spazieren wir zu dem Café. Alba hat nicht zu viel versprochen, ich kann mich kaum entscheiden, was ich will. Dann entscheide ich mich für einen Schokokuchen mit einer riesigen Schicht Eischnee, sodass es aussieht wie ein eingeschneiter Berg. Superlecker, aber was für ein Zuckerschock. Danach schlendern wir noch ein bisschen durch die Stadt, gehen in das ein oder andere Geschäft und fahren erst am Abend mit dem Bus zurück nach Villars. Das war wirklich ein wunderschöner Ausflug.
Am nächsten Tag wartet ein neues Highlight auf mich. Leo will nach einem der Fohlen sehen, er hat eine ungewöhnliche Schwellung entdeckt, vielleicht ist Antibiotika nötig. Wir nähern uns also langsam der Mutter-Kind-Truppe. Die Fohlen liegen entspannt in der Sonne, während die Mütter drum herum grasen. Leo geht auf alle Viere, legt sich dann auf den Bauch und kriecht bis hin zu dem kleinen liegenden Tier, sodass es sich nicht erschreckt. Erst streicht er über Füße und Beine, dann über den Bauch und kuschelt sich schließlich mit voller Körperlänge an den Rücken des Fohlens, das völlig entspannt liegen bleibt. Ich kann es nicht fassen. Er erklärt, er hat von Anfang den Körperkontakt zu dem Tier gesucht, dass es sich daran gewöhnt, überall berührt zu werden und entspannt zu bleiben. So ist es die Art der indigenen Bevölkerung, ihre Pferde an Menschen zu gewöhnen. Es sieht richtig süß aus, als würde er mit einem riesigen Teddy kuscheln. Leo schaut mich an: Na los, jetzt du! Ich kriege große Augen. Langsam gehe ich auf die Knie und rutsche vorsichtig immer näher an das Fohlen heran, erst nur an der Bauchseite. Dann tausche ich den Platz mit Leo kuschle mich an das Tier und lege meinen Kopf auf seinen Hals. Was für ein unglaubliches Gefühl. Jetzt hast du die volle Pferdeerfahrung, grinst Leo, ich strahle bis über beide Ohren. Während ich so da liege, höre ich den Atem und fühle den Herzschlag… könnte glatt einschlafen. Aber in der prallen Sonne und an ein warmes Fohlen gekuschelt wird’s mir schnell zu heiß und ich setze mich wieder auf. Wir sehen uns die Schwellung genauer an und Leo beschließt, dem Fohlen lieber ein Antibiotikum zu geben.
Meine Arbeit für den späten Vormittag finde ich moralisch nicht so super, aber an sich eigentlich interessant: Ich soll auf Ameisenjagd gehen. Offensichtlich schaden die Tiere den Blumenbüschen. Leo zeigt mir, wie ich von den Hauptameisenstraßen das Nest finde. Das fülle ich dann einfach mit Insektengift auf. Ich gebe zu Protokoll, dass ich kein Fan bin, aber natürlich mach ich’s. Und ehrlicherweise macht es fast Spaß die Straßen ausfindig zu machen und die Tiere zu beobachten. Glücklicherweise muss ich es nicht lange machen. Gefühlt eine halbe Stunde später meint Leo, ich soll mit in die Stadt fahren, Medikamentennachschub für die Pferde besorgen. Bis wir dort sind, eingekauft haben, auch Lebensmittel und wieder zurück sind, ist mein Tag vorbei. Im Laden zeigt Leo auf grüne Früchte, ob ich die kenne. Ich verneine. Sowas aber auch, das sind Feigen, die muss ich probieren. Ich kenne Feigen vom Namen her, hab aber noch nie welche gegessen. Er kauft spontan 10 Stück und wir verschlingen sie über dir Heimfahrt. Sie schmecken leicht säuerlich und mein Mund ist danach pelzig… glaube nicht, dass die schon reif waren.
Am Nachmittag hat Alba eine gute Nachricht für mich: Eine Nachbarin hat sie am Sonntag zum Asado eingeladen und ich darf auch mitkommen. Wir dürfen sogar in den Pool. Ich freue und bedanke mich, dass Alba extra gefragt hat. Wir beschließen, später nochmal ins Dorf zu gehen, um etwas zusätzliches Fleisch zu kaufen.
Leo hat mir erlaubt zu reiten. Ich freu mich riesig. Deshalb mache ich mich am Nachmittag auf zur Koppel, er fängt mich allerdings vorher ab: Falls ich dabei sein möchte, nachher kommt der Tierarzt und wird die trächtigen Stuten anschauen. Man wird das Ultraschallbild der Embryos sehen. Meine Augen leuchten, klar will ich. Zeit zum Reiten bleibt trotzdem. Ich bin mir nicht sicher, welches Pferd genau ich habe, entweder es ist Prince oder Bandito… es sind über zwanzig Pferde, die meisten recht ähnlich, wer soll sich da noch auskennen? Ich lege ihm ein Zaumzeug an, jedoch keinen Sattel, wir sind auch beim Polospielen lediglich mit dicken Decken geritten. Diesmal will ich aber ganz ohne. Die britischen Mädels sind damals auch ganz ohne geritten. Ich führe das Pferd zu einer Bank, klettere hoch und freue mich erstmal, dass soweit alles geklappt hat. Nur weil ich auf magische Art und Weise Polo spielen konnte, heißt es nicht, dass ich auf dieselbe magische Weise alleine reiten kann. Das findet auch Prince/Bandito. Wir gehen mehr rückwärts als vorwärts und mehr nach seinem Kopf als nach meinem. Ich weiß nicht, ob ich etwas falsch mache (ziemlich sicher) und/oder er einfach keine Lust hat (wahrscheinlich), aber ich gebe nach etwa 20 min auf. Ich bin ein bisschen geritten, manchmal sogar in die Richtung die ich wollte. Denke, das ist für den Anfang genug.
