Hallo meine lieben Leser*innen!
Diese Busfahrt war die angenehmste seit langer Zeit, was vor allem daran lag, das alles funktioniert hat und nicht viele Leute da waren. Der Unterschied ist echt gewaltig. Morgens gegen halb sieben kommt der Bus im großen Terminal an, von dort rufe ich mir einen Uber und komme bequem an meinem Hostel an. Dort wird mir netterweise auch gleich mein Bett zugewiesen, aber meine Free Walking Tour beginnt schon um 9:30 Uhr, also kann ich mich nicht hinlegen. Ist aber nicht schlimm, habe im Bus ganz gut Ruhe abbekommen. So richtig schlafen konnte ich nicht, dafür war die Fahrt mal wieder viel zu wild.
Treffpunkt ist das Stadtzentrum von Medellín. Ich fahre wieder mit dem Uber hin, eine Sicherheitsmaßnahme, die ich für nötig betrachte… und aus gutem Grund: Auf dem Weg halten wir an einer Ampel, aber neben uns geht’s richtig ab: Ein Paar, offenbar obdachlos/drogensüchtig, was auch immer ist in einem Streit und zwar in einem heftigen: Er droht ihr mit dem Messer, sie ihm mit einem Stein. Dann findet sie eine Flasche, schlägt sie am Bürgersteig auf und droht ihm nun damit. Sie gehen gerade aufeinander los, als die Ampel umschaltet und wir weiter fahren… ich bin ein bisschen schockiert…
Um das noch zu verstärken, lässt mich der Uber am Stadtzentrum aussteigen… das eingezäunt in einem Metallzaun liegt mit der Aufschrift „Zona de Policia Nacional (Zone der Nationalpolizei)“. Hinter diesem Zaun liegt eine andere Welt. Der Platz ist sauber, wunderschön hergerichtet, der Lärm, Dreck, das Chaos der großen Stadt verschwindet und ich fühle mich sofort sicher. Okay, das hier ist also eine Stadt großer Gegensätze, das steht fest.







Ich versuche mir ein Frühstück zu organisieren, greife am Ende auf das etwas teurer aussehende Café kurz vor unserem Treffpunkt zurück… alle anderen hatten eher salziges und ich wollte was mit Schokolade. Dort werde ich fündig, gönne mir einen Cappuchino, um den Tag auch gedanklich durchzuhalten und geselle mich dann zu meiner Tour, die auch gleich beginnt.
Wir beginnen mit dem Platz, auf dem wir stehen. Vor ein paar Jahren war das noch ein gruseliger Ort, sehr unordentlich, viel Drogenhandel, gefährlich für Touristen. Es ist das Stadtzentrum von Medellín und es ist jetzt so sauber aus vor allem einem Grund: Der Initiative von Fernando Botero. Das ist der Künstler der die dicken Statuen modelliert und einer der berühmtesten Künstler der Welt, stammt von hier. Er hatte die Idee, eine Freiluftausstellung seiner Werke und er selbst hat diesen Platz gewählt. Warum? Weil er der Meinung war, das Kunst die Kraft hat, Dinge zu verändern… Welten zu verändern. Unser Guide erzählt, dass er sich erinnert, als die Ausstellung eröffnet hat… und alle sich riesig darüber gefreut und gespürt haben, diese Idee wird etwas verändern. Und das hat sie. Heute ist es der wunderschön Stadtkern einer aufstrebenden Metropole, danke Fernando Botero. Oh, und das ist die Ausstellung:








Wir sehen uns die neue Metrostation an, die wirklich sauber ist und gut funktioniert… was vor allem daran liegt, dass sie in den 1980er-1990er Jahren kaum genutzt wurde… aus Angst. Zu dieser Zeit hatte Pablo Escobar 200 Bomben überall in der Stadt versteckt, die bei jeder Gelegenheit losgehen konnten. Und die Metro bietet sich dafür natürlich hervorragend an, nicht nur einmal. Heute verbindet sie ganz Medellín miteinander, zusätzlich zu den Seilbahnen.
An einer Stelle ist an zwei gegenüberliegenden Wänden die grobe Geschichte von Medellín angezeichnet. Von der indigenen Bevölkerung über den Einfall der Spanier, der Entwicklung hin zum Katholizismus und Industrialismus, bis in die Moderne, immer mit vielen tanzenden Szenen. Mich fasziniert vor allem eine Zeichnung, die zeigt, wie die Leute einen Jaguar töten. Das kommt mir, nach allem, was ich über das Tier gelernt habe, komisch vor. Der Guide erklärt, es symbolisiert die Hinwendung zu einer neuen Kultur, weg von Natur, weg vom Indigenen-Dasein, aber auch die Zähmung der Natur. Starkes Bild.
Wir laufen über eine Fußgängerzone zu einem Plaza mit einer großen Kirche, der wirklich schön ist, aber ich hab vergessen, was der Guide erzählt hat. Hab meine Beine massiert, die mal wieder total angeschwollen waren von der langen Fahrt.



