Liebe Leser*innen,
Puh, ich hab jetzt schon keine Lust auf den Tag. Ein Tag der mit Western Union anfängt, kann kein guter Tag sein. Ich stehe früh auf, damit ich um kurz nach acht vor Western Union stehe… nur um zu erfahren, dass der Zettel an der Tür veraltet ist und man erst ab neun Geld abheben kann. Klar!
Ich spaziere also wieder zurück in Richtung Stadtmitte um mich warm zu halten, es ist ziemlich kalt. Es gilt eine Stunde totzuschlagen. Ich schaue zum Himmel und bin fast versöhnt. Ein wunderschöner Sonnenaufgang steht in den Startlöchern. Ich erkunde das Stadtzentrum etwas genauer und entdecke einige Holzschnitzereien, ähnlich denen vom Bosque Tallado:









Die Zeit vergeht halbwegs schnell, die letzten zehn Minuten warte ich noch vor Western Union, dann kann ich mein Geld holen. Und Hallelujah, es klappt! Ich beschließe, gleich noch ein paar Einkäufe zu erledigen, ich will eine neue Sonnenbrille und hab meine alten Kopfhörer verloren. Überraschenderweise finde ich beides und gehe mit einem Erfolgsgefühl zurück zum Hostel, wo ich mich gleich mit Mate an den Blog setze.
Erst gegen Mittag raffe ich mich auf, ich will noch etwas spazieren gehen. Ich frage eine der Voluntäre nach dem Rio Azul, sie nickt, warnt aber, dass das schon ein ganz schönes Stück ist. Ich wische es weg, das passt schon, rufe mir ein Taxi, dass mich zum Ausgangspunkt bringt, melde mich im Nationalpark an und laufe los.
Die Sonne scheint, der Weg ist okay und ich habe Lust zu spazieren. Perfekt. Relativ bald geht es bergab. Und bergab. Uund bergab. Schön und gut, aber früher oder später werde ich das ganze bergab auch wieder bergauf müssen. Irgendwann komme ich dann doch im Tal an und kann den Rio Azul bewundern.












Es ist idyllisch, aber ich bleibe nicht lange, ich will an einer anderen Stelle ankommen. Der Ort heißt Playa Bonita. Ein Strand kann ja nicht allzu hoch liegen… denkste.
Zuerst gehe ich einen Weg nach oben, um dann auf einem Bauernhof zu landen, an dem es nicht mehr weiter geht. Sämtliche Tiere starren mich verwirrt an. Da kommt ein Junge aus dem Haus, gleich darauf der Vater. Ich erkläre, wohin ich will, er schickt mich wieder zurück, ich muss am Fluss noch eine Brücke überqueren und auf der Seite weitergehen. Ich bedanke mich, bin aber innerlich genervt. Eh schon spät dran und dann auch noch verlaufen, ganz toll.
Nach dem Fluss geht es bergauf… und bergauf… und bergauf. Ich stöhne, das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Ich sehe ein Schild, noch über zweieinhalb Stunden bis zum Ziel. Dann treffe ich ein paar Wanderer die aus der Richtung kommen und frage, wie der Weg weitergeht. Sie bedauern, es geht nur bergauf, sie selbst sind auch umgekehrt. Ich nicke, bedanke mich und beschließe: Ich hab heute keine Lust auf eine große Wanderung. Außerdem ist es schon relativ spät um hin und zurück zu kommen. Ich such mir einfach den nächsten schönen Ausguck, trinke in Ruhe meinen Mate und gehe dann zurück.
Gleich um die nächste Ecke ergibt sich die nächste Gelegenheit.