Ich führe Prince/Bandito zurück auf die Weide und gleich danach kommt Leo mit den Halftern für die trächtigen Stuten, kannst du die holen? Ich nicke, komme kurz darauf mit den zwei Stuten zurück, Leo hat derweil die dritte von der Weide geholt. Der Tierarzt kommt vorbei, natürlich kennen sich die beiden ewig, erst mal wird sich ein bisschen unterhalten. Auch das kenne ich aus Deutschland nicht, gerade Tierärzte auf dem Land für „große Tiere“ haben nie Zeit, sind immer schon zu spät für den nächsten Termin. Hier fehlt noch, dass einer sein Mate-Set rausholt. Und eigentlich finde ich das auch schön… schätze es ist die Deutsche in mir, die innerlich auf die Uhr tippt. Zuerst schaut sich der Tierarzt das Fohlen an und bestätigt, dass er eine Infektion hat. Wir müssen ihm also die nächste Woche Antibiotikum verabreichen. Danach holt er einen kleinen, tragbaren Monitor hervor. An einem langen Kabel ist eine Kamera befestigt. Die führt der Tierarzt langsam tief in die Scheide des Pferdes ein, sodass auf dem Monitor ein waberndes Bild zu sehen ist. Der undeutliche, kleine weiße Fleck, den ich sehe, das ist der Embryo, das schwarze drum herum ist das Fruchtwasser. Es ist wirklich kaum was zu erkennen, schon gar keine eindeutige Form, aber ich sehe das weiße. Alle drei Stuten sind trächtig, allen dreien (oder allen sechsen) geht es gut. Wie interessant, das mal zu beobachten. Nachdem alles vorbei ist, setzen sich die Männer nochmal zu einem Gespräch. Ich fühle mich etwas unwohl daneben, weil ich kaum was verstehe und auch nichts beitragen kann. Glücklicherweise rettet mich Alba, die meint, sie würde jetzt los in die Stadt fürs Asado einkaufen. Ich springe auf und auch der Tierarzt meint, er fährt gleich sowieso in die Richtung, er kann uns mitnehmen. Praktisch, sparen wir uns die 45 min Spaziergang bis in den Ort. In der Stadt fülle ich auch gleich nochmal meine Lebensmittelvorräte auf, wer weiß, wann ich das nächste Mal hinkomme.
Auf dem Rückweg beobachten wir wieder einen der großartigen Sonnenuntergänge. Hier sind sie wirklich besonders schön und farbenfroh. Der nächste Tag ist mein freier Tag. Gegen 10 Uhr werden wir zu der Nachbarin mit dem Asado aufbrechen… aber bis dahin will ich schon den halben Tag hinter mir haben.
Ein freier Tag vor und nach sechs Tagen Arbeit… was machen normale Menschen da so? Ausschlafen, groß frühstücken, es sich gut gehen lassen. Eines Tages, Jana, eines fernen Tages!



Mein Wecker klingelt um 5:30 Uhr. Ich drehe mich noch zweimal um, verfluche mich für meinen Tagesplan und stehe dann auf. Die Sachen noch schnell zusammen gesucht, gehe ich nach draußen zum Clubhaus. Das erste Tageslicht blinzelt zwischen den Bäumen hervor, alles ist noch feucht und der Nebel steht auf den Weiden. Ich spaziere umher, auf der Suche nach einem guten Platz. Fast auf der anderen Seite des Geländes ist eine weitere Weide für Juleppe, den Hengst und Vater der Fohlen. Er steht isoliert von der Gruppe (Hengste können ziemlich aggressiv sein und sonst wäre die Zucht sehr unkontrolliert). Mehrmals am Tag wiehert er laut in Richtung der anderen und hin und wieder kommt eine der freilaufenden Stuten zu ihm. Genau das passiert auch jetzt, als die ersten orangenen Sonnenstrahlen durch die Bäume brechen. Und für einen Moment sehe ich das perfekte Motiv: Im Hintergrund die aufgehende Sonne, der stehende Nebel, während eine der Stuten zum Hengst läuft. Sie beschnuppern sich kurz, fast als würden sie sich küssen. Nur für eine Sekunde, dann quietscht die Stute und galoppiert davon. Ich bleibe noch ein bisschen bei dem schönen einsamen Hengst, sehe mir den Rest des Sonnenaufgangs an und gehe dann zurück zum Clubhaus um meine Sporteinheit zu starten. Yoga, Ving Tsun und dann eine Runde joggen. Haltet mich für verrückt, aber für mich ist das die beste Art in den Tag zu starten, vor allem weil Joggen mit meiner Lieblingsmusik jedes Mal eine kleine private Party ist. Deshalb gehe ich auch so früh, damit niemand mich sieht und denkt, ich hätte einen epileptischen Anfall, während ich so vor mich hin tanze.
Eine Laufeinheit später komme ich völlig fertig, aber super gelaunt, wieder am Clubhaus an, muss mich dann aber schon sputen mit der Dusche. In einer Stunde gehen Alba und ich los zum Asado. Der Weg zur „Nachbarin“(Veronika) dauert etwa 45 min, fast ausschließlich in der Sonne, das letzte Stück kürzen wir über die Pferdekoppel ab. Das Anwesen, an dem wir schließlich ankommen ist um einiges imposanter als unseres und sehr gut in Schuss. Unsere Gastgeber sind noch nicht da, die Töchter des Hauses bieten uns einen schattigen Sitzplatz und kühles Wasser an. Im Garten grasen zwei besonders schöne Pferde: Ein Schimmel und ein Appaloosa (siehe Bild unten). Letzteres sieht man nicht allzu häufig und ich mache ein paar Fotos… vor allem von hinten.



