Alliterationen – kann ich noch! Hallo meine Lieben!

Eigentlich habe ich keine Lust, mich zu unterhalten, aber mich spricht plötzlich die Frau auf dem Sitz gegenüber an, woher ich denn komme, was ich denn hier mache. Sie bittet mich zu sich und leicht zögernd verlasse ich meinen angenehmen Fenstersitz, der gleich von neuen Leuten eingenommen wird. Hahhh… na gut. Die Frau stellt sich als Margaret vor, hört mit gebannter Miene meine Geschichte und ist dann total begeistert. Ihre Geschichte ist allerdings auch interessant. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in einem abgelegenen Dorf im Dschungel bei einer Gemeinschaft, die ihre alten Traditionen pflegt. Als was genau habe ich nicht rausfinden können, aber sie erzählt mir ein bisschen von den Gebräuchen dort… die wahrhaft gruselig sind. Es sind genau die Geschichten, von denen man im Museum immer liest, aber hier höre ich sie von einer Frau, die das tagtäglich sieht.

Wenn man dort einen Gast einlädt und sich der Gast bei dir zuhause verletzt, musst du einen Schadensersatz an den Gast bezahlen oder an das entsprechende Familienoberhaupt… sonst kommt der Gast mit Gewalt wieder. Die jungen Mädchen werden als Gut an andere Familien verkauft, Frauen haben kein Mitspracherecht, sind nichts weiter als Geburtsmaschinen. Sie erzählt mir, dass eine der Frauen in den Wehen lag und einen Kaiserschnitt gebraucht hätte, doch der Mann hat es verboten. Frau und Kind sind dann beide gestorben.

Ich bin absolut fassungslos. Und würde am liebsten losrennen und diesem Dorf erklären, was Feminismus und Respekt und Menschenwürde ist… aber kann ich das überhaupt? Natürlich nur theoretisch gesprochen.

Philosophiestunde Anfang:

Kann ich in ein Ureinwohnerdorf gehen und sie davon abhalten ihre Mädchen zu verkaufen und über ihre Frauen zu bestimmen? Ich denke lange drüber nach, weil ich ja  etwas gutes tun will, aber in diesem Moment keinen Deut besser bin als die Spanier, als sie damals Lateinamerika erobert haben. Welches Recht hat eine Kultur, einer anderen zu sagen, was richtig und was falsch ist?

Und trotzdem komme ich für mich zu dem Schluss, dass kulturelle Bräuche und Traditionen da aufhören müssen, wo Menschenrechte anfangen. Und Frauen sind Menschen, auch wenn das hier noch keiner so richtig verstanden hat.

Philosophiestunde Ende!

 Unterwegs muss ich trotzdem nochmal umsteigen, sehr zu meinem Missfallen in einen deutlich unbequemeren Bus und dann auch noch neben dem Klo, das hier ganz vorne eingebaut ist. Na super. Mein Sitz ist auch kaputt, sodass ich die ganze Zeit halbliegend bin oder mich aufrecht ohne Lehne hinsetzen muss. Das ist besser, denn die Fahrt ist wieder dermaßen wild, dass mir schlecht wird.

Soziologiestunde Anfang:

Diese Fahrt ist sozialwissenschaftlich echt interessant. Zwei Dinge fallen mir noch auf, die mir die Mentalität der Leute hier noch etwas genauer vor Augen führt. Es steigt eine Familie zu, voran eine ältere Frau, die vergeblich versucht, eine dicke Tasche in ein viel zu kleines Fach zu schieben. Erst der (Schwieger-) Sohn hinter ihr, erklärt ihr, dass das da nicht reinpasst und schiebt die Tasche in ein größeres Fach. Die Frau konnte das nicht abschätzen, dass da nicht reinpasst. Mein erster Instinktgedanke ist, „Bist du dumm, das ist doch klar! – Ja, vielleicht für mich, aber nicht alle hatten den Bildungszugang , wie ich ihn hatte und vor allem viele Frauen hier werden ihr Leben lang bevormundet und sind abhängig von ihrem Partner, vorher von ihrer Familie, der sämtliches Denken übernimmt.

