Das Auto hält an, ich steige aus und öffne das Tor zur Farm… ein letztes Mal. Das Auto fährt durch, ich schließe die Tür hinter uns und wir fahren, hinter mir wird das Tor immer kleiner. Ich schließe für einen Moment die Augen und versuche, mich nicht von meinen Emotionen überwältigen zu lassen. Das Schicksal hilft mir mal wieder und beschert mir eine ganz besondere Rückreise nach Buenos Aires. Am vorherigen Tag hat mir Alba den Kontakt zu meiner Mitfahrgelegenheit vermittelt. Eine Frau namens Wanda betreibt nicht nur ein kleines Nagelstudio im Dorf, sondern verdient sich nebenbei noch ein paar Pesos mit Taxifahrten. Sie musste eh nach Buenos Aires und nimmt mich für einen sehr günstigen Preis einfach mit. Ihre kleine Tochter, die fast dreijährige Octavia, sitzt hinten im Kindersitz. Sie kennt die langen Fahrten und ist bereits gut eingespielt… vor allem auf dem Handy von Mama. Tja, so ist das halt, wenn man Unternehmerin und Mama ist. Wie sollte es sonst gehen?
Vielleicht standen die Sterne falsch oder sie hatte schlecht geschlafen oder es ging ihr nicht gut, aber aus irgendeinem Grund war die sonst so ruhige Octavia heute das genaue Gegenteil. Ein paar Minuten, nachdem wir die Fahrt antreten beginnt sie zu weinen und lässt sich partout nicht beruhigen. Kein Essen, kein Beruhigen, kein Spielzeug, nichts. Wir halten auf einem Rastplatz, Wanda lässt sie aus dem Sitz und Octavia klettert weinend durch das Auto, fast wie ein Tier. Wir verstehen nur leider den Grund nicht. Wanda entschuldigt sich 1000mal bei mir, das ist ihr noch nie passiert. Glücklicherweise habe eine Top-Tanten-Ausbildung und vollstes Verständnis, das einem Kinder einfach manchmal einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Wir fahren wieder los, Wanda nimmt Octavia mit zu sich auf den Fahrersitz für eine kurze Zeit. Ich bin ein bisschen befremdet, ist ja doch ein heikles Unterfangen, aber wir sind eben nicht in Deutschland und wenn es hilft, hilft es. Ich versuche so gut wie möglich zu assistieren, reiche Wasserflasche/Essen/Tücher in die Hand, wie man es als Tante/Beifahrer eben macht. Natürlich kann das nicht die ganze Fahrt so gehen und ich habe schon drauf gewartet, als Wanda mich mit bittenden Augen ansieht. Ich nicke und eine Sekunde später habe ich die Kleine auf dem Schoß sitzen. Am Anfang bleibt sie knautschig und weint, aber nach einer Zeit merkt sie, dass Kindervideos auf meinem Schoß auch interessant sind und für die nächste Fahrtstunde ist Ruhe.
Wir kommen in Stadtnähe, der Verkehr wird dichter. Und dann passiert es: Wanda will mir das Telefon für Octavia zurückreiche, doch ich habe gerade keine Hand frei, da ich das Mädchen ein bisschen anders positioniere. Wir sind für einen Moment unkonzentriert, es kracht und wir sitzen auf der Stoßstange des Autos vor uns. Keine Sorge, es ist nichts passiert, wir waren recht langsam. Wanda legt die Hände vor’s Gesicht auch das noch. Sie steigt aus und muss eine Schimpftirade des Autofahrers vor uns erdulden. Ich kann ihr leider nicht wirklich helfen. Sie machen Fotos vom Schaden (es ist kaum was passiert), tauschen Nummern, dann geht es weiter, doch erst schnallen wir Octavia wieder auf den Rücksitz. Sie weint erst wieder ein bisschen, doch nach kurzer Zeit schläft sie ein. Wanda tut mir richtig leid. Ich versuche sie ein bisschen aufzumuntern, sowas passiert eben von Zeit zu Zeit, wenn man viel unterwegs ist, es war ein blöder kleiner Unfall und es ist nichts Schlimmes passiert. Sie nickt und meint lächelnd, dass ich sie wohl noch lange in Erinnerung behalten werde. Wenn sie wüsste, dass die Geschichte hier im Blog landet und wie viele Leute sie jetzt in Erinnerung behalten… aber sie macht wirklich ganz fantastische Naildesigns zu einem tollen Preis ;-)!
