Hallo liebe Leserinnen und Leser,
ich bitte tausendfach um Entschuldigung, dass es so lange gedauert hat. Leider gab es größere technische Probleme und über Ostern war in Deutschland kaum jemand erreichbar. Jetzt ist alles wieder da und ein bisschen anders schaut’s auch aus. Die Ebbe ist vorbei, jetzt kommt eine Flut von Artikeln, da ich euch natürlich weit vorausgereist bin. Aber keine Sorge! Alles in kleinen Stückchen, leicht verdaulich, nicht dass mir hier jemand eine Überdosis bekommt. Denn eure regelmäßige Einschlafsdroge ist endlich zurück, neu und verbessert!!!
Wir steigen wieder allesamt in Albas kleinen alten Renault, warten wie immer, dass das Auto anspringt (durchschnittlich 3-5 Anläufe sind normal) und fahren dann langsam und sehr laut los. Alba am großen alten Lenkrad, ich auf dem Beifahrersitz, dessen Tür man nicht absperren kann und hinten Quino auf seinem Schlafkissen, der den Kopf aus dem Fenster steckt und den Fahrtwind genießt. So verlassen wir meine geliebte Farm und das kleine Dorf Villars.
Alba und ich sind ein bisschen angespannt, immer auf Habacht, ob irgendetwas komisch klingt (also noch lauter oder ein neues Klappergeräusch zusätzlich zu den 15 anderen) und immer mit einem Auge auf Ölstand und Wassertemperatur. Aber soweit läuft alles ganz gut.
Kopilot bei einem Roadtrip zu sein kommt mit vielen Aufgaben. Erstens und am wichtigsten: Den Fahrer mit Essen und Trinken versorgen, alles wird in die Hand gereicht, sodass der Fahrer nie die Augen von der Fahrbahn nehmen muss. Dann natürlich die Navigation und Unterhaltung. Meine eiserne Regel ist normalerweise, wer fährt, darf die Musik auswählen, aber wir fahren größtenteils ohne (gibt kein Radio oder Ähnliches). In Argentinien kommt eine weitere Aufgabe dazu, die ich jetzt endlich lernen darf: Mate. Bis jetzt habe ich nur Mate getrunken, nun wird es Zeit das Getränk zuzubereiten. Natürlich in einem fahrenden und ruckelnden Auto, mit nichts, wo man mal etwas abstellen kann, aber alles andere wäre ja mal wieder zu leicht gewesen. Also gut, zuerst ein bisschen Zucker in den Thermobecher, dann den Becher mit den „Kräutern“ füllen (Mate ist übrigens der Begriff für den typischen Becher, aus dem getrunken wird, nicht für die Kräuter, scheiße, ich hab den Trinkhalm vergessen), Trinkhalm nachträglich in die Kräuter schieben, nächstes Mal besser aufpassen, noch ein paar Zuckerkristalle obendrauf und dann heißes Wasser aufgießen (in dem fahrenden, ruckelnden Auto). Der erste geht immer an den/die Gebende/n, der nächste geht an Alba und so tauschen wir hin und her. Nach dem zweiten ruft Alba „Galletitas“ (Kekse), die man normalerweise dazu isst, und mein Multitasking wird erweitert. Am Anfang vergesse ich ständig irgendwas, aber schon bald hab ich den Dreh raus und gebe den Mate für den Rest unserer Reise aus.
Die blaue Lampe auf meiner Seite leuchtet auf, der Ventilator in der Motorhaube springt an. Ein Signal, dass das Wasser zu heiß ist. Wir suchen einen Schattenplatz und machen eine Pause, damit sich das Auto abkühlen kann. Auch wir drei machen eine kleine Siesta. Der Ort könnte schöner sein, alles ist ziemlich vollgemüllt und neben uns liegen die Überreste eines lange toten Schafes. Rastplatz in Argentinien. Aber es ist schattig und auf den breiten Steinbänken kann man ganz gut liegen.
Nach einer Stunde fahren wir weiter, doch das Licht leuchtet nach zehn Minuten wieder auf. Der Mechaniker hat Alba erklärt, dass die Anzeige nicht immer ganz die Wahrheit spricht und das Wasser auch in Ordnung sein könnte, aber wir fahren eh schon auf Messers Schneide und wollen nichts riskieren. Wir halten noch drei bis vier Mal an, immer mindestens eine halbe Stunde im Schatten. Natürlich spielt auch die Hitze der Sonne eine Rolle, sobald die untergeht, wird es besser. Eigentlich wollte Alba nicht im Dunkeln fahren, aber bis zu unserem Zwischenziel ist es noch eine Stunde und uns bleibt nicht wirklich eine Wahl. Die Lichter des Renault sind schwach, jedes Mal, wenn uns ein LKW entgegenkommt sind wir fast blind, aber schließlich erreichen wir unser Zwischenziel, die Stadt Guaminí.
Es ist windig und frisch auf dem Campingplatz, zum ersten Mal während meiner bisherigen Reise, hole ich meinen großen schwarzen Kapuzenpulli heraus. Wir bauen das Zelt auf, kaufen uns in einer kleinen Bude was zu essen und gehen bald darauf schlafen. Die erste Nacht in einem Zelt schlafe ich nie wirklich gut, mein Körper muss sich erst an alles gewöhnen. Trotzdem ist es schön in der Natur aufzuwachen und als erstes die frische Luft zu atmen.
Nachdem wir beide im Bad waren, drehen wir eine kleine Runde mit Quino, der immer im Auto schläft. Für ihn ist die Reise Fluch und Segen zugleich: Einerseits wird sein neugieriges Wesen mit tausenden neuen Eindrücken gefüttert und man merkt richtig, wie er Spaß am entdecken hat. Andererseits wird das Klima von mal zu mal kälter und da er kein Fell hat, zittert er die Hälfte der Reise wie ein Wackeldackel. Das Problem ist, dass er, sobald ein anderer Hund im Spiel ist, hören und sehen vergisst und überhaupt nicht mehr auf uns beide reagiert. Er ist halt noch jung, aber leider müssen wir ihn so auch ständig an der Leine lassen. Neben uns liegt die riesige Laguna del Monte, an der wir ein Stück entlang spazieren und entsetzt sind, wie niedrig das Wasser ist. Die Auswirkungen der Dürre im Sommer sind hier deutlich zu sehen.
Wieder zurück am Zelt kommt ein Mann mit einem gelben Fahrrad angeradelt, einen Wasserkocher im Korb. Ob wir heißes Wasser für den Mate brauchen. Wahnsinn, dass das tatsächlich ein Service ist. In jedem Café, jeder Tankstelle, jeder Essensbude und auch hier mobil am Campingplatz, kann man heißes Wasser für Mate erwerben. Und natürlich brauchen das alle Camper. Wir sind zwar nur zu viert oder so, aber alle vier nehmen den Service gerne an. Neben uns parkt ein riesiger Truck mit einem mobilen Zuhause, der fast ein bisschen militärisch wirkt, aber auch recht neu und perfekt ausgestattet. Meine Nasenhaare zucken… das können nur Deutsche sein. Und natürlich habe ich recht. Ich spreche die zwei Männer kurz an, sie kommen aus der Münsterregion und fahren Richtung Süden. Ich erkläre ihnen kurz die Sache mit dem Geldwechseln, sie danken mir für den Tipp, dann gehe ich zurück zu Alba. Wir frühstücken, packen das Zelt zusammen und sehen sorgenvoll nach oben… es sieht nach Regen aus.
Kurz nachdem wir losfahren, wird die Wolke schwärzer und schwärzer. Es sieht mystisch und gruselig und wunderschön aus, doch bald darauf regnet es in Strömen auf uns herab. Der schwachen Scheibenwischer haben Mühe, die Sicht freizuhalten. Nach kurzer Zeit geben wir auf und halten an der nächsten Möglichkeit an, warten den Regen ab. Als das Schlimmste vorbei ist, geht es weiter nach Carhué, das eine knappe Stunde von Guaminí entfernt liegt. Uns wird beiden klar, dass das zelten heute Nacht schwierig werden könnte. Wir fahren trotzdem ein paar Campingplätze ab, entscheiden uns aber letztendlich für das einzige Hostel der Stadt, in dem Alba vor etwa einem Jahr schon mal übernachtet hat. Alles andere hätte keinen Sinn. Es regnet den ganzen Tag, wir wären im Schlamm versunken. Das Hostel ist eines der besten Hostels, in denen ich je war, zu einem völlig normalen Preis. Küche und Bad sind blitzsauber, die Matratzen neu, die Zimmer stilvoll eingerichtet, richtig schön und kuschelig. Die Betreiberin ist ein Sonnenschein und wir fühlen uns pudelwohl. Quino darf auch mit reinkommen, wir sind die einzigen Gäste. Eigentlich wäre eine Gruppe von 12 Leuten gekommen, die haben aber spontan abgesagt… Glück für uns, das Hostel hat nur 12 Betten.
Wir machen uns einen schönen Abend, essen entspannt und gucken einen Film zusammen, dann fallen wir müde in die schönen, weichen Betten.
Am nächsten Tag geht es zu der ersten Sehenswürdigkeit, die wir auf dem Plan hatten: Den See und den Ort Epecuén. Erste Station ist nahe Carhué, der ehemalige Friedhof Epecuén. Eine Allee aus toten schwarzen Bäumen säumt den Weg dorthin… verbunden mit dem grauen Wetter sieht es richtig schaurig aus. Ich bin ganz schön beeindruckt (und auch ein bisschen schockiert), als wir ankommen und auf den Friedhof spazieren. Um uns herum, die Gräber und „Grabtempel“ (wie in Recoleta) sind komplett zerstört. Nur vereinzelt stehen noch ein paar Wände, dort wo einst die Särge standen ist nur noch Sand. Im hinteren Teil, bei den „normalen“ Gräbern, ist es etwas besser, aber man findet nur noch wenige Inschriften.