Die zweite Geschichte ist die, als die zwei Kinder der Familie aufs Klo wollen. Die Schwester öffnet dem Bruder die Tür, der Junge ist vielleicht fünf oder sechs, sie schließt die Tür und wartet. Plötzlich ruft der Junge um Hilfe, er bekommt die Tür nicht auf… die Schwester lacht und geht zurück zum ihrem Platz. Der Junge ruft lauter und hat wahrscheinlich den Schock seines Lebens. Die Busbegleiter werden sofort aufmerksam, fragen nach der Familie, da kommt die Schwester mit der älteren Dame zurück, während die Busfahrer dem Jungen zurufen, wie er die Tür öffnen muss und selbst versuchen, die Tür von außen zu öffnen. Irgendwann schafft es der Junge noch, die Tür geht auf und er fliegt weinend in die Arme seiner Familie.

Mein Problem hierbei ist, dass Kinder hier von Kindern erzogen werden und keiner Verantwortung, Bildung oder eine Ahnung von Erziehung hat. Ein Erwachsener hätte den Jungen begleiten müssen oder zumindest schneller da sein müssen. Stattdessen guckt die Familie den Busbegleitern zu, wie sie ihr bestes versuchen, versuchen auch nicht das Kind zu beruhigen oder Ähnliches. Es ist dasselbe Phänomen wie das, dass jede Mutter ihr Kind hier mit dem Handy bespaßt oder noch besser, abspeist, um selbst auf irgendwelchen sozialen Medien zu surfen und sich nicht um das Kind kümmern zu müssen… keine Lust, ich will lieber das neue Schmink-Video von XXL-Barbie sehen. Das Kind war eh ein Unfall, kriegen wir schon irgendwie groß. Aber wie man eine Klotür im Bus öffnet oder dass man Bitte/Danke sagt oder dass eine Tasche ihrer Größe entsprechend in eine Fach gestellt werden muss…

… es ist ja nicht so, dass das Phänomen Handy in Deutschland oder europäischen Ländern nicht genauso da ist. Das Handy ist das Zentrum der Welt und der Kommunikation, aber ich habe das Gefühl, dass die Gefahr bei uns nicht ganz so groß ist, weil wir mehr über die Risiken und Nebenwirkungen Bescheid wissen. Aber hier? Hier fallen dem Handy Bildung, Kindererziehung, Realitätsbezug und Gesundheit zum Opfer, von Generation zu Generation mehr.

Soziologiestunde Ende!

Genug jetzt, ich komme langsam in Cartagena an. Dort fahre ich zu meinem Hostel. Ich stelle meine Sachen ab und gehe gleich in die Altstadt, die nicht weit entfernt ist, um etwas zu essen zu suchen. Die Altstadt von Cartagena ist ein Traum und gerade jetzt ist richtig was los. Die Restaurants sind voll mit Menschen, auf den Straßen läuft Musik, überall kann man tropisch fruchtige Cocktails kaufen und auf einem Plaza findet Free Style Break Dance statt. Ich bin mitten im Kulturhimmel der Karibik. Einen Moment bleibe ich  stehen, sauge die Atmosphäre in mich auf, aber dann meldet sich mein Magen.

Ich finde einen kleinen Imbiss und bestelle Arepas. Die Frau meint, für eine Person wären fünf ausreichend. Ich bestelle vier… und bekomme große Augen, als ich die vier Arepas fast in Dönergröße serviert bekomme. Wie zur Hölle soll denn ein Mensch vier, geschweige fünf davon essen?

Ah Arepa ist übrigens eines der Nationalgerichte Kolumbiens. Es ist wie eine Teigtasche mit verschiedenen Füllung, Fleisch, Pilze, Gemüse oder auch nur Käse. Ich bin nach zweien pappsatt… und ich muss gestehen, dass sie nicht mein Lieblingsessen sind. Der Teig ist eher so mäh… . Ich lasse mir den Rest für’s Frühstück einpacken und schlendere zurück durch die bunten Straßen zu meinem Hostel auf der anderen Seite des Flusses. Ich schlafe super, lasse mir schön Zeit mit dem Aufstehen und frühstücke dann draußen im Garten des Hostels.