Eine Gruppe junger Wanderer kommt vorbei und ich höre Deutsch. Ich spreche sie an, sie erklären, sie wollen zum Playa Bonita. Ich erkläre, ich wollte auch hin, aber mir ist es zu weit. Sie wollen es natürlich durchziehen, Deutsche halt. Ich wünsche ihnen viel Glück und genieße dann weiter meine Ruhe, bis ich mich auf den Rückweg mache.
Es wurmt mich, dass der Tag nicht so verlaufen ist, wie geplant. Mittlerweile ist es längst zu spät, eine neue Aktion anzufangen, aber den restlichen Tag im Hostel sitzen?
Als ich zurück am Ausgangspunkt ankomme, entdecke ich, dass zu meiner rechten eine Straße entlang führt, die zu einem weiteren Aussichtspunkt führen soll. Allerdings ist es ein ganz schönes Stück. Ich überlege kurz hin und her und beschließe dann, dass meiner Lust zu spazieren noch nicht genüge getan wurde. Ich drehe mich nach rechts und laufe. Und laufe… und laufe. Die Straße ist recht unspektakulär, rechts und links sind Häuser, deren Gärten zugewachsen sind, man sieht kaum etwas. Aber es tut trotzdem gut. Ich bin endlich mal „wandern“ nur mit mir selbst. Das habe ich bis jetzt noch nie hingekriegt. Die Ruhe tut gut, das Wetter ist schön, der Weg angenehm. Mich überholt sogar ein Bus, offenbar kommen die auch hier raus. Aber ich habe immer noch Lust zu gehen, außerdem würde ich wirklich gerne zum Aussichtspunkt. Ich laufe eine Stunde, zwei Stunden, zweieinhalb. Und gefühlt komme ich nicht voran, der Weg zieht sich ewig.
Während ich so tief in Gedanken bin, lasse ich lautstark das Gas aus meinem Darm entweichen, ist ja keiner da. Oder? Ich hab plötzlich das Gefühl, Schritte hinter mir zu hören. Ich drehe mich um und tatsächlich, da läuft ein Typ hinter mir. Mit einer Axt locker über der Schulter.
Ich drehe mich langsam wieder nach vorne und laufe etwas irritiert weiter. Da ist ein Typ mit einer Axt hinter mir, wir sind alleine auf der Straße… sollte ich nicht Angst haben? Die Schritte kommen näher, er kommt auf meine Höhe, wir sehen uns an. Dann grüßt er freundlich, dann grüße ich freundlich und er läuft vor mir weiter, einen Schritt schneller als ich ist er bald außer Sichtweite. Schräg, aber okay. Weiter geht’s.
Nach dreieinhalb Stunden spüre ich meine Beine dann doch ordentlich. Spazieren ist nicht wandern, wo man ständig verschiedenste Muskelgruppen und Bewegungsabläufe nutzt. Man macht immer die gleichen Schritte, mit den gleichen Muskeln, Sehnen, Gelenken, sodass sich der Körper trotz niedrigerer Schwierigkeit schneller abnutzt. Zu allem Übel sehe ich, dass zwischen mir und meinem Aussichtspunkt noch ein ganz schöner Anstieg liegt… und so langsam wird es auch dunkel. Vielleicht war mein Spaziergang doch keine so gute Idee.
Kurz vor dem Anstieg höre ich ein Auto hinter mir. Es stoppt neben mir, eine Frau guckt aus dem Fenster und fragt, ob ich vielleicht mit in die Stadt fahren will. Ich nicke und danke Fortuna innerlich. Genau im richtigen Moment. Im Auto stinkt es zwar nach Rauch, aber ich bin sehr erleichtert endlich sitzen zu können. Wir reden nicht viel, was mir ganz recht ist. Es geht echt lange, echt steil bergauf und ich freue mich nochmal mehr, dass ich eine Mitfahrgelegenheit ergattert habe. Wir fahren an meinem Aussichtspunkt vorbei – der noch ein ganz schönes Stück weiter vorne lag, als gedacht – und ich beschließe, dass es die Mühe nicht mehr wert gewesen wäre, dort hin zu gehen. Es ist mal wieder alles super gelaufen.
Die Frau setzt mich Nähe meines Hostels ab, ich bedanke mich herzlich. Im Hostel stelle ich mich laaaange unter eine heiße Dusche und gehe dann früh ins Bett. Als ich am nächsten Morgen aufwache, stelle ich fest, dass ich mit neun Jungs im Zimmer schlafe. Reine Feststellung, kein Problem damit, sind alle sehr nett, zumindest die, die ich kenne. Aber das hatte ich auch noch nicht. Ich lasse den Tag langsam angehen, checke um 11 aus und gehe dann zur Kunsthandwerksmesse der Stadt. Natürlich gibt es wieder endlos viele Schmuckstände, die tolle Sachen haben. Ich bin schwer versucht, etwas zu kaufen, schaue mir alles ganz genau an. Dann beschließe ich, mich noch ein bisschen ans Wasser zu setzen und in Ruhe zu überlegen, was ich will.
Ich setze mich in die Sonne, schließe die Augen und atme tief durch. Es ist immer noch eine wertgeschätzte Wohltat, einfach nur da zu sitzen und die warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Ich bleibe ewig. Etwas entfernt brummt die Kunsthandwerksmesse, Leute spazieren an mir vorbei, Kinder lachen. Es ist ein richtig schöner Tag und ich genieße es sehr. Mir gefällt die Stadt, vor allem das Zentrum hier.
Am Ende bin ich stark und entscheide mich, nichts zu kaufen. Ich gehe nochmal zum Hostel, hole meine Rucksäcke ab, gleichzeitig mit mir fahren auch zwei Jungs zum Terminal, ich kann in ihrem Taxi mitfahren. Ich verlasse El Bolsón mit einem Lächeln, aber auf die nächste Station freue ich mich schon lange. Vor mir liegt eine der hochgelobtesten Städte im ganzen Land. Die „Schweiz Argentiniens“, die Straße der sieben Seen und eine Hochburg der Schokoladenmanufakturen…
… San Carlos de Bariloche.
Aber das dann beim nächsten Mal 😉
Liebste Grüße,
Eure Jana
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