Was ist hier passiert?
In den 20er-30er Jahren ist Epecuén ein beliebtes Reiseziel für ganz Argentinien. Der See hat einen hohen Salzgehalt, sowie thermale Quellen. Ein Hotel steht neben dem anderen, die Straßen sind voll, der Sommer an DEM Kur-und Badeort ist in vollem Gange.
Der See Epecuen ist in einer Reihe von sechs Seen im Norden, der am niedrigsten gelegene. In den 40er – 50er Jahren hatte der See einen ungewöhnlich niedrigen Wasserstand, sodass man beschloss, einen Verbindungskanal zu den anderen Seen zu bauen, die den See von ihrem Wasser wieder füllen sollte. Funktionierte soweit auch alles gut.
In den 80er Jahren stieg der durchschnittlicher Niederschlag wieder an, die Seen füllten sich einer nach dem anderen auf und drückten ihr überschüssiges Wasser nach unten in den See Epecuén. Am 10. November 1985 kommt es zur Katastrophe: Die Dämme brechen, das Wasser steigt rasant an und dringt unaufhaltsam in die Stadt Epecuén ein. Den Bewohnern bleibt nichts übrig. Sie müssen alles zurücklassen, fliehen und zusehen, wir ihr gesamtes Leben binnen weniger Stunden in den Fluten des Sees verschwindet. Über 25 Jahre bleibt die Stadt zehn Meter tief im See versunken, ebenso wie der Friedhof. Die meisten fliehen nach Carhué, dort trifft man heute einige, die sich hier ein neues Leben aufgebaut haben. Unsere Hostelbetreiberin erzählt, ihre Eltern hatten ein Hotel in Epecuén, das Hotel Azul. Durch die Dürre der heutigen Zeit ist der Wasserstand wieder weit genug zurück gegangen und der See hat den Ort wieder freigegeben… vollkommen zerstört. Heute sind Besichtigungen möglich, man hat die Straßen weit genug freigelegt, dass man durchlaufen kann. Dort verbringen Alba und ich den Nachmittag. Wir laufen ehrfurchtsvoll durch die Ruinen, lesen vereinzelte Geschichten zu den ehemaligen Gebäuden, sehen uns die Fotos an von den lebendigen Zeiten der 20er – 30er Jahre. Eine Geschichte berührt mich besonders: Eines der Hotels wurde erst ein paar Jahre vor der Flut in Betrieb genommen, topmodern mit allem Luxus, den man sich vorstellen kann. Als die Flut unaufhaltsam die Stadt einnahm, weigerte sich der Inhaber das Gebäude zu verlassen und blieb so lange wie möglich auf dem Dach, fest entschlossen, sein Hotel nicht aufzugeben.