Der junge Hausliebling rennt wild zwischen den Gästen herum und überquert mich auch ein paar Mal, bis es endlich Futter gibt. Die Rede ist von diesem kleinen Schatz.

Hört auf den Namen Alpha… also Alfa, genauer gesagt. Der Name kommt nämlich nicht von dem „Alpha-Tier“ wie ich zuerst dachte, sondern von „Alfajor“ der argentinischen Süßigkeit. Das finde ich so niedlich, dass ich beschließe, den Namen unbedingt für ein zukünftiges Haustier zu verwenden.

Dann wird es auch schon Zeit, meine Sachen zu packen und auszchecken, aber ich verbringe den Tag noch komplett in der Stadt, wandere durch die Straßen. Es ist wirklich wunderschön.

Man muss gar nicht viel machen in der Stadt, einfach nur spazieren und genießen. Der Kolonialstil ist so schön, davon kann man gar nicht genug kriegen. Auch die alten Festungen am Ufer, die eine alte Marineverteidung der Spanier  sind eindrucksvoll. Ich finde, das hat ein bisschen was von Pippi Langstrumpf auf Taka-tuka land. Ich warte nur noch, bis die Piraten um die Ecke kommen.

In einem kleinen Stadtpark werde ich auf ein paar Leute aufmerksam, die auf die Bäume zeigen. Und tatsächlich, da hüpfen ein paar Affen herum, die sich gerne von den Touristen mit Früchten füttern lassen. Es liegen auch große Fruchthaufen im Park rum, wo ein paar große Echsen es sich gut gehen lassen. Faszinierend die Tierwelt hier:

Überall in der Stadt gibt es Wägen, wo man frische Kokosnüsse oder Limonade kaufen kann… das ist nach wie vor noch die beste Limonade meines Lebens. Vor allem entdecke ich hier den Mix für mich: Kokoslimonade! Herrlich!

Typisch für das Stadtbild sind die Frauen in den Gelb-rot-blauen Kleidern, mit den Fruchtschalen auf dem Kopf. Ich schätze, dass es ein Abbild der Indigenen ist mit ganz viel Klischee. Die Frauen freuen sich über ein Foto, einen Fruchtkauf und natürich eine Spende.

Ich lande in einem Smaragdmuseum, in dem mir die Geschichte und der Abbau des Edelsteins im Schnelldurchlauf erklärt wird. Danach darf ich mir die Kollektion anschauen… sabber – sabber… NEIN! Ich bleibe stark. Danach ende ich in einem Inquisitionsmuseum, das ziemlich gruselige Instrumente aus einer noch gruseligen Geschichte ausgestellt hat.

Das beeindruckenste an der Stadt ist für mich mal wieder die Straßenkunst. Absoluter Wahnsinn:

Oh, die Katze war kein Graffiti, aber auch eine schöne Deko!

Am Nachmittag setze ich mich in ein Restaurant, wo ich auf dem Balkon im ersten Stock auf einen Park sehen kann. Ich gönne mir eine Kokoslimonade und eine Pizza Hawaii, während ich das Treiben unter mir beobachte. Ein paar junge Leute liefern sich einen Rapp-Kontest für ein paar Touris, die begeistert die Handykamera draufhalten.

Dann wird es Zeit für den Rückweg.

Ein bisschen entfernt von der Altstadt thront die Festung San Felipe eindrucksvoll auf einem Hügel. Ich überlege, sie noch zu besichtigen aber ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass mir dafür leider die Zeit fehlt. Ich mache also nur ein Foto und mich dann auf dem Weg zum nächsten Bus.

Die schnelle Reise ist anstrengend, aber wenn ich so viel vom Land sehen will, muss ich in den sauren Apfel beißen. Ich gehe zurück ins Hostel, packe meine Sachen und stehe kurz darauf wieder am Terminal.

Der Bus bringt mich über Nacht in die zweite große Metropole von Kolumbien, die so bekannt wie gefürchtet ist… also war: Medellín.

Liebste Grüße,

Eure Jana

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