In Buenos Aires angekommen gabeln wir ihre Schwester Lia auf. Wanda bietet mir an, mich bis zu meinem Hostel zu fahren, allerdings müsste ich dann kurz mit auf Einkaufstour kommen. Ich nicke, kein Problem. Kurz waren leider fast zwei Stunden und wir gehen von einem Kosmetikladen in den nächsten. Und ich kann nichts kaufen! Es ist ein bisschen wie ein Süßigkeitenladen, wenn man auf Diät ist. Es ist heiß, mir tun die Füße weh, mein Herz liegt noch auf der Farm und die Fahrt war natürlich gar nicht anstrengend, sodass meine Laune Schritt für Schritt sinkt. Schließlich brechen wir doch auf und Wanda setzt mich am Hostel ab. Lia begleitet mich sogar mit bis nach drinnen, sie lebt/ studiert in Buenos Aires und fährt mit dem Bus zurück nach Hause, wirklich eine liebe.
Das Hostel hat keine Klimaanlage, es hat 35 Grad Außentemperatur, gefühlt 37 Grad Innentemperatur. Es gibt „Vorhänge“ für das Bett, in dem Fall ein Plastikrollo, hinter dem man nach fünf Minuten Atemprobleme bekommt. Die Straße neben dem Fenster ist voll befahren. Alle Alarmglocken schrillen, ich bereite mich auf einen schönen Nervenzusammenbruch vor, der nicht lange auf sich warten lässt. Weinend scrolle ich durch die tausend Pferde- und Sonnenuntergangsbilder, werde von Erinnerungen überwältigt und würde am liebsten sofort zurück. Ich lasse allen Abschiedsschmerz zu, was sein muss, muss sein und verbringe den Rest des Tages, bis auf das Abendessen im Bett.
Wenn man am Gipfel angelangt ist, geht es nur nach unten. Ich denke, das fasst meinen Gefühlszustand ganz gut zusammen. Und es ist vollkommen verständlich. Die ersten Tage habe ich kein Auge für die Stadt, keine Lust etwas zu erkunden, ich erinnere mich kaum, was ich gemacht habe. Meistens liege ich im Bett und gucke Filme (wenigstens das kann ich jetzt wieder, zurück im Reich des Internets). Ich bin traurig, in dem Zustand kann man einfach keine Motivation aufbringen. Während eines Stadtspaziergangs ziehe ich ernsthaft in Erwägung, zurück nach Deutschland zu fliegen. Ich hab überhaupt keine Lust, weiterzureisen, alle Ziele, die sonst eine Welle der Aufregung und Spannung in mir ausgelösten hatten, erscheinen mir trist und sinnlos. Wieder und wieder frage ich mich, ob mich mein Bauchgefühl diesmal nicht auf den falschen Weg geführt hat und ich hätte bleiben sollen. Aber die Stimme in mir bleibt hartnäckig: Traumzeit vorbei, hart bleiben, kein zurück. Eine ähnliche Antwort bekomme ich auf die Frage, ob ich nach Deutschland zurück soll: Traurige Zeiten vergehen wieder, hart bleiben, kein Zurück.
Am ersten Tag suche ich das Grüne, will einen Parkspaziergang machen. Keine zwei Straßen von meinem Hostel kreuze ich eine Straße, die den Namen „Las Heras“ trägt, die Kleinstadt, in der ich mit dem Zug angekommen bin. Im Park komme ich an den Pflanzen vorbei, die in Leos Garten wachsen. Die Erinnerungen schießen auf mich ein und ich beschließe, spontan ins MALBA-Museum gehen, eines der berühmtesten in Buenos Aires. Nicht, dass ich wirklich Lust auf Kunst habe, aber ich brauche ein bisschen Ablenkung. Außerdem sehe ich dort meine ersten echten Frida Kahlo Werke und dafür hat es sich schon gelohnt… von der Klimaanlage mal abgesehen.