Unsere Gastgeber kommen nach Hause und Fabio beginnt mit dem Asado grillen. Typischerweise Männersache in Südamerika. Er und Veronika betreuen das Anwesen, das einem reichen Argentinier gehört, der so gut wie nie da ist. Das riesige, wunderschöne Haus steht also größtenteils leer. Sie wohnen in einem kleinen Haus neben an und halten die Villa, den Park, den Pool instand und kümmern sich um die Tiere. Dafür darf man sich schon mal ab und zu im Pool abkühlen. Um uns herum hüpfen mehrere Hunde und Katzen, egal wohin man sich setzt, sofort will jemand gestreichelt werden. Die zwei Mädchen führen uns zu einer Hündin, die gerade Welpen bekommen hat und sie drücken uns jeweils eins in die Hand… sind die süß… und passen in meine Hand. Dann gibt es essen. Veronika hat Reis mit ein wenig Olivenöl, sowie zwei Salate vorbereitet, Fabio reicht die Fleischplatte herum. Hier essen wir nicht wie in Uruguay mit den Fingern, jeder hat seinen Teller und nimmt sich von der Platte, was er/sie will. Es schmeckt mal wieder fantastisch. Und obwohl wir zu sechst sind, bleibt wieder viel übrig. Völlig normal. Man macht Asado, isst drei Tage die Reste, dann folgt das nächste Asado. Nach dem Essen hält mir Fabio eine Tüte mit getrockneten Blättern hin: Möchtest du Coca-Blätter probieren? Davon habe ich schon gehört und Leo hat sie mir schon für seinen Spezial-Mate gezeigt. Man kaut sich nach dem Essen und/oder in hochgelegenen Bergregionen. Ich greife ein Blatt und kaue drauf herum. Was ich allerdings nicht wusste, man schluckt die Blätter nicht. Nach ein paar Minuten ist mein Mund voll mit winzigen Blätterresten, die mich husten lassen. Alle am Tisch lachen. Nur kauen, wenn man nicht mehr will, spuckt man sie aus. Ich lache über mich selbst, immer diese unwissenden Europäer. Die Coca-Blätter enthalten übrigens winzige Mengen Kokain (nicht vergleichbar mit der synthetischen Droge), sind also wie ein Espresso nach dem Essen. Außerdem sollen sie gegen die Höhenkrankheit helfen. Ich weiß jetzt jedenfalls Bescheid.
Wir Frauen packen unsere Badesachen zusammen und gehen zum Pool des Herrenhauses. Pool ist schon zu viel, das Wasser ist nur einen Meter tief, aber zum Abkühlen reicht es. Es ist ein Marmorbecken, mit großen Vasen an den Ecken, ein kleiner, weiß gestrichener Eisentisch mit floralen Mustern steht an einer Ecke. Hinter uns ragen zwei perfekt platzierte, große Palmen auf. Das weiß-rot gestrichene Ziegelanwesen strotzt vor Reichtum. Acht Schlafzimmer sind im Obergeschoss… benutzt wird selten mal eines oder zwei… was für eine Verschwendung. Vor uns können wir kilometerweit auf die angrenzenden Pferde-/Rinderweiden sehen… ist schon ziemlich schön hier. Die Sonne blecht auf uns herab, sodass das Bad wirklich willkommen ist. Im Wasser treibt ein Krokodilskopf. Aus Schaumstoff, keine Sorge, soll wohl die Vögel verschrecken. Vogelscheuche Argentinian Style. Bei mir funktioniert’s gut, ich will dem Ding nicht zu nahe kommen.
Wir genießen das Wasser und die Sonne noch für ein paar Stunden, dann wird es Zeit für den Heimweg. Zuhause angekommen falle ich todmüde ins Bett. Und am nächsten Tag heißt es wieder arbeiten. Achtung, der nächste Absatz wird wieder etwas eklig. Aber auch ganz schön cool.
Als wir am nächsten Morgen wie immer zu den Pferden rausfahren, entdeckt Leo wieder ein blutendes Exemplar. Offensichtlich hatten wir eine Made übersehen. Wir holen also wieder die entsprechenden Medikamente, sedieren das Pferd, warten bis es ruhig wird. Dann hält Leo mir die Handschuhe und die Pinzette hin. Ich schüttle zuerst den Kopf, aber Leo bleibt hartnäckig, komm, ist doch eine super Erfahrung. Und er hat recht. Eine OP am offenen Pferdepenis. Jetzt kann mich wirklich Tierärztin nennen. Ich streife die Handschuhe über, desinfiziere die Instrumente und arbeite mich dann langsam vor. Tatsächlich entdecke ich noch eine Made, mehr aber nicht. Leo fordert mich auf, ganz genau nach zu schauen, wir dürfen keine Made übersehen. Ich durchsuche vorsichtig das blutige Loch, kann aber nichts weiter finden. Wir schließen die Aktion ab und hoffen auf das Beste. Irgendwie war’s doch ganz cool und ich bin froh, dass ich’s ausprobieren durfte.
Ekliger Teil vorbei. Wir versorgen unsere anderen Kranken und den Rest des Arbeitstages verbringe ich mit rechen. Zu Mittag gibt’s wie immer Pasta, dann setze ich mich raus an den kleinen Tisch auf Albas Terrasse und verbringe den Nachmittag mit lesen, schreiben, Pferde streicheln und oder einfach nur dasitzen und die Seele baumeln lassen. Leo bittet mich, am Abend die Pferde zu füttern und die Schafe einzufangen, er wird erst spät zurückkommen. Ich nicke, kein Problem. Dabei spreche ich ihn nochmal drauf an, dass ich gerne lernen würde, die Schafe zu scheren, ob wir das diese Woche mal machen könnten. Er nickt, natürlich, ist eh überfällig. Später am Tag starte ich nochmal einen Reitversuch mit meinem geschätzten Louis Vitton. Mit ihm läuft zunächst alles super, sodass ich mutig werde und versuchen möchte, eine Runde um das Polofeld zu reiten.
Ich weiß nicht, was das Problem war. Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht oder er hat meinen Plan erkannt und war absolut nicht einverstanden. Das Pferd beginnt zu buckeln und rennt dann los… ich halte mich am Anfang, doch dann beschließe ich, dass ich entweder gut oder böse fallen kann. Ich entscheide mich für gut… falle aber trotzdem ziemlich hart aufs Steißbein. Der Kopf schlägt auf den Boden und durch den Impuls beginnt sofort meine blöde Nase in Bächen zu bluten. Ich stöhne auf vor Schmerz, zwinge mich aber gleich wieder aufzustehen. Blutüberströmt fange ich das Pferd ein, beruhige uns beide ein bisschen (am meisten aber mich), wasche mir das Gesicht und steige dann gleich wieder auf. Das ist die eiserne Regel des Reitens. Wer fällt, steigt sofort wieder auf, sonst nimmt die Angst davor überhand. Ich fürchte allerdings, es ändert nicht viel. Ich reite noch ein bisschen umher, aber keine 10 min später führe ich das Pferd zurück auf die Weide… und steige erstmal ein paar Tage auf kein Pferd mehr.
Am nächsten Tag hält Leo sein Wort und ich darf mit Ezekiel Schafe scheren… was zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte kommen können. Ich hab die Nacht kaum geschlafen, mein Rücken und Hals tun noch weh vom Sturz und ich bin sehr schlecht gelaunt.
