Es geht weiter, liebe Leser*innen,
Nach einer relativ angenehmen Siesta im Bus, steige ich bei einem Stopp kurz aus, um die Landschaft zu genießen. Leider sind im Bus mal wieder die Scheiben beschlagen, sodass man von innen nur wenig sieht. Allerdings nur kurz, es ist nämlich kalt.




Der Bus bringt uns am Abend in den kleinen und wohlklingenden Ort Puyuhuapi. Auch hier war eine längere Übungszeit erforderlich, bis ich das aussprechen konnte, aber ab dann fand ich’s richtig schön. Puyuhuapi…Puyuhuapi.. Puyu… okay, ich hör auf.
Puyuhuapi (! sorry) liegt am Pazifik… und bietet mir das erste Mal die Chance, den größten Ozean der Welt zu besuchen. Ich nehme mir fest vor, bei Gelegenheit zum Ufer zu gehen. Zuerst heißt es aber wieder, Unterkunft suchen. Maria und ich trotten mit den Rucksäcken los, in der Hoffnung, ein freies Plätzchen zu finden. Puyuhuapi ist relativ klein, vom einen Ende zum anderen läuft man keine zwanzig Minuten. Wir gehen deshalb ein Stück weiter und klopfen schließlich an die Tür eines gemütlich wirkenden Gasthauses. Wieder öffnet uns eine Wirtin. Vor uns sind noch zwei andere Gäste, die reserviert haben, für uns hat sie wieder nur ein Zimmer mit Doppelbett. Das passt für uns, leider gibt es keine Küche. Wir überlegen hin und her, beschließen aber doch, zumindest eine Nacht hier zu bleiben. Die Wirtin führt uns nach oben in eine gemütliche Ferienwohnung, die wir uns mit den beiden anderen Gästen teilen. Es ist geräumig, schön warm, man kann sich jederzeit Tee kochen, das Zimmer hat eine Heizung und ist bequem. Wir beschließen, auch die zweite Nacht hierzubleiben, dann gibt’s halt kalte Küche. Bei einer warmen Unterkunft kein Problem. Außerdem klopfe ich bei den beiden anderen Gästen und erkläre, dass wir morgen zu einem Nationalpark wollen, ob sie nicht Lust hätten mitzukommen und uns die Taxikosten zu teilen. Sie sagen erfreut zu.
Maria und ich beschließen, heute in ein Restaurant zu gehen, es ist schon spät und wir haben richtig Hunger. Wir lassen uns von der Wirtin etwas empfehlen und fragen auch gleich, ob sie einen Kontakt zu einem Transport zu dem nahegelegenen Nationalpark Queulat hat. Sie gibt uns einen Kontakt und schickt uns zu einem Restaurant, dort gibt es auch jemanden, der Kontakte hat. Außerdem hat sie eine Auflistung der Busse mit Abfahrtszeiten für unsere Weiterreise. Sehr praktisch. Dennoch spüren wir unterschwellig diesselbe Distanzierheit. Es fühlt sich ein bisschen an, wie der Besuch bei einer strengen Tante, die zwar freundlich ist, aber bei einem Fehltritt plötzlich ganz andere Saiten aufzieht… erneut fühle ich mich unwillkommen. Wir bedanken uns und gehen los. Das empfohlene Restaurant ist eher eine Bäckerei und hat zu. Es steht auch bei den Öffnungszeiten, dass es Samstag immer geschlossen hat. Warum hat sie uns empfohlen hier hinzugehen?
