Liebste Leser*innen,

Wir sind zu viert und ich kann mich nur noch an einen Namen erinnern: Sachi, aus Israel, jemand aus Belgien (oder den Niederlanden?) und eine Argentinierin. Und ich. Das Taxi fährt uns über eine sehr steinige und holprige Straße recht weit nach oben auf den Cerro Piltriquitrón. Was ein bisschen wie ein Anti-Held aus Transformers klingt, ist eigentlichder „Hausberg“ von El Bolsón und wird liebevoll „Cerro Piltri“ genannt – der Gipfel, der über die Stadt wacht.

Das Taxi setzt uns ab und wir beginnen den Aufstieg, noch im Schatten, noch in der Kälte. Im Tal über El Bolsón hängt ein Wolkenmeer, darüber ein klarer Himmel.

Die Wegränder und die Pflanzen sind von einer schmalen Eisschicht umrandet. Unser erstes Ziel ist der „Bosque Tallado“, ein herbstlicher Wald, der etwas ganz besonderes zu bieten hat.

Wir bestaunen die kunstvollen Figuren und die Kreativität, jeden Baum seiner Form nach in etwas anderes zu schnitzen. Hinter einer Holzabsperrung sehen wir noch mehr Figuren, beschließen allerdings, auf dem Rückweg vorbeizuschauen, wenn die Sonne da ist. Und wenn wir noch Zeit haben.

Es geht weiter nach oben. Ich hab wieder im Vornherein angekündigt, dass ich nicht die schnellste Wanderin bin und dass die anderen gern vor gehen können, wenn sie wollen. Tun sie nicht. Wir erreichen das Refugium und legen dort nochmal einen kleinen Stopp ein. Die Argentinierin hat bereits angekündigt, dass sie uns nur bis hier begleiten wird. Sie hat keine Wanderschuhe dabei und will keinen Sturz riskieren. Sie wird den Tag hier verbringen, Mate trinken, die Sonne genießen. Im Refugium kann man warme Getränke und kleine Snacks bestellen, übernachten und vor allem, sich für den Gipfel anmelden. Ja, anmelden und auf dem Rückweg wieder abmelden, für den Fall, dass etwas passiert. Sehr verantwortungsvoll… aber ob man dann tatsächlich gerettet wird, oder ob es eineFormalität wie beim Grenzübergang ist, das stelle ich hier mal infrage. Egal, wir melden uns drei an, essen noch etwas, genießen die Aussicht:

Und beginnen dann mit der Sonne den richtigen Aufstieg zum Gipfel. Die Stimmung ist gut, wir unterhalten uns viel, das Tempo ist angenehm. Der erste Teil geht wieder durch Lenga-Bäume, die wir gut aus Ushuaia, dem FitzRoy und dem Rest von Patagonien kennen. Mittlerweile liegt der Großteil braun auf dem Boden, weil der Herbst schon weit fortgeschritten ist. Die Sonne wärmt uns gut auf, sodass ich bald ein Jackenschicht ablege. Nach dem Wald haben wir einen guten Blick auf die umliegenden Gipfel und ins Tal und der Weg wird flacher.

Wir folgen dem Weg eine ganze Weile lang durch die Hochebene und treffen einen kleinen Gebirgsbach, in dem eine Wasserleitung liegt, vermutlich fürs Refugium. An einer Stelle hat die Leitung ein Loch und um den Wasserausfluss hat sich eine Eisschicht über das Gras gebildet. Tolles Foto:

Das hier auch 😉

Eine der wenigen Pflanzen die in dieser feindlichen Umgebung trotzdem noch wächst. Ich finde das immer wieder faszinierend, wie sich die kleinen grünen Sträucher hier oben durchschlagen. Und dann schauen sie auch noch so schön aus.

Unser Weg folgt dem kleinen Bach und wird wieder steiler. Dann beginnt der letzte Aufstieg. Vor uns liegt ein sehr steiles Geröllfeld, mit einem schmalen Weg, der stetig nach oben führt. Ich gehe voraus, schalte in meinen erprobten Wandermodus und arbeite mich mit Mini-Schritten langsam aber stetig nach oben. Mein Körper findet seinen Rhythmus in Bewegung, Atmung, Herzschlag und ohne nach vorne oder hinten zu sehen gehe ich immer weiter. Irgendwann drehe ich mich um und entdecke die anderen beiden weit unter mir. BINGO!!! Doch langsam eine passable Wanderin. Ich lasse mir mehr Zeit, atme ein paar Mal öfter durch, vor allem weiter oben. Die Sonne brennt unnachgiebig auf uns herab. Endlich erreiche ich die Felsen, hinter denen der Weg vorbeiführt und die eine ganz schöne Kletterpartie erfordern. Ich ziehe mich Schritt für Schritt, schwer atmend nach oben und erreiche schließlich mit ein paar letzten kräftigen Schritt das Ende des Weges. Wieder ist der Wind beißend und eiskalt, pustet die Hitze der Sonne weg, sodass es schnell kalt wird, sobald ich aufhöre mich zu bewegen. Ich warte, bis die anderen beiden da sind und bekomme dann erklärt, der Weg geht noch weiter, da drüben ist der eigentlichen Gipfel…

?!?! Schon wieder?! Ist es mein Schicksal, immer wieder auf dem falschen „Gipfel“ das Erfolgsgefühl zu haben, nur um dann zu erfahren, dass es eigentlich noch weitergeht? Komm schon!