Um das etwas genauer zu definieren: Schafe scheren heißt hier nicht einen elektrischen Rasierer zu haben, der die Wolle automatisch und ordentlich stutzt. Sondern so:

Bevor es aber so weit ist, kommt die Herausforderung, das Schaf erst mal zu fangen. Dafür muss man nicht nur schnell sein, sondern auch mit vollem Körpereinsatz arbeiten… das kann ich gerade beim besten Willen nicht. Ich will aber nicht mausern, deshalb warte ich mehr oder weniger, bis Ezekiel das Schaf gefangen hat. Die Schere schneidet besser als erwartet, man muss aber aufpassen. Die Balance zwischen genug Wolle ab und die Haut nicht anzuschneiden ist gar nicht einfach zu finden. Sobald es doch mal passiert, dass man zu tief schneidet und die Haut erwischt, müssen wir sofort eine vorbeugende Paste einmassieren. Leo hat uns erklärt, dass sofort Würmer in die Wunde eindringen würden und das Schaf schnell daran sterben kann. Na dann… ran an die Schafe:

Nach den ersten zehn Minuten frage ich mich, was eigentlich falsch mit mir ist. Ich hatte so eine schöne Arbeit mit den Pferden, die Tiere, die ich liebe, konnte so viel lernen und alles war entspannt. Warum um alles in der Welt hab ich das freiwillig für das hier aufgegeben? Es hätte doch gar nicht besser sein können.
Dazu kommt, dass ich nicht gerne mit Ezekiel arbeite. Klar, er ist nett und hat mich mit dem Traktor abgeholt, aber er ist auch gerade zwanzig und nimmt seinen Job überhaupt nicht ernst. Er schneidet kaum vier Zentimeter von der zehn Zentimeter dicken Wolle und während ich Mühe habe, das Tier festzuhalten, versucht er (plötzlich perfektionistisch) alles gerade zu schneiden… was schlichtweg nicht funktioniert mit den Instrumenten, die wir haben. Die Sonne steigt höher, es wird unglaublich heiß, wir knien im Dreck, immer wieder versucht sich das Schaf dem Griff zu entwenden, hin und wieder schafft es das auch. Ich kann ihm nicht helfen ein Schaf zu fangen, mein Rücken tut zu sehr weh. Er hat auch noch Spaß daran, die Schafe bei der Hitze durch das kleine eingezäunte Viereck zu jagen, anstatt richtig zu versuchen, ein Tier zu fangen. Wieder ein Beweis dafür, dass (manche) Männer acht Jahre alt werden und dann nur noch wachsen. Als er das nächste Tier endlich fängt, keucht es mit Schaum vor dem Mund und ich habe ehrlich Angst, dass es an einem Herzanfall stirbt. Ich bin stinksauer, müde, sterbe vor Hitze. Aber wir schaffen es zwei Schafe zumindest ein bisschen von ihrer Wolle zu befreien, damit es bei den über 35 Grad zumindest etwas Erleichterung hat. Die Tiere sehen schrecklich aus, nach ihrem Frisörtermin, haben aber immerhin etwas weniger Gewicht. Als wir fertig sind ist es gerade elf. Ich bin total verschwitzt, starre vor Dreck und brauche erstmal eine Pause, vor allem auch vor Ezekiel. Danach gehe ich zu Leo und frage, was ich den Rest des Tages noch machen soll. Etwas in meinem Blick sagt ihm wohl, dass ich für heute mehr als genug habe und er gibt mir für heute frei.
Die Zeit nutze ich um zuerst mich und dann Albas und mein Bad zu putzen. Ich komme immer so dreckig von der Arbeit und hinterlasse diverse Flecken, erkläre ich Alba, da ist es nur gerecht, dass ich auch mal putze. Tatsächlich ändert meine Putzaktion aber gar nicht so viel: Das Bad ist einfach alt, die meisten Flecken sind permanent, das wird nicht mehr, wie es mal war. Alba freut sich trotzdem. Ich esse zu Mittag und lege mich dann nochmal ins Bett, um Schlaf nachzuholen, was bitter nötig war. Drei Stunden Schlaf später geht es mir deutlich besser. Ich nehme mir für diese Woche vor, öfter mal den Sonnenuntergang anzuschauen. Deshalb gehe ich am Abend zu dem schönen Platz am Clubhaus, wo man eine besonders gute Sicht hat. Nach dem die Sonne in glühender Farbenpracht versunken ist, gehe ich nochmal zu den Pferden, ein bisschen schmusen. Danach Abendessen und gegen 10/halb 11 ins Bett.
Eine Nacht Schlaf später geht es mir schon viel besser und dieselbe Arbeit wie am Vortag ist nur noch halb so schlimm. Es ist halt mal wieder alles zusammen gekommen. Das Schneiden geht schon besser genauso der Umgang mit Ezekiel. Mit Hut ist das Arbeiten in der Sonne auch gleich viel besser, den hatte ich beim letzten Mal auch nicht auf. Zwei Schafe später sind wir trotzdem ziemlich erschöpft. Den Rest des Tages wird wieder gerecht, ein angenehmer Ausgleich. Trotzdem fange ich schon an, meine Pferde zu vermissen und gehe am Abend nochmal für eine halbe Stunde auf die Weide. Aufs Reiten habe ich immer noch nicht viel Lust.
Übrigens: So sehe ich nach der Arbeit aus:

In der zweiten Woche fange ich an, zarte Freundschaftsbande zu dem Hengst Juleppe aufzubauen. Nicht nur ist er ein wunderschönes Tier, sondern auch eine kleine Herausforderung, im Gegensatz zu den meist braven anderen, die oft zum Reiten geholt werden. Ich bin vorsichtig, der Hengst steht nicht umsonst von anderen getrennt, doch ich merke bald, dass auch er eine relativ sanfte Seele ist. Nur nach einer gewissen Zeit des Beschnupperns, fängt er eben an zu Beißen. Hengstmanieren, halt. Und er ist auch nicht immer in Streichelstimmung, das spürt man aber relativ deutlich. Ich lerne, den Kopf und die Beine immer im Auge zu haben, wenn er versucht zu schnappen oder auszuschlagen, bin ich schneller und gehe auf Abstand. Ich verbringe viel Zeit mit ihm… und sehe danach tatsächlich seine Wesenszüge in seinen Kindern wieder.