Glücklicherweise finde ich einen Whatsapp Kontakt von einem Otto Uebel (deutsche Namen sind hier recht verbreitet – Aber der Name hat’s schon in sich). Spontan schicke ich Herrn Uebel eine Sprachnachricht, ob er der richtige Kontakt wegen eines Transports ist und falls ja, ob er uns morgen dorthin fahren könnte. Während wir auf eine Antwort warten, laufen wir durch das Dorf auf der Suche nach einem anderen Restaurant. Es stellt sich heraus, dass Google hier sehr unzuverlässig ist und heute (Samstag Abend) absolut alles geschlossen hat. Wir gehen also doch in einen Supermarkt, um einzukaufen, da meldet sich Otto Uebel: Wir sind falsch bei ihm, er ist hier nur der Bäcker, aber er leitet uns ein paar Kontakte weiter, die uns dort hinfahren können… es folgen fünf WhatsApp Kontakte… so viel Auswahl hatte ich noch nie! Ich nehme mir fest vor, wenn ich wieder etwas brauche, einfach beim Bäcker nachzufragen. Ich bedanke mich bei ihm und entschuldige mich für die Störung, die für mich jedoch ziemlich erfolgreich war.
Zuhause beginnen wir uns Tomate, Avocado, Weintrauben, Käse und Brot zusammenzuschnibbeln, während ich meine Transportanfrage an alle Kontakte schicke, die ich jetzt habe. In kürzester Zeit habe ich vier Antworten mit diversen Preis- und Zeitangeboten und ich suche mir die beste Option raus. Dann verkünde ich der Gruppe, dass wir unseren Transport haben, der uns morgen um 11 hier abholt und zum Nationalparkt bringt.
Wir essen und ich sehe mir die Busverbindungen an, um die weitere Reise ein bisschen zu planen. Bei der Beschreibung, wo man die Tickets kaufen soll, muss ich plötzlich lachen. Die Optionen sind entweder im Bus direkt, im Supermarkt oder: „Im Foodtruck neben dem Tourismusoffice“ Ich lese es laut vor und wir müssen alle lachen: Dorfleben. Wenigstens steht es hier und man muss es nicht selbst suchen.
Unsere Begleiter sind Lily und Kyle. Beide gebürtige Amerikaner, Lily lebt schon seit längerer Zeit in London und Kyle in Santiago. Sie sind langjährige Freunde und Lily besucht Kyle in Chile und wollte unbedingt Patagonien kennenlernen. Wir verstehen uns richtig gut und verbringen einen entspannten Abend zusammen, ich gehe aber trotzdem schon etwas früher ins Bett.
Am nächsten Morgen geht es nach einem entspannten Frühstück los. Unser Taxi ist ein junges Mädel mit lila Haaren und sehr sympathisch. Sie erklärt, dass sie eigentlich kleine Filme dreht und kreativ arbeitet, nach der Pandemie aber wieder in ihr Heimatdorf zurückgekehrt ist und sich jetzt mit dem Fahrservice etwas dazuverdient. Wir vereinbaren, dass wir nach der Rückfahrt im Laden ihres Vaters mit Karte bezahlen können. Der Parkeingang liegt etwa eine halbe Stunde Autofahrt von Puyuhuapi entfernt, man muss sich auch hier vorher im Internet anmelden und Eintritt zahlen. Dann fahren wir noch ein Stück weiter bis zum Ausgangspunkt der Wanderung. Wir vereinbaren eine Uhrzeit zur Abholung, unsere Taxifahrerin weiß, wie lange die Wanderung ungefähr dauert und wird dann auf uns warten.
Wir ziehen los. Zuerst geht es zu einem Aussichtspunkt. Wir befinden uns hier in den tropischen Anden. Auch wenn wir in Patagonien weit von der Tropenzone entfernt sind, die Pflanzenwelt hier ähnelt deutlich der tropischen Vegetation und wir fühlen uns plötzlich wie nach Bolivien oder Brasilien versetzt. Nur die frischen Temperaturen erinnern noch daran, dass wir in Chile sind. Beeindruckt von der umgebenden Natur lassen wir uns Zeit.