Plötzlich spricht ein älterer Herr in die Gruppe und heißt uns alle herzlich willkommen in der Stadt und wünscht uns eine wunderschöne Zeit in Kolumbien. Er hat offensichtlich ein bisschen Redebedarf und ist interessiert an der gemischt-internationalen Gruppe. Wir unterhalten uns kurz mit ihm, dann haben wir ein bisschen Zeit, uns umzuschauen und uns eine Abkühlung zu holen… In meinem Fall, ein Maracuya-Eis. Als wir über an einem Denkmal vorbeikommen, beobachte ich, wie zwei Arbeiter sich bemühen, das angesprühte Grafitti daran abzuwaschen. Ich bin beeindruckt… nicht jede Stadt macht sich diese Mühe. Aber Medellín ist wirklich nicht jede Stadt. Danach spazieren wir zu einer Art Outdoor-Amphi-Theater, wo wir uns kurz setzen und uns der Guide etwas aus seiner eigenen Geschichte erzählt und wir sprechen ein bisschen über das ungeliebte Thema.
Ich persönlich hatte bis vor kurzem keinen blassen Schimmer, wer Pablo Escobar war. Jetzt wo ich es weiß, finde ich, dass ich die Info bald wieder vergessen könnte. Aber es ist ein bisschen wie mit Hitler. Man will es eigentlich nicht wissen, aber es ist Teil der Geschichte. Und es passiert dasselbe hier, wie bei uns in Deutschland: Das Monster wird zum Star. Mich haben auf meiner Reise so viele Leute auf Hitler oder andere Persönlichkeiten des Nationalsozialismus angesprochen und zwar in einer bewundernden Art, das ist einer der Gründe, warum sie nach Deutschland möchten, um sich die Museen anzuschauen und die Zeit nachvollziehen zu können. Und jedes Mal fand ich es total unangebracht, dass man mit dieser Faszination gesprochen hat, weil es für mich als Deutsche ein sensibles Thema ist… und genau dasselbe passiert hier. Die Touristen strömen um mehr über Pablo Escobar zu hören, den großen Drogenkönig, der das Land in Angst und Schrecken versetzt hat und zu dessen Zeit Medellín die gefährlichste Stadt der Welt war, unbetretbar für Touristen, selbst für die eigenen Leute ein Alptraum. Für die Kolumbianer ist das eine offene Wunde, nach wie vor, weil das Grauen keine 30 Jahre zurückliegt.
Unser Guide gibt uns ein eindrucksvolles Beispiel: Er nennt uns drei Fragen, die wir nicht offen beantworten sollen, nur für uns und geht davon aus, das für den Großteil von uns die Antwort ein „Nein“ ist: Haben wir schon mal gesehen, wie jemand vor unseren Augen getötet wurde? – Waren wir schon mal in einer Schießerei? – Ist schon mal ein Freund von uns angeschossen oder sogar getötet worden? – Nein… für ihn ist die Antwort in allen drei Fällen ja. Und für den Großteil seiner Generation oder der Generation nach ihm ist es ebenfalls so. Dieser Mann ist ein Alptraum für die Leute hier gewesen und ihn zu verherrlichen oder zu einer Legende zu machen ist, als würde man den Leuten hier ins Gesicht spucken und all ihre Mühen, diesen Ort zu einem sicheren, schönen Lebens- oder Besuchsraum zu machen, zu ignorieren.
Zum Schluss gehen wir noch zu einem Platz, auf dem viele hohe Stangen aufgestellt sind. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber es ist auch ein Denkmal für die jüngere Geschichte und ein Ort der Erinnerung.


