Nach einem kurzen Frühstück fahren wir los zum Nationalpark. Unterwegs sammeln wir unseren Guide ein, er und Fabiano unterhalten sich angeregt. Fabiano übersetzt mir immer wieder Teile der Unterhaltung.

Die Steinstraße zum Parkeingang ist wirklich schrecklich zu befahren. Ich bange um den Unterboden und die Reifen des Autos, aber Fabiano fährt total entspannt, als wäre er den Zustand der Straße gewöhnt. Ist er wahrscheinlich auch.

Wir kommen an, es ist noch nicht viel los. Man wird immer in kleinen Gruppen losgeschickt, unsere besteht aus 6 Leuten: Unser Guide, Fabiano, Melissa, noch ein Pärchen und ich. Die erste Amtshandlung des Guides ist es, uns Bandagen um die Unterschenkel zu schnallen: Schlangenschutz. Ich schlucke. Fabiano nickt, hier gibt es viele Schlangen. Ich erkläre, dass ich ganz schön Angst vor den Viechern habe, vor allem, weil sie hier auch tatsächlich so giftig sind, wie in meinen schlimmsten Alpträumen. Trotzdem bin ich relativ entspannt. Die Wahrscheinlichkeit eine zu sehen oder noch schlimmer, tatsächlich gebissen zu werden ist relativ gering. Bei so vielen Schuhen, die über den Boden tramplen, werden die sich fernhalten. Und mit einem lokalen Guide, fühle ich mich doch ziemlich sicher.

Nochmal mit Sonnencréme einschmieren, Mückenschutz auftragen, Käppi auf den Kopf und los geht’s auf meine erste Dschungel-Tour. Ich fühle mich wirklich wie Indiana Jones, wo ist meine Machete?

Gleich bei der ersten Abzweigung zu unserem Trail erklärt er Guide, dass in dieser Richtung ein alter Mann lebt. Allein, im Dschungel. Ich bin baff. Krass. Wie interessant wäre es, den mal zu treffen. Aber ich hätte ihn eh nicht verstanden und so jemand wohnt aus gutem Grund allein im Dschungel. Mein menschenscheuer Zwilling applaudiert. Ob ich auf dem freien Quadratkilometer neben ihm einziehen kann? Zumindest für ein Ferienhaus.

Wir starten ebenerdig und steigen dann Stück für Stück auf. Fabiano hat auf meine Wanderstiefel geguckt und gefragt, ob ich nicht andere Schuhe hätten, wir würden auch durch Wasser gehen. Ich lehne ab, ich vertraue diesen Schuhen blind und außerdem sind sie wasserdicht. Und tatsächlich, während die anderen mit ihren Sportschuhen auf dem matschigen Boden oft abrutschen, manchmal sogar fallen, erfüllen meine Stiefel ihre Aufgabe mit Bravour. Seit ich das erste Mal wandern war, war mir klar: Man kann mit Schlabberhosen, uraltem T-Shirt und löchriger Jacke wandern gehen, sogar der Rucksack kann mottenzerfressen sein. Aber IMMER mit vernünftigem und qualitativem Schuhwerk. Ich mache oft unkontrollierte Schritte oder Boden gibt nach, aber ich weiß, dass ich mich zu 100% auf meine Schuhe verlassen kann. Das hat mir schon so manchen Knochenbruch erspart. Und um diesen Rat zu unterstreichen: Diese Schuhe sind das teuerste an meinem ganzen Rucksack. Nicht mal das neue Handy oder der PC haben so viel gekostet.

Leichtfüßig folge ich meiner Gruppe auf dem Pfad. Um uns herum ergibt uns dichter, tropischer Wald, die Luft ist feucht-heiß. Ich finde es großartig. Das ist GENAU mein Ding. Ich hab mir für diese Reise ein komplett weißes Sportoutfit gekauft, auch eine weiße lange Hose, die super angenehm die Hitze draußen hält. Ja, weiße Frau, weißes Outfit, ein bisschen gewagt, aber für diese Tour hat es sich schon gelohnt. Und das wird NICHT meine letzte Dschungel-Tour sein!