Das Highlight unserer heutigen Wanderung ist der Weg zu einem Gletscher, den wir zwar nur aus der Ferne/ Nähe beobachten, aber der trotzdem wunderschön ist. Es ist ein hängender Gletscher, der zwischen den Bergen über einem Fluss hängt. Leider hat er sich über die Jahre ganz schön zurückgebildet, aber noch ist er schön zu sehen. Wenn das Wetter mitspielt. Vom Aussichtspunkt sieht man den Gletscher in weiter Ferne, auf dem Handy ist es nicht soo gut zu erkennen, deshalb warte ich mit den Bildern, bis wir näher rankommen.
Wir machen uns auf den Weg zum richtigen Wanderweg und überqueren zuerst einen wilden Fluss, der sich aus dem Gletscher speist:




Es dürfen immer nur vier Leute gleichzeitig auf die Hängebrücke. Wir lassen uns Zeit, machen Fotos, Videos, aber schon bald kommen die nächsten Wanderer. In der Beschreibung im Internet stand der Weg als einfach klassifiziert. Das ist er zunächst auch. Wir folgen dem Pfad durch den Wald, der langsam und stetig ansteigt, machen viele Stopps für Fotos, weil uns absolut unglaubliche Natur umgibt. Riesige, unendlich hohe Bäume, mit Ranken und Moos umwachsen, umgefallene Stämme, vereinzelt bunte Farbtupfer durch Blumen, Beeren oder Pilze. Mich fasziniert besonders die Struktur des Holzes oder der Wurzeln, die oft wirken, als wären sie lebendig…


















Wir kommen auf einer kleinen Aussichtsplattform an und machen dort eine kleine Pause. Gerade in den letzten Metern war doch ein bisschen Steigung dabei… und davon liegt auch noch einiges vor uns. Leider ist Kyle nicht der erfahrenste Wanderer und seine Schuhe versagen ihm öfters den Dienst. Dazu kommt, dass der Boden matisch, nass, verwurzelt ist… für mich wie ein Spielplatz, für ihn eine ständige Stolperfalle. Ich gehe voran, deshalb bekomme ich nicht so viel mit, Maria erzählt mir später, er wäre oft hingefallen. Es tut mir richtig leid, ich kenne das Gefühl, nicht hinterher zu kommen und halbtot hinterherzuhecheln, während andere nahezu mühelos nach oben rennen. Ich versuche, langsamer zu gehen, habe aber leider auch ein Auge auf die Zeit… unser Taxi erwartet uns schließlich zu einem gewissen Zeitpunkt zurück… und bis jetzt habe ich nicht die freundlichsten Erfahrungen mit Chilenen gemacht, wenn man zu spät kommt oder etwas nicht nach Plan läuft. Natürlich gibt es kein Internet, dass ich hätte Bescheid geben können. Aber noch sind wir halbwegs in der Zeit, also passt schon. Wir genießen die Aussicht und kommen zu Atem, dann geht es weiter durch den tropischen Andenwald.







Der Weg führt uns über Wurzeln, Stämme, matschige Pfade und Pfützen, aber alles halbwegs gut begehbar. Für mich persönlich ist der Weg ein Traum, genau das richtige Anstrengungs- und Spaßniveau mit einer unfassbar schönen Natur. An einer steinigen Stelle wird der Weg zu einem Bach, an der Felsenseite tropfen kleine Wasserfälle herunter. Es ist wunderschön… aber ich denke besorgt an Kyle. Ich gehe trotzdem weiter voraus, kämpfe mich Meter um Meter nach oben, sorge mich um die Uhrzeit, der Weg scheint kein Ende zu nehmen. Doch plötzlich lichtet sich der Wald und ein kleiner Unterstand kommt zum Vorschein: Ende des Weges. Aussichtspunkt auf den Gletscher. Geschafft! Und man sieht:

Nichts als Nebel. Na super! Und dafür haben wir uns hier hochgekämpft. Ich seufze mal wieder über Patagonien, vor allem den Herbst. Es können die schönsten Aussichten der Welt sein… aber man braucht das Glück der Wettergötter, sonst arbeitet man für nichts und wieder nichts.
Ich esse einen Apfel und warte auf die anderen und siehe da: Als der Rest der Gruppe ankommt, lichtet sich der Nebel und bietet ein wunderschöne Aussicht auf das Juwel des Nationalparks Queulat:



Die Fotos sind wie immer schlecht, die Realität war wahnsinnig beeindruckend. Wir genießen die Aussicht, essen, trinken, ich biete Kyle meine Wasserflasche an. Dann erkläre ich den anderen, dass wir mittlerweile schon sicher zu spät kommen. Natürlich müssen wir vorsichtig sein auf dem Rückweg mit den vielen rutschigen Stellen, aber wenn möglich, sollten wir doch nicht allzu lange bleiben. Ich hasse es selbst, so auf die Zeit zu drücken, wenn man schon mal hier ist, sollte man es auch genießen können… aber unsere nette Taxifahrerin endlos warten zu lassen, ist ihr gegenüber auch nicht fair.
Ich gehe wieder voran, lasse mir Zeit, beantworte während des Weges einige Audionachrichten und genieße die Ruhe, ich bin die größte Zeit alleine unterwegs. Ich habe vor als Vorbotin schonmal früher dort zu sein und anzukündigen, dass die anderen noch etwas länger brauchen. Trotzdem nutze ich die Gelegenheit, dass wir eh schon zu spät kommen, um noch ein paar Fotos zu machen:






Über eine Stunde nach unserer vereinbarten Zeit, komme ich als erste am Parkplatz an. Unsere Taxifaherin sitzt im Auto und liest, sie wirkt entspannt. Ich klopfe an die Scheibe und vergrabe das Gesicht in den Händen, glücklicherweise lacht sie freundlich. Ich erkläre, dass es doch anstrengender war als gedacht und die anderen noch ein bisschen hinter mir sind, sie nickt, meint, das ist kein Problem. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Das ist eine der wenigen freundlichen Reaktionen, die ich in meiner ganzen Zeit in Chile erlebt habe. Ich beschließe draußen zu warten, bis die anderen auftauchen.
Und kann währenddessen noch ein paar Bilder von den tollen bunten Beeren machen, die hier überall wachsen:





Etwa eine viertel Stunde später tauchen die anderen auf und ich beruhige sie gleich, dass alles in Ordnung ist. Sie atmen ebenfalls auf, bei ihnen ist auch alles okay und so machen wir uns auf den Rückweg mit unserer netten Taxifahrerin. Die Musik im Auto gefällt mir richtig gut, ich frage nach, was es genau ist: Nennt sich „Ritmo del Sur“ ist ein Mix aus Folklore und Clubbeat, ideal als Hintergrundmusik der etwas anderen Art. Hört bei Gelegenheit mal rein!
Zurück in Puyuhuapi bringt uns die Taxifahrerin zum Laden ihres Vaters… der Bäckerei von Otto Uebel… ich bin fassungslos. Ist das der geheime Mafia-Boss der kleinen Dörfer, der alle Kontakte hat und zu dem alles zurückfließt?
Ich sehe mir das Schild an, auf dem ich gestern die Nummer notiert habe… da steht Av. Otto Uebel… es ist ein Straßenname… und ich hab den Dorfbäcker so angesprochen. Ich muss über meine eigene Blödheit lachen, aber den Mafiaboss Otto Uebel aus Puyuhuapi behalten wir noch lange als Gag in Erinnerung.
Am nächsten Morgen müssen wir schon früh raus, Busabfahrt ist um sechs Uhr früh. Das nächste Ziel ist Chaiten (nicht zu verwechseln mit El Chaltén aka dem FitzRoy), eine Kleinstadt weiter im Norden. Dort erwartet uns eine besondere Wanderung… vulkanischen Endes.
Als wir das Dorf verlassen, beiße ich mich in den Arsch: Ich hab vergessen, den Pazifik anzufassen!!
Gott sei Dank liegt Chaiten auch am Pazifik… Glück gehabt.
Liebste Grüße,
Eure Jana
No responses yet