Auch bei den anderen Pferden filtere ich nach und nach die Charaktereigenschaften raus. Manche sind wirklich lammfromm, andere versuchen erst auszuweichen, genießen den Kontakt dann aber doch und wieder andere lassen mich bis zum Schluss keine vier Meter an mich ran, nur mit Glück kann ich sie berühren oder gar fangen. Ist aber auch in Ordnung. Manche Beziehungen bauen sich schneller, andere langsamer auf.
Den Tag darauf frage ich Ezekiel nach dem zweiten Schaf, ob er noch ein drittes machen will, sodass wir unser Tagesziel überschreiten. Super, so haben wir weniger Schafe noch vor uns und ebenso den Arbeitstag so gut wie hinter uns. Noch ein bisschen rechen und das war’s dann. Und mein Rücken war sogar wieder so weit in Ordnung, dass ich zwei von drei Schafen fangen konnte. Am späten Nachmittag traue ich mich nochmal auf’s Pferd, bin aber sehr nervös. Diesmal habe ich sicher Bandito (diesmal sicher), der ist nämlich im Gegensatz zu Louis Vitton nicht das größte Pferd auf der Weide. Leo ist in der Nähe und gibt mir endlich die lange versprochenen Tipps. Man reitet anders hier: Die Zügel liegt in einer Hand (die zweite braucht man ja zum Polo spielen), man bewegt sie nach rechts und nach links, natürlich mit Vorsicht. Die Füße hatte ich auch zu weit vorne, man gibt die Hilfe viel weiter hinten am Bauch. Und schon funktioniert es viel besser. Ich bin trotzdem noch nervös. Leo wendet sich wieder seiner Arbeit zu und als ich außer Sichtweite bin, fängt Bandito an zu tänzeln. Ich kriege es mit der Angst zu tun, das überträgt sich aufs Pferd und bei der nächsten Gelegenheit steige ich freiwillig ab, um nicht den nächsten Unfall zu riskieren. Immerhin saß ich wieder auf einem Pferd. Babysteps. Am Abend schaue ich wieder den Sonnenuntergang an, Alba kommt dazu, später auch Leo. Wir sitzen nett beieinander, die beiden erzählen mir die Geschichte, wie es dazu kam, das Alba hier festangestellt wurde: zwei sehr unterschiedliche Versionen. Ich schätze, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Leo findet, ich sollte noch eine Woche bleiben. Ich gestehe, dass ich auch schon darüber nachgedacht habe, will aber noch eine Nacht drüber schlafen. Als er geht, frage ich Alba, ob es für sie okay wäre, wenn ich noch bleibe. Sie nickt, natürlich, sie mag mich, wir kommen super klar, von ihrer Seite aus kann ich bleiben, solange ich will. Ab dann war alles klar.
Am nächsten Tag kommt Ezekiel nicht zur Arbeit. Das passiert öfter, die Argentinier entscheiden oft nach Lust und Laune, ob sie heute arbeiten wollen oder nicht. Ich hab allerdings den Verdacht, dass er keine Lust mehr hat auf Schafe scheren. Und irgendwo bin ich ihm ein kleines bisschen dankbar, denn so geht es für mich zurück zu den Pferden. YES!!! Ich nehme meine tierärztliche Tätigkeit mit Freuden wieder auf und mache danach die Arbeit, von der ich immer erwartet habe, dass ich sie die ganze Zeit machen würde: Stall ausmisten und putzen. Und für heute ist das der perfekte Job für mich. Draußen steigt die Temperatur nämlich auf 38 Grad und ich bin heilfroh, im schattigen Stall arbeiten zu können. Auch am nächsten Tag, an dem es gleich noch ein Grad wärmer wird. Nachmittags liege ich nur im Bett und versuche zu schlafen, doch auch das ist wegen der Hitze kaum möglich… ich liege nur reglos da und schwitze. Klimaanlage gibt es natürlich keine und die letzten Tage war es auch nicht soo schlimm. Erst als die größte Nachmittagshitze vorbei ist, setze ich mich wieder raus.
Am Abend kommt ein neuer Freiwilliger, ein Spanier, an, Alba und ich laden ihn spontan zu unserem Ausflug ins Dorf ein, wir wollen Pizza essen. Mein Spanisch wird erneut auf die Probe gestellt und ich denke, es klappt ganz gut. Wir bestellen viel zu viel Pizza und nehmen die Hälfte mit nach Hause, aber es ist ein schöner Abend. An meinem freien Tag lege ich wieder meine Frühsport-Session ein und versuche dann, den heißen Nachmittag halbwegs zu überstehen. Da kommt der Spanier vorbei und verabschiedet sich, er kann nicht bleiben. Seine Rückenverletzung ist während der Arbeit wieder akut geworden, so kann er nicht nützlich sein. Wir verabschieden uns nett. Später treffe ich Leo, er glaubt die Geschichte mit der Rückenverletzung nicht. Ich schon, aber sicher kann ich es natürlich nicht sagen.
Die Tage der dritten Woche vergehen wie im Flug. Mein Alltag ist eingespielt, ich genieße jeden Tag mehr. Auf mein Drängeln hin zeigt mir Leo am Mittwoch, wie er die Hufe zurecht schneidet. Ich hatte gehofft, dass ich das auch lernen könnte, aber die Illusion zerschlägt sich schnell. Es ist richtig hart, man muss das Pferd halten (das immer wieder den Huf wegzieht), mit voller Kraft schneiden, hobeln, glätten… das kann ich nicht in der kurzen Zeit lernen, die ich noch hier bin. Und das erklärt, warum eine Ausbildung zum Hufschmied in Deutschland zwei Jahre dauert. Leo legt keine Eisen an, er bringt nur den schiefen, teils gebrochenen Huf wieder in Form. Nach einem Pferd ist er außer Atem und ich zolle meinen Respekt. Von mir aus können wir jetzt was anderes machen. Ich schnappe mir meinen Rechen und der Tag nimmt seinen gewohnten Lauf. Am Abend passt Leo mich ab und fragt, ob ich mit ihm die Schafe zurück treibe… heute auf den Pferden. Meine Augen glänzen und trotz meines immer noch schmerzenden Steißes sage ich zu (Fehler Nr. 1). Wir gehen mit dem Halfter zur Koppel, holen zwei Pferde und Leo lässt mich gleich aufsitzen. Er schwingt sich aus dem Stand hoch und ich bin jetzt schon neidisch. Aber es ist auch cool, endlich mal mit dem Meister zu sein. Anstatt, dass wir zum Stall zurückreiten und Sattelzeug holen, biegt er schon in Richtung der Schafe los. Ich bin überfordert: Wie jetzt?! Einfach so mit Halfter und nur einem Strick auf der linken Seite? Ich kann nicht mal richtig reiten?! Leo winkt ab, das geht schon, na komm! Ich weiß nicht, warum ich Herausforderungen nicht widerstehen kann, wohlwissend, dass das eigentlich nur übel ausgehen kann. Das wäre der Punkt gewesen, an dem ich schlichtweg den Satz hätte sagen müssen: „Sorry, aber nein, ich kann nicht!“ Es kam also, wie es kommen musste.