Nach 15 min ruft der Guide, das er eine Schlange sieht. Ich spanne an. Einer nach dem anderen kommt näher und sieht das Tier an… Tierchen: Sie ist nämlich ziemlich klein. Kreuzottern sind größer. Mit ihrem braunen Muster in verschiedenen Tönen finde ich sie sogar hübsch. Sie ist allerdings sehr sehr giftig, wie der Guide dann erklärt. Wir gehen weiter. Es war die einzige Schlangenbegegnung während der Tour. Gar nicht schlimm.

Der Guide erklärt uns, dass wir durch eine alte Siedlung aus der Zeit der Kolonialisten laufen. Einwanderer aus Deutschland, Italien, Spanien und Portugal haben sich hier angesiedelt, Landwirtschaft betrieben, Güter gehandelt. Er erklärt, dass man genau sieht, welche Mauerreste von Deutschen stammen und welche von den Italienern. Die Deutschen sind ganz akkurat und perfekt. Allen schauen zu mir. Ich zucke mit den Schultern und bestätige, dass auf Italiener einfach kein Verlass sei. Alle lachen. Sorry, Italien.

Wir finden außer den Mauerresten einen alten, löchrigen Topf, Dachziegel und etwas das aussieht, wie ein Antriebsmechanismus. Überreste aus einer Zeit vor hunderten von Jahren, wo sich an diesem Ort eine Zivilisation gebildet hat, bevor der Wald es sich zurückholte. Wir wandern weiter. Um uns herum zirpen die Grillen, die Vögel zwitschern und hier und da sehe ich bunte, große Schmetterlinge. Immer wieder halten wir an und der Guide erklärt uns historische Tatsachen, Pflanzen, sowie ihre Verwendung und Wirkung. Wir essen Beeren von einem Baum, die aussehen wie Blaubeeren. Aber die hier haben Haare. Schmecken süß und lecker. Eine Blattart klebt auf jeder Oberfläche besser, als jedes Post-it, immer wieder. Damals hat man das wohl als Camouflage genutzt, um besser auf Jagd gehen zu können. Klar, dass die Tiere vor einem Blätterhaufen keine Angst haben! Ich lerne duftende, essbare Blumen kennen, Samen, die einen würzig-saueren Geschmack haben, den ich noch nie auf der Zunge hatte.

Wir sehen eine große rot-schwarze Raupe am Baum. Der Guide erklärt, dass man bei der auch vorsichtig sein muss, sie ist auch giftig und sie beißt. Er hält einen Grashalm in die Nähe ihres Kopfes und tatsächlich fängt das Tier an hinzuschnappen. Faszinierend!

Unterwegs kommen wir an Rangers vorbei, die gröbere Reparaturarbeiten an den Wegen vornehmen. Der Dschungel muss regelmäßig zurückgeschnitten werden, damit die Wege nicht zuwachsen.

Der Fluss, der durch den Canyon fließt, heißt eigentlich anders, aber durchgesetzt hat sich der Name „ Rio do Boi“. Das bedeutet „Fluss der Knochen“. Warum? Im Canyon kann es sehr schnell und unvorhersehbar neblig werden. Oben auf den Weiden haben früher die Kühe gegrast: Bei Nebel sieht man leider den Abgrund nicht. So manche Kuh fiel nach einem Tritt ins Leere ins Straucheln und fiel die tiefe Schlucht runter in den Fluss. Und der Fluss trägt früher oder später ihre Knochen weiter, sodass man sie heute noch darin findet. Daher der Name.

 Jana Jones und der Fluss der Knochen – den Film würde ich mir sofort anschauen!