Wie schlimm es sein muss, zuzusehen, wie das ganze Leben(swerk) binnen Stunden im Wasser versinkt.


Wieder entdecken wir die toten, schwarzen Bäume, durch das Salz des hochstehenden Wassers sind sie versteinert worden. Eine Katastrophe, von der der Rest der Welt gefühlt kaum etwas weiß. Vor allem, wenn man bedenkt, wie schön und lebendig es hier mal war… naja… schön ist es irgendwie immer noch. Vor allem in der tiefstehenden Nachmittagssonne, als wir durch die alten Straßen spazieren.



Abends fahren wir zurück zu einem der Campingplätze, die wir am vorherigen Tag besichtigt haben und der etwas abgelegen in einem kleinen Waldstück liegt. Heute ist das Wetter trocken genug… die erdige Straße dorthin allerdings noch nicht. Wir geben unser bestes, den Pfützen auszuweichen, doch es kam, wie es kommen musste: Wir kommen zu nah an den Rand der Straße und versinken mit einem Reifen tief im Schlamm. Warum auch immer, ich finde die Situation eher aufregend als besorgniserregend. Wir ziehen die Schuhe aus, krempeln die Hosen hoch und machen uns daran, Sträucher und Äste von der umstehenden Fauna abzubrechen und unter die Reifen zu stopfen. Als Kind habe ich es geliebt im Schlamm rumzumatschen, überraschenderweise hat sich daran wenig geändert. Kurz darauf kommt auch schon ein Jeep vorbei, der anhält und uns mit einem Seil aus der Panne hilft. Abenteuer vorbei, ist aber auch gut so. Wir waschen uns in einer Pfütze und fahren den Rest des Weges zum Campingplatz hinter dem Jeep her, falls nochmal was passiert. Läuft aber alles glatt.

Wir suchen uns einen schönen Platz, bauen das Zelt auf, waschen uns, essen, gehen schlafen. Mittlerweile sind wir gut eingespielt und diese Nacht schlafe ich sehr gut. Auf dem Campingplatz laufen Pferde frei herum, die Sonne scheint am nächsten Tag durch die Blätter, wir wachen im Grünen auf… es ist perfekt. Während Alba einen Videocall hat, gehe ich den Tag ganz ruhig an und packe schonmal so weit wie möglich zusammen. Ausgeruht und gutgelaunt fahren wir weiter Richtung Süden in ein märchenhaftes Gebirge, das sich wie aus dem nichts vor uns aufbaut: Sierra de la Ventana.
Aber das lest ihr im nächsten Artikel 😉
Liebste Grüße
Eure Jana
No responses yet