Zuerst ist es aber noch super! Wir reiten der sinkenden Sonne entgegen und auch wenn es meinem Rücken (und anderen Regionen) echt weh tut, ist es ein unglaubliches Gefühl, so zu reiten. Klar hab ich Angst, aber wäre es einfach, wäre es ja kein Abenteuer.
An einem Punkt bleiben wir stehen, Leo bedeutet mir zu warten, wir reiten zusammen zurück. Ich weiß nicht, warum ich etwas anderes verstanden habe, ich war noch sehr aufs Pferd fokussiert oder sonst was, aber ich verstehe: „Du kannst auch schon zurück“. Ich wende also und mache mich auf den Rückweg. Ganz langsam im Schritt. Was ich nicht weiß, sobald das Pferd merkt, es geht nach Hause, will es schnell nach Hause. Mein Pferd fängt also erst an zu traben und fällt dann in vollen Galopp. Zuerst halte ich mich ganz gut, hab aber panische Angst. Mein Steißbein schmerzt unerträglich von der Belastung, ich wackle unkontrolliert hin und her und komme an den Punkt, an dem ich mich nicht mehr halten kann. Ich falle, schlage wieder auf dem Rücken auf, rolle mehrfach über mich selbst und bleibe verdreckt liegen. Ich schluchze auf vor Schmerz und Frustration. Der Schock sitzt mir tief in den Knochen und ich verabschiede mich endgültig vom Reiten. Irgendwie schaffe ich es aufzustehen, da kommt schon Leo angetrabt und fragt ob alles okay. Ich versuche mein letztes bisschen Stolz zu bewahren, beiße die Zähne zusammen und nicke. Warum habe ich denn nicht gewartet? Ich erkläre wackelig, ich hab ihn falsch verstanden, tut mir leid, meine Schuld. Er prüft mein Gesicht, natürlich blutet meine Nase wieder wie blöd, aber versichere, alles okay und schicke ihn wieder zu den Schafen. Gott, wie peinlich. Und was für eine Vollidiotin ich bin. Was sag ich auch „Ja klar“, wenn ich genau weiß, dass ich das nicht kann?! Tja, nach Mut kommt Übermut. Diesmal war die Lektion deutlich. Ich humple langsam nach Hause, weine mir Schock, Schande und Schmerz (oh, welch tolle Alliteration) von der Seele (da, gleich nochmal) und verschwinde nach einer kalten Dusche ins Bett. Am nächsten Tag entschuldige ich mich für die Arbeit, ich kann einfach nicht. Leo hat vollstes Verständnis und ich krieche wieder ins Bett.
Das Wetter ist entsprechend meiner Laune auf grau, Regen und kalten Wind umgeschlagen. Meine Periode habe ich auch bekommen, perfekter Tag um sich nicht aus dem Bett zu bewegen. Schnell kommt die depressive Stimmung und ich überlege, ob ich am nächsten Tag meine Sachen packen soll. Wenn das mit dem Rücken nicht schnell besser wird und ich nicht arbeiten kann, kann ich auch nicht bleiben. Vielleicht war das der Arschtritt des Schicksals, das mich weiterschiebt. Spätestens nach dem Ablauf dieser Woche, sollte ich gehen. Leo hätte mich sicher nie vor die Tür gesetzt, aber ich hab ja grade wirklich die besten Voraussetzungen um mich richtig reinzusteigern. Der Bewegungsdrang treibt mich am Nachmittag doch noch raus (und der einsetzende Wahnsinn). Das erste was ich sehe, sind die Pferde, die bei dem kühlen Wetter ausgelassen über die Weide galoppieren und spielen. Es ist so ein schöner Anblick, das ich meine Abreisepläne sofort wieder infrage stelle. Leo kommt dazu, fragt warm, wie es mir geht und ich nicke, schon besser. Wir sprechen nochmal über den Vorfall. Er ermutigt mich, trotzdem bald wieder aufzusteigen. Ich bleibe vage. Dann stöpsle ich mir Musik in die Ohren und gehe eine ausgedehnte Runde spazieren, ganz langsam, kleine Physiotherapie für meinen Bewegungsapparat. Abends hole ich meine Thermojogginghose heraus, ziehe noch eine Schicht über kuschle mich in meinen Schlafsack. Es gibt keine Heizung in dem Haus und bei Temperaturen um die fünf Grad bin ich wirklich froh, für sämtliche Fälle (außer Frost), vorbereitet zu sein. Der unerwartete Kälteeinbruch macht uns allen zu schaffen und erreicht sogar die Nachrichten in Deutschland, wie mir meine Mama tags darauf erzählt. Da habe ich Wochen damit verbracht, meinen Körper und meine Haut an die blechende Hitze zu gewöhnen und gerade wo es halbwegs klappt, beißt mich die Kälte in den Arsch.