Unten am Canyon wandern wir ein bisschen am Ufer entlang, dann watet der Guide ins Wasser und hält uns die Hand hin. Wir bilden eine Menschenkette und einer nach dem anderen watet ins Wasser. Auf der anderen Uferseite fragt mich Fabiano, ob meine Stiefel wasserfest sind. Ja, sind sie. Nachdem das Wasser nach drei Schritten erst knietief, dann Oberschenkel-tief geworden ist und mir das Wasser von oben in die Stiefel läuft, hält sich das Wasser jetzt aufgrund der wirklich wasserdichten Außenflächen hartnäckig im Stiefel und ich laufe mit einem Liter Wasser mehr rum. Aber was soll’s: Es war richtig cool, durch den Fluss zu waten. Natürlich auf eine Herausforderung, weil man zwischen den vielen Steinen erstmal eine Fläche finden muss, auf der man halbwegs stehen kann. Die Menschenkette ist durchaus sinnvoll, sollte man selbst oder der Vorder-/Hintermann-frau mal das Gleichgewicht verlieren. Das kühle Wasser ist außerdem recht angenehm und wir werden noch öfter durch den Fluss waten. Ich bin trotzdem froh, meine Stiefel zu haben. Da mir meine Füße vom Vortag im Bus noch wehtun und ich schon mit Schmerzen losgelaufen bin, schützt mich die stabile und flexible Hülle jetzt noch zusätzlich, vor allem im Wasser zwischen den Steinen. Mit Sportschuhen stelle ich mir das nämlich schon ein bisschen schmerzhaft vor.

Wir laufen mitten durch die Schlucht. Die Natur um uns ist fantastisch. Drei Jahre lang war mein PC-Hintergrundbild in der Arbeit ein Canyon, den ich sehnsüchtig angestarrt habe, in der Hoffnung, die Minuten würden schneller vergehen. Jetzt stehe ich in einem. Oberschenkeltief. Und ich will nie wieder zurück!!!

An Felswänden kommen kleinere (also nach Iguazu, für mich kleinere) Wasserfälle runter, die ein wunderschönes Bild ergeben. Natürlich wird die ganze Tour über wieder viel fotografiert. Am Anfang bin ich noch voll dabei, aber später finde ich es wieder nervig.

Der Guide ruft und jauchzt in die Schlucht, seine Stimme hallt von den Wänden zurück… er hat einen Traumberuf und man merkt, dass er mit ganzem Herzen dabei ist, auch wenn es sicher nicht gut bezahlt wird. Wir schließen uns an, heulen, jauchzen rufen durch die Natur. Hoffentlich verjagt es die Schlangen. Unterwegs treffen wir immer wieder auf andere Gruppen. Ein Mädel hört, dass ich Deutsche bin und kommt auf mich zu. Sie kommt aus Holland, ist also eine Nachbarin. Wir verstehen uns auf Anhieb sehr gut und tauschen Kontakte aus. Schade, dass wir nicht länger Zeit miteinander verbringen können. Man kann nicht alles festhalten. Ich gebe ihr die Daten zum Blog, vielleicht liest ja mal mit. Falls ja, ganz liebe Grüße, war toll dich kennenzulernen!

Schließlich kommen wir zum Höhepunkt der Wanderung, dem Aussichtspunkt vom Fluss auf den Canyon. Es ist wirklich wunderschön hier. Die wildesten Fotoposen werden eingenommen und es entstehen super Bilder! Von mir nicht, ich hab langsam genug 😉 Wir genießen die Aussicht und die wunderschöne Natur um uns herum.

Ich sehe in den Himmel und befürchte, das bald Regen aufzieht. Fünf Minuten später bestätigt der Guide meine Ahnung und wir machen uns wieder auf den Rückweg. Aber natürlich kann man dem Wetter dann schon längst nicht mehr entkommen. Der Guide packt Plastikmäntel aus. Ich weigere mich im ersten Moment, so wie ich mich mein ganzes Leben geweigert hab, mich in einen Plastikmüllsack zu stecken. Da werde ich lieber nass, kein Problem! Dann setzt der Regen ein und ich überdenke meine Entscheidung. Nicht, weil der traumhaft schöne, warme Tropenregen mich in Sekunden komplett durchnässt, sondern weil ich erstens in Fabianos Auto zurückfahren muss und sein ganzes Auto nass sein wird und ich am nächsten Tag wieder in den Bus muss und meine Sachen bis dahin trocken sein müssen. Widerwillig streife ich mir das Plastikding über und kann den schönen Regen nicht mehr wirklich genießen. Und schön ist er wirklich. Jetzt ist es erst ein richtiger Regenwald! Oh , und noch was haben wir gefunden (leider ein schlechtes Bild):