Ach und das hier:

Vier Kartoffeln, die eine Uhr betreiben. Alles Kunst.
Die kleinen Parks sind nach Ländern benannt. Ich komme am Plaza Alemania vorbei, und freue mich, ein Stückchen Heimat zu finden… auch wenn ich das Denkmal nicht wirklich verstehe, aber gut.


Endlich komme ich auch mal zu der riesigen metallischen Blume, die sich mit dem Tageslicht öffnet und in der Nacht von selbst schließt, wie auch echte Blumen. Bin schon gefühlt hundert Mal mit dem Uber dran vorbeigefahren, jetzt kann ich sie aus der Nähe sehen.


Eine der ungewöhnlicheren Sehenswürdigkeiten in Buenos Aires ist der japanische Garten. Eine schöne kleine Anlage, alles ins kleinste Detail geformt und gestützt, viel grün, viel Wasser… ich schlendere ganz langsam hindurch und genieße die kleine Oase inmitten der Großstadt. Auch wenn ich hier wieder auf meine alten Feinde treffe: Die Instagramer!




Und, mal wieder nicht zu fassen, trotz eines Schildes, das folgende bitte zu unterlassen:

Also. Für die, die es noch nicht wussten: Unser Wassertrog vor dem Haus ist über 1000 Jahre alt und ihm wurden seit jeher magische Kräfte nachgesagt. Blinde konnten wieder sehen, Lahme wieder gehen, Unfruchtbare wurden schwanger und Vierfach-geimpfte von Corona verschont. Wenn auch du ein Wunder brauchst, komm einfach zu diesem magischen Wassertrog (Mama, füll da mal bitte wieder Wasser auf), wirf fünf bis zehn Euromünzen rein und lass ich überraschen! Es bringt garantiert Glück, man muss nur dran glauben…
Anyway!
An meinem zweiten Abend kommt eine neue Backpackerin an. Alle anderen habe ich geflissentlich ignoriert, ich war sowas von nicht in der Stimmung für soziale Interaktion, aber bei ihr hat mal wieder das Schicksal seine Hand im Spiel. Als sie ankommt, begrüße ich sie spontan, frage sie woher sie kommt und biete ihr Hilfe an, falls sie etwas braucht. Sie wirkt abgekämpft, nickt und kommt erstmal in Ruhe an. Später kommen wir ins Gespräch. Ihr Name ist Molly, sie kommt aus Dänemark und ist grade frisch in Buenos Aires angekommen. Der Flug war hart, lang, sie musste zweimal umsteigen und dann kommt sie in diesem Hostel an, völlig fertig, in der Hitze und der Lärm ist schrecklich. Es ist ebenfalls ihr erstes Mal in Lateinamerika. Mich überkommt das Gefühl der sofortigen Sympathie und ich erkläre ihr ein paar Starterinformationen, wie Handyanbieter, Geld tauschen, wie man sich am besten fortbewegt, dass man nicht von Kriminellen umgeben ist, wie es mit der Sprache funktioniert und und und… Es ist, als wären wir wie geschaffen füreinander, die nächsten Tage zusammen zu verbringen. Sie brauchte dringend eine Stütze für die ersten Tage hier in der neuen Welt, die ich schon ein bisschen kenne und ich brauche dringend eine Freundin. Und Mollis leicht selbstironische, offene und verständnisvolle Art ist absolut kompatibel.
Zeitsprung in die Vergangenheit! An meinem letzten Abend auf der Farm sitze ich mit Alba am Polofeld, wir trinken Mate und sehen der Sonne beim Untergehen und dem Vollmond beim Aufgehen zu. Plötzlich dreht sich Alba zu mir und sagt: Ich weiß, es ist spontan und wahrscheinlich klappt es wegen meinem Schrottauto sowieso nicht, aber hättest du nicht Lust, dass wir beide noch ein paar Tage zusammen wegfahren? Ich bin baff. Eigentlich verspüre ich einen leichten Zeitdruck, bald nach Ushuaia zu kommen, um den Sommer nicht zu verpassen… aber die Gelegenheit auf einen Roadtrip mit Alba an die Küste kann ich mir doch nicht entgehen lassen?! Ich sage zu: Wenn wir das Auto startklar kriegen, bin ich dabei.
Zeitsprung in die Gegenwart. Alba erklärt mir, dass das mit dem Auto etwas komplizierter ist und definitiv noch einige Tage dauern wird. Sie versteht natürlich, wenn ich nicht warten möchte. Ich knabbere ein bisschen, entscheide mich dann aber, zu warten. Und das war eine sehr gute Entscheidung. Spontan miete ich mir ein Airbnb an, eine kleine Wohnung für mich, denn im Hostel halte ich es gerade nicht aus, auch in keinem anderen, besseren. Ich brauche Zeit und Raum für mich. Es klappt, der Preis ist in Ordnung und am nächsten Tag ziehe ich um. Ich habe mir wieder ein kleines Stück Ruhe zurück erobert und meine Laune verbessert sich schlagartig. Die Kombination aus einer guten neuen Freundin, mit der ich regelmäßig etwas unternehme und dem kleinen Apartment, dass sich wie ein Luxushotel anfühlt, geben mir genau die Zeit und die Pause, die ich benötige, um wieder zurück in das Reiseleben zu finden.
Das war der leicht negative Teil meiner Zeit in Buenos Aires, im nächsten Artikel folgt ein bisschen mehr Optimismus und Action!
Liebste Grüße
Eure Jana
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