Auch tags darauf bin ich mit zwei T-Shirts und zwei Jacken draußen unterwegs und melde mich wieder zum Dienst. Meinem Rücken geht es tatsächlich schon besser und solange ich keine Schafe scheren muss, fühle ich mich einsatzbereit. Heute füttern wir die Pferde mit Ezekiel und Leo weist ihn nochmal in alles ein. Ezekiel wird sich – für die Zeit, in der Leo im Urlaub ist – um die Pferde kümmern. Mein Gedankenrad rattert wieder. Es fühlt sich unwirklich an, sich auf eine baldige Abreise vorzubereiten. Ich hab schon das Gefühl, ich hab vergessen, wie das reisen eigentlich geht. Trotzdem rückt der Tag immer näher. Doch dann spreche ich mit Alba, die das alles etwas anders sieht und meint, ich müsse mal mit Leo sprechen. Ich gehe also zu ihm und erkläre, dass ich gerne bleiben würde und tatsächlich lächelt er breit. Perfekt! Er hat sich gar nicht getraut zu fragen, weil er dachte, ich müsse dringend weiter, aber für ihn wäre es super, wenn ich bleibe. Ich kenn mich ja mit den ganzen medizinischen Sachen aus, ein Pferd braucht noch ein paar Tage lang eine Spritze täglich und außerdem will er sichergehen, dass Ezekiel auch wirklich jeden Tag kommt und sich um die Pferde/Schafe kümmert… die Versicherung bin ich. Den Rest des Tages darf ich tun und lassen was ich möchte, auch den Pool nutzen. Ich halte ihm die Hand und er schlägt ein. Ein bisschen bin ich schon geschmeichelt, dass er mir so viel Vertrauen entgegenbringt, immerhin kennen wir uns erst seit drei Wochen. Aber wir wissen beide, dass die Versorgung der Pferde für mich keine Arbeit ist, sondern ein Vergnügen, dem ich nur zu gerne zuverlässig komme. Zwei Tage später verabschieden wir Leo nach Brasilien… und jetzt bin ich die Chefin!! HA!!!
Zepter und Krone liegen allerdings meistens am Poolrand oder neben mir in der Lounge, wenn ich schreibe, zeichne, schwimme, lese. Ich drehe regelmäßig meine Runden übers Gelände, sehe nach den Pferden, überprüfe jedes einzelne auf Verletzungen und hin und wieder schwinge ich doch den Rechen, die Mistgabel oder arbeite etwas anderes… meine Farm, meine Verantwortung 😉 Es läuft alles wunderbar. Morgens und abends überprüfe ich, ob alle Tiere versorgt sind und muss doch das ein oder andere Mal die Schafe suchen. Aber man kann es Arbeit nennen oder einen Spaziergang in den orange-roten Sonnenuntergang, während neben mir Kühe und Pferde grasen und in weiter Ferne die Gauchos johlen, um das Vieh nach Hause zu treiben. Meistens gegen halb 10 nach dem Abendessen greife ich zur Gitarre, setze mich nach draußen und spiele vor mich hin, während über mir die Sterne leuchten und die Grillen zirpen… Glaubt mir liebe Leute, es ist noch viel schöner, als es klingt. Und ich habe es für volle zwei Wochen.


Nach und nach lerne ich die gesamte Nachbarschaft kennen. Neben uns lebt der Bäcker (Panadero) Walter, der mich eines nachmittags spontan von Villars mit zurück zur Farm nimmt. Er findet meine Reisepläne faszinierend, würde er auch gerne machen. Eines anderen Nachmittags zeigt er mir stolz seinen Schweinebestand mit vielen süßen kleinen Ferkelchen, die im Schatten der Bäume müde vor sich hindösen.



Danach kommt der Hof von Elsa, sie hat vier Kinder und sämtliche Tiere, die man sich vorstellen kann. Auf der anderen Seite der Farm lebt Tamara, mit der wir des öfteren Maté trinken. Sie ist die Frau von einem der Gauchos, die ich jeden Abend beim Rinderzusammentreiben hören kann. Alle sind furchtbar nett.
Zum Einkaufen muss ich meistens laufen. 45 min Fußweg ins Dorf. Ich schnappe mir meinen kleinen Rucksack, stöpsle mir Musik in die Ohren und spaziere gutgelaunt vor mich hin. Am Straßenrand begegnen einem Hunde, Kühe, Pferde, Schafe, geteerte Straßen gibt es im Dorf nur zwei. Aber das kenne ich ja schon aus Uruguay.






Ein paar Mal kommt ein Freund von Leo, Hugo, zu Besuch, um mit seinen Leuten Polo zu trainieren. Neugierig gehe ich hin, stelle mich vor und frage, ob ich zugucken darf. Na klar! So sehe ich zum ersten Mal live, wie man richtig Polo spielt. Natürlich ist es nur ein Training und nur vier Spieler, aber es ist sehr spannend und sieht aus, als würde es richtig Spaß machen. Vor allem faszinierend finde ich, mit was für einer Geschwindigkeit sie zum Teil über den Platz stürmen, stehend im Sattel, mit nur einer Hand an der Zügel, mit der anderen schwingen sie den Spielstab (Mallet) und treffen dann auch noch zielgenau… ziemlich cooler Sport, wäre definitiv was für mich.



Nach der Hälfte seines Urlaubs schreibt mir Leo, er würde die Pferde gerne auf die andere, große Weide bringen und Juleppe, den Hengst, auf die kleine. Ezekiel hilft mir am nächsten Tag. Ich überlege, wie man es am besten macht und beschließe, am besten legen wir zuerst allen Pferden die Halfter an, während sie fressen, da haben wir alle ruhig auf einem Fleck. Dann bringen wir den Hengst zu den Ställen, tauschen die Pferde auf die andere Weide und bringen zum Schluss Juleppe auf die kleine. Guter Plan! Dachte ich. Nach einem Haufen Arbeit, weil es eben doch nicht so leicht war, allen Halfter anzulegen, laufen uns beim Führen bereits einige Pferde davon. Ezekiel winkt ab und bedeutet mir auch den Rest laufen zu lassen, das machen sie sonst auch immer so, die Pferde kennen den Weg. Ich kann es nicht fassen, ist das sein Ernst? Warum sagt mir das den keiner? Erst hatten wir den Haufen Arbeit mit den Halftern und jetzt haben wir den Haufen Arbeit, die Halfter alle wieder abzunehmen, ohne sie je wirklich gebraucht zu haben. Ich bin sauer. Ezekiel fragt, ob wir das mit den Halftern erst am Abend oder morgen machen wollen. Ich schüttle den Kopf, das machen wir gleich. Am Ende verhakt sich noch eines der Tiere irgendwo. Natürlich sind die Pferde ganz am anderen Ende der großen Weide und wir stapfen nochmal ewig durch die Hitze. Die Aktion hätte sehr viel leichter sein können. Aber gut, immerhin erledigt. Nur mit Ezekiel arbeite ich einfach ungern. Einen Tag kommt er zur Arbeit, einen Tag nicht, meistens macht er alles nur oberflächlich und seit Leo nicht da ist, macht er fast gar nichts mehr. Ich versteh’s ja irgendwo, er ist grade zwanzig, war wahrscheinlich wenig, wenn überhaupt auf einer Schule und arbeiten ist eigentlich immer uncool. Wenn der Chef dann auch noch nicht da ist… ich bin leider zu deutsch… und die Enkelin meines Opas. Das stelle ich hier häufig fest und ich bin überrascht, viele seiner Wesenszüge in mir wiederzufinden.