Na gut, dann eben noch die letzten paar Höhenmeter hoch. Es geht durch noch instabileren Schotter und Schnee bis auf einen kleinen Gipfel, auf dem kaum Platz für acht Leute ist. Ein paar andere Wanderer machen Platz für uns und wir setzen uns atemlos auf den Gipfel: Geschafft!!

Ich suche mich einen windgeschützten Platz und atme die Anstrengung weg. Gleich danach creme ich mir das Gesicht ein, denn die Sonne brennt nach wie vor mit gewohnter südamerikanischer Intensität. Auch die anderen beiden cremen sich ein. Dann genießen wir die hart verdiente Aussicht.

Vor uns liegt El Bolsón, mittlerweile hat sich der Nebel verzogen und wir können die Stadt beobachten. Hinter uns liegt eine steinige, kalte aber wunderschöne Berglandschaft. Neben uns gibt es eine kleine Granitstatue, um die die erfolgreichen Gipfelstürmer ein kleines Stoffband binden, um ihren Erfolg zu verewigen. Leider habe ich nichts dergleichen dabei, aber ich finde es eine schöne Idee.

Dann wird es Zeit für den Abstieg. Ich hab mir bereits beim hochlaufen Sorgen gemacht, wie man diesen instabilen, schottrigen Weg wieder runterkommen soll, ohne zu stürzen. Auf genau zwei Arten, die mir beide meiner Begleiter präsentieren:

Sachi geht mit seinen Wanderstöcken ganz vorsichtig und langsam Schritt für Schritt. Vernünftig und absolut richtig so.

Der niederländische Belger rennt einfach los. Gradewegs nach unten. Bleibt mit dem Fuß hängen, fängt sich aber wieder und ist in zwanzig Sekunden auf der Ebene, auf der ich zuerst dachte, das wäre der Gipfel. Komplett irre und unvernünftig. Aber funktioniert.

Ich entscheide mich für einen Mittelweg. Ich teste vorsichtig das Gelände und als ich ein Gefühl dafür habe lasse ich mich mit großen kontrollierten Schritten nach unten gleiten. Wie beim Skifahren ohne Ski. Der Geröllboden eignet sich perfekt und mit ein bisschen Wandererfahrung und Risikokalkulation macht es richtig Spaß. Der belgische Niederländer und ich warten auf Sachi, machen ein paar Fotos vom Schnee und von der Aussicht hier:

Dann geht es weiter nach unten über das lange Geröllfeld. Der Belger aus den Niederlanden rennt vor, ich skie hinterher, Sachi folgt langsam und wir treffen uns unten. Dann wieder zurück über die Ebene und den Bach:

Beim Refugium treffen wir wieder auf die Argentinierin, die uns freudig begrüßt, wir essen kurz etwas und machen uns auf den Rückweg. Dort rufen wir uns bereits das Taxi für den Rückweg. Und machen ein kleines Gruppenfoto:

Ich schätze ungefähr die Zeit, die wir brauchen ,wenn wir noch am Figuren-Museum im Wald vorbeischauen wollen. Was wir letztendlich lassen, weil der Eintritt 1500 Pesos kostet und keiner wirklich Lust drauf hat. Also gehe ich langsam den Weg runter und wir kommen exakt zu meiner geschätzten Zeit an. Deutsche Pünktlichkeit witzeln die anderen, ich zucke nur mit den Schultern: isso. Leider hat das Taxi nicht so super kalkuliert und wir müssen noch eine halbe Stunde warten. Währenddessen erklärt mir der belgische Niederländer, dass das mit Western Union hier mal wieder nicht so einfach ist. Ich rolle mit den Augen, wie sollte es anders sein? Man braucht eine Kopie von seinem Reisepass, weil es an diesem Western-Union-Standort kein Kopiergerät gibt, deshalb muss man das selbst mitbringen. Ich frage die Taxifahrerin, ob sie ein Geschäft kennt, wo ich das machen kann und sie setzt mich in der Stadt vor dem besagten Geschäft ab, während die anderen direkt ins Hostel fahren. Ich bekomme meine Kopie und stelle fest, dass das hier direkt der Western Union Standort ist. Der Kioskbesitzer erklärt mir, wie es am nächsten Tag funktioniert und ich gehe beruhigt zurück ins Hostel.

Müde, aber zufrieden stelle ich mich unter die Dusche und wasche die Anstrengung des Tages weg. Heute gehe ich früh schlafen. Neuer Tag, neues Abenteuer.

Liebste Grüße,

Eure Jana

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