Während der Tour bin ich mit zwei Französinnen ins Gespräch gekommen, die gleich im Anschluss zur nächsten Tour wollen, die in der Comunidad 13 stattfindet, dem Viertel von Medellín, das man gesehen haben muss. Ich wollte da eh hin, also schließe ich mich ihnen und der darauffolgenden Tour an. Wir fahren mit der Metro und anschließend mit dem Bus bis in das etwas höher gelegene Viertel.
Unser Guide erklärt uns an einem ruhigen Ort die Geschichte des Viertels und der Guerillakämpfe, die hier stattgefunden haben. Ich musste ehrlicherweise ein bisschen nachrecherchieren und halte mich nur grob, sonst erzähle ich nur Quatsch am Ende.
Hier in der Comunidad 13 regierte lange Zeit die FARC (Fuerzas armadas Revolucionarias Colombianas – Bewaffnete Kräfte von kolumbianischen Revolutionären) vor allem in Form von Straßenkämpfen, Drogenhandel, Entführungen, natürlich auch Tötungen. Allerdings nicht nur, es gab viele verschiedene Gruppen und Viertel und jeder war des anderen Feind. Die Krux war in dem Fall, sich selbst nicht in eine blöde Situation zu manövrieren, wie zum Beispiel, eine Grenze zu einem anderen Clan zu überschreiten, mit den falschen Leuten zu Mittag essen, im falschen Moment am falschen Ort zu sein. Das ganze Viertel eine Kriegszone vor allem weil Grenzen schlichtweg unsichtbar waren manchmal nicht mehr als ein paar Schuhe, die über einer Stromleitung hingen oder einem Tuch an einem Lichtmast.
Vor allem in den 80ern und 90er Jahren, als Kolumbien der größte Drogenexporteuer weltweit war, verweben sich die Guerillas mit den Drogenkartellen. Diese liegen im ständigen Krieg mit der kolumbianischen Regierung, der viele Menschen auf beiden Seiten und vor allem viele Unschuldige das Leben kostet.
Heute gibt es ein Friedensabkommen zwischen FARC und der Regierung und die Comuniad 13 ist zu fluoreszierendem Leben erwacht. Als wir durch die Straßen laufen ist alles bunt, neu, lebendig. Wir befinden uns auf der Graffiti Tour, schauen uns verschieden Gemälde an, die sich natürlich laufend ändern und sind fasziniert.













An einem kleinen Plaza halten wir und sehen uns eine Hip-Hop- Breakdance- Performance an, die auch die Geschichte der Comunidad darstellen. Wir probieren eine Art Eis, also gefrorene Maracuyastücke mit Crushed Ice eingefrorenen in einem Plastikbecher… in einer Salzsoße… es schmeckt eklig! Sorry, aber nicht die Kombination süß-salzig geht einfach anders.
Wir gehen immer höher und bekommen eine spektakuläre Aussicht über die Stadt.



Wir gehen in eine kleine Kunstausstellung, die unter anderem eine „Neon“-Abteilung hat, in der man das Kunstwerk in 3D sehen kann (mit Brille).





Dort oben ist eine Rutsche, die einem Jungen zu Ehren gebaut wurde, der die Guerilla-Kämpfe nicht überlebt hat. Andere Kinder können hier jetzt eine bessere Erinnerung aufbauen. Wir rutschen natürlich auch mal, dann ist die Tour schon zu Ende.






Was ich aus beiden Touren mitnehme ist, dass Medellín es geschafft hat, seine harte Geschichte hinter sich zu lassen, einen kompletten Wandel durchmacht und alles gibt, für Touristen ein spannendes Reiseziel und für seine Bewohner ein schönes und sicheres Zuhause zu werden. Vor 30 Jahren war es die tödlichste Stadt der Welt – heute würde ich euch allen empfehlen, nach Kolumbien und vor allem auch nach Medellín zu kommen.
Nach den beiden Touren bin ich platt. Ich gehe noch einkaufen, koche und darauf bald ins Bett, um meine Füße endlich hochzulegen. Zwischendrin kriege ich noch die Gelegenheit etwas fantastisches zu tun, was ich seit Ewigkeiten nicht gemacht habe: Das Hostel hat eine Gitarre. Ich setze mich, spiele, singe… und spüre, wie sehr ich das vermisse. Die Musik fehlt mir… ich hab nicht mal mehr wirklich Zeit Musik zu hören, in den Bussen versuche ich zu schreiben, zu schlafen oder meinen Halt nicht zu verpassen. So genieße ich den Moment, aber bald werde ich einfach zu müde.
Die Nacht schlafe ich super, am Morgen frühstücke ich nur schnell und packe wieder meinen Rucksack: Es geht weiter nach Süden in die Region, ich von allen am meisten in Kolumbien besuchen wollte: Da, wo der Kaffee wächst!
Liebste Grüße,
Eure Jana
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