Ein anderes Mal untersuche ich die freilaufende Pferdefamilie, als mir auffällt, dass eine der Mütter fehlt. Ich finde sie kurz darauf auf der Seite liegend, in einem Busch gefangen, entweder hat sie versucht drüber zuspringen oder ist hingefallen, wer weiß. Jedenfalls liegt sie da, die Beine sind fest in den Schlingen der Pflanze gefangen, sie kann unmöglich aufstehen. Der große Schwangerschaftsbauch macht die Sache nicht besser. Ich bin heilfroh, dass in diesem Moment Hugo und seine Jungs zum Polospielen da sind, ich hätte nicht gewusst, was ich ohne sie gemacht hätte. Schnell rufe ich sie herbei. Hugo meint, am besten drehen wir sie über den Rücken auf die andere Seite. Gesagt getan, wir binden ein Seil um ihre Beine und zu dritt schaffen wir es, das schwangere Pferd umzudrehen. Sie springt gleich auf und humpelt zurück zu den anderen, aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Ich bedanke mich bei den Jungs, ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen.
Je näher Leos Rückkehr kommt, desto mehr plagt mich der Gedanke meiner Abreise. Alles in mir schreit „Ich will hier nicht weg“. Aber ich weiß, ich kann nicht ewig bleiben. Und der Zeitpunkt ist günstig. Am Ende siegt die Vernunft. Ich sage einem nach dem anderen Bescheid, um es besser in meinen Kopf zu kriegen, trotzdem wird der Abschied schwer. Jeden Morgen mit Vogelgezwitscher und orangenen Sonnenstrahlen aufwachen, endlose Weiten an Natur und Freiheit und jeden Tag Pferde, so viel ich will. Nicht zu vergessen, meine liebe Alba, die mir mittlerweile so ans Herz gewachsen ist. So viele schöne Momente, die ich mit dieser großartigen Frau verbinde und für die ich wahnsinnig dankbar bin. Wir redeten oft stundenlang, vergessen völlig die Zeit und wundern uns, wohin der Tag so schnell verschwindet. Manchmal saßen wir abends vor dem Fernsehen, schauen komische Sendungen und machen uns über die Leute lustig. Mit Engelsgeduld bringt Alba mir jeden Tag mehr Spanisch bei, sodass ich mich am Ende sogar mit dem Tierarzt über kranke Pferde und allerlei unterhalten kann. Ich versuche ihr eines Nachmittags die Haare zu flechten… es geht furchtbar schief. Und nicht zu vergessen, ihren kleinen Hund Quino, der wahnsinnig süß ist, uns aber auch den ein oder anderen unfreiwilligen Nachtspaziergang beschert hat, als wir ihn bei Nachbarn abholen mussten… dabei war das eigentlich immer ganz schön, abends noch mal rauszukommen, die Sterne zu bewundern und noch ein bisschen zu quatschen. Ich werde das alles schrecklich vermissen… und gleichzeitig bin ich einfach dankbar, dass ich es erleben durfte und das die Zeit so schön war.
An meinem vorletzten Tag verbringe ich fast zwei Stunden auf der Weide mit den Pferden. Im Schatten der Bäume hält die ganze Herde ihre Nachmittagssiesta, mittendrin sitze ich und ruhe mich ebenfalls aus. Eins nach dem anderen kommt immer wieder näher, holt sich ein paar Streicheleinheiten, entfernt sich wieder. Es ist so ein Geschenk, dass ich mittlerweile so eine Verbindung und ein Vertrauen zu den Tieren aufgebaut habe. Klar, einige mehr andere weniger. Eine Stute lässt mich bis heute nicht näher als drei Meter kommen, zwei nur, wenn ich schneller bei ihnen bin, als sie weglaufen können. Dafür gibt es ein ganz besonderes Pferd dort, das ich sehr gerne habe: Eine junge Stute, ich nenne sie Estrella (Stern), eigentlich heißt sie anders, ich weiß nur nicht wie. (Jetzt weiß ich’s sie heißt Nina). Wenn sie mich sieht, kommt sie auf mich zu, legt ihren Hals über meine Schulter und will umarmen, kuscheln, spielen ohne Ende. So eine schöner, lieber Charakter, das habe ich selten bei einem Pferd erlebt. Während ich da sitze, weiß ich, das ist der Abschied von meinen Pferden. Zwar habe ich noch den ganzen kommenden Tag, aber es ist dieser Moment, das spüre ich einfach. Ich kam als Fremde, ich gehe und habe 26 neue Freunde gefunden.
Am letzten Tag versuche ich mein Bestes zu verdrängen, dass es der letzte Tag ist und mache alles wie gewohnt. Leo kommt am Nachmittag zurück und ich übergebe die Farm wieder in seine Hände, nicht ohne ihm einzuschärfen gut auf MEINE Pferde aufzupassen. Er verspricht es. Am Abend setzen Alba und ich uns ein letztes Mal mit Tereré (schreibt man sicher anders, ist die kalte Form von Maté) ans Polofeld, sehen Hugo und seinen Jungs beim Spielen zu und beobachten den Sonnenuntergang… bzw. den Mondaufgang. Wir sitzen lange draußen, reden über dies und das, genießen die angenehme Stimmung. Dann geht mein letzter Tag zu Ende.

Wow! Ihr habt bis zum Schluss durchgehalten. Respekt. Hoffentlich habt ihr nicht alles auf einmal gelesen, der nächste Bericht dauert nämlich wieder ein bisschen. Aber keine fünf Wochen 😉
Liebste Grüße
Eure Jana
P.S. … Sicher, dass ihr genug Pferdebilder hattet? Zur Sicherheit: Das ist die komplette Gang:


































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