Wir laufen die Strecke zurück, die wir gekommen sind. Nach einiger Zeit hört es auf zu regnen und der Boden beginnt leicht zu dampfen. Ich bin so fasziniert von der tropischen Natur. Vielleicht sollte ich Biologin oder so werden, wenn ich zurückkomme! Oder Tourguide? Gegen Ende sind wir alle ziemlich müde, jeder stolpert einmal öfter als zuvor. Was für ein Tag!

Nach einer dringend nötigen Dusche setze ich mich abends hin und versuche den Blogartikel zu schreiben, um die Eindrücke festzuhalten. Weit komme ich allerdings nicht. Zwei andere neue Hostelgäste setzen sich nacheinander zu mir und wir unterhalten uns auf Portugnol. Später kommen Fabiano und Melissa noch dazu und es entsteht eine nette Runde, aus der ich mich aber bald zurückziehe… ich bin des Todes müde.

Trotzdem kann ich nicht gut schlafen. Vielleicht war es alles ein bisschen viel, mein Hirn muss zu viel verarbeiten. Am nächsten Tag heißt es Abschied nehmen. Alle wünschen mir eine gute Weiterreise und wir nehmen uns in den Arm. Das ist Südamerika und ein bisschen das Hostelleben: Man kennt sich kaum, aber plötzlich bin ich Teil einer Familie und der Abschied fällt mir gar nicht mal so leicht. Praia Grande war ein wunderschöner und sehr ereignisreicher Zwischenstopp, denn ich mein Lebtag nicht mehr vergessen werde. Und wird auf immer mit diesen Leuten verbunden sein.

Auf dem Weg zurück nach Santa Rosa do Sul, zeigt mir der Taxifahrer Bilder seiner kleinen Tochter… es ist wirklich so dörflich und familiär hier, ich will gar nicht weg. Aber wo auch immer wartet wieder ein Abenteuer auf mich. Bin gespannt, was es diesmal ist!

Ich steige in den Bus zurück nach Porto Alegre. Am nächsten Tag wird es nach Uruguay gehen.

Hoffe euch hat mein spannender Dreiteiler gut gefallen!

Liebste Grüße,

Eure Jana

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4 Responses

  1. Wow, was für ein toller Tag! Was hast du gegen Turnschuhe? Erstaunlich, wenn Brasilianer so viel zum Wandern anziehen, normal reichen denen Havaianas, egal ob es eine Felswand hoch oder quer durch den Dschungel geht 😉

    • Gar nichts, renne auch viel mit Turnschuhen rum… aber auf solchen Strecken sind Wanderschuhe einfach Wanderschuhe 😉 Diese Brasilianer, da hätte ich mich aufgeregt… bin halt doch noch deutsch :-D!

  2. Hey, “ Jana R Jones und der Fluss der Knochen“ würde ich mir auf jeden Fall anschauen…auch in 3D, mit Zuschlag für Überlänge und Wochenende für 16.50€ pro Person 😉 ( du siehst, ich bin beim Manifest angekommen )
    Weißt Du, wie der alte Mann, der allein im Dschungel lebt heißt? Würde mich nicht wundern, wenn es Klaus T. wäre. 😂

    • WAAAS?! Das sind ja 33 Mark, 66 Ostmark, 136 Ostmark auf’m Schwarzmarkt. Wer würde denn so viel für’s Kino ausgeben 😉 Der zweite Teil wäre die Kohle übrigens nicht wert.
      Hahaha, das könnte sowas von sein 😀 Ach, ich vermisse dich! Fühl dich gedrückt!

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