Hallo verehrte Leserschaft, weiter geht’s, ab auf die Kaffeeplantage mit euch!!
Nach dem Mittagessen pendelt sich eine fabelhafte Tradition bei uns ein: Kaffeetrinken. Thuy möchte natürlich den Großteil ihres Kaffees verkaufen, dementsprechend ist uns nur ein Glas am Tag vergönnt. Was auch vollkommen ausreicht, an alle, die 4-8 Tassen Kaffee pro Tag trinken, das ist ein krasser Überkonsum, denkt mal drüber nach, eure Sucht zu reduzieren!
Während sich also langsam der After-Mittagessen-blues einschmiegt, machen wir Kaffee… und zwar langsam, in einem vorgeschriebenen Prozess, der entspannender nicht sein könnte. Thuy hat diese schönen Tassenfilter, und ich hasse mich mittlerweile dafür, ihr keine abgekauft zu haben. Man füllt etwas Kaffee oben ein und schüttet aus einer Kanne mit schmaler Öffnung ein kleines bisschen Wasser in das Pulver, damit es nass wird und leicht aufquillt. Nach ein bisschen Wartezeit füllt man langsam und in kreisenden Bewegungen die ganze Filtertasse auf und sieht dem Kaffee dann beim durchtropfen zu. Der Geruch, die Optik… es ist superschön, wir alle genießen es.




Dann kommt der Teil, der keinem Europäer schmeckt: Hier in Vietnam verwendet man für absolut alles, natürlich auch für Kaffee… gesüßte Kondensmilch. Kondensmilch! Ein Produkt, dass ich niemals im Supermarkt auch nur angeguckt hätte, wird hier zu einer neuen Form von Droge, weil es die einzige Süßigkeit ist, die wir zur Verfügung haben. Der Kaffee schmeckt pur natürlich auch göttlich, aber ich war schon immer ein Milch und Zucker-Typ. Das macht es zwar zu völlig unterschiedlichen Getränken, aber in einer Pause zwischen 8h Arbeit ist der Zucker herzlich willkommen. Alles andere, was zuckerhaltig ist, wird von uns verschlungen. Thuy hat irgendwo Sirup gekauft, Marmeladen, eine Schokosoße und eine Green Matcha-soße… alles super künstlich und viel zu überzuckert, aber wir lieben es. Unsere Lieblingskombination: Toast in Kondensmilch… hmmm, es gibt keinen besseren Snack vorm Schlafen gehen!!!
Thuy hat eine andere Liebe, die sie uns präsentiert. Wir sind alle sehr skeptisch, aber als ich es probiere, finde ich es überraschend lecker. Achtung, die Kombi ist: Banane (geschnitten) mit… Soja- und Chilisauce. Erst probieren, dann urteilen 😉 Bei Thuy finde ich auch meine ersten Insektenzutaten. In der Küche steht ein Salz mit getrockneten/gerösteten Ameisen. Was in Europa ein Unfall ist, ist in anderen Ländern ein Gewürz.
Ich stehe noch zu meinem Kommentar, es gibt keine Gewohnheit, die nicht aufgebrochen werden kann. Aber wenn es nicht absolut notwendig ist, kommen auf meinen Teller keine Insekten. Ich habe absolut kein Bedürfnis zu probieren, ich weiß aus vielen Quellen, dass es nicht besonders schmackhaft ist, solange die Welt noch in keiner Hungerkrise ist, lasse ich es. Oh, Entschuldigung, die Welt IST natürlich in mehr als nur einer Hungerkrise, aber das werde ich nicht in ändern, indem ich anfange Ameisen, Würmer und Maden zu essen, sondern darin, Leute aufmerksam zu machen – Helllooo, die Welt hat Hungerkrisen, hört auf Essen unnötig wegzuschmeißen!!!
Zurück nach Vietnam in Thuys Farm:
Nachdem Maxim/Matthias? Der Norweger weg ist, kommen Marie und später Lucie. Ebenfalls zwei Deutsche, die die Gruppe komplett machen. Marie hat frisch das Abi hinter sich, Lucie ist in meinem Alter, Bühnenbildnerin, superkreativ und eine fabelhafte Zeichnerin. Wir werden zu einer richtig tollen Gruppe und es fühlt sich für ein paar Tage super gut an unter so tollen anderen Deutschen zu sein. Das ist die Art von Community, die ich gerne um mich habe. Jere hat viele Rätselspiele auf Lager, die uns die Nachmittage und Abende knobeln lassen. Die Abende sind allgemein eine wunderbar ruhige und individuell kreative Zeit: Ich bin oft am Schreiben, Lucie am Zeichnen, Marie schreibt die Notizen des Tages auf, fängt dann auch an zu Zeichnen. Jere und Thuy spielen manchmal Schach, Lisa liest oder schreibt ebenfalls…


… und dann ist da noch die Gitarre. Jere und Lisa tragen das gute Stück mit sich, beide wollen die Reisezeit zum Üben nutzen. Meine Augen glänzen, als ich sie das erste Mal sehe und die beiden erlauben mir allerfreundlichst, dass ich jederzeit spielen kann. Als ich das Instrument zum ersten Mal seit Monaten wieder in der Hand habe, überkommt mich eine große Zufriedenheit. Und als ich anfange zu spielen zu singen eine so tiefe Freude über die Musik, dass ich die Gelegenheit so oft wie möglich nutzen will. Und das machen wir auch. Meistens spiele ich nach der Mittagspause, aber manchmal sitzen wir abends auch zusammen, singen und spielen gemeinsam oder jemand spielt und die anderen gehen entspannt ihren Tätigkeiten nach. Es ist die perfekte Umgebung. Wir alle erinnern uns an diesen einen Abend, als wir uns nachts zwischen die Kaffeebäume setzen, die Sterne leuchten über uns und wir singen mit der Gitarre. Es war perfekt!
Kaffeepicken am Nachmittag ist auch eine recht schöne Aufgabe. Glücklicherweise bekommt man in Vietnam eine SIM-Karte mit unbegrenztem Internetvolumen, sodass wir alle Zugang zu sämtlichen Musik- und Hörbuchbibliotheken haben. Jere fängt an und danach fallen alle in die Ken Follet – Die Säulen der Erde – Sucht. Ich hatte das Buch vor Urzeiten schon gelesen und liebe die (überraschend unbekannten) Filme, deswegen höre ich meine neue Lieblings-Acapella-Gruppe rauf und runter, während wir picken und picken und picken. Zuerst gehen wir nach Zone, wo wir schon waren und wo noch nicht, aber irgendwann gehen wir einfach nach „Wo sind die meisten Früchte?“, denn die Bäume sind voll! Hat man einen guten Ast, kann man in einer Bewegung, den kompletten Ast abernten. Hat man einen blöden Ast, kommen nach den ersten Kirschen hunderte Ameisen aus dem Bündel gerannt, die flink den Handgelenk hochkrabbeln und dich dann richtig beißen! Die Moskitos sind auch ein Problem. Sehr klein, aber echt übel juckende Stiche. Ich ziehe mir bald, trotz Hitze, die dicke Jeansjacke an und sprühe mir Hände/Hals und Gesicht mit Mückenspray ein, das macht es deutlich erträglicher.










Unsere Kochaktivitäten werden immer besser. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, das wir alle so Hunger haben nach der Arbeit, aber wir alle lieben das Essen, egal wer kocht. Wir kochen auch allgemein meistens alle dasselbe, aber jeder hat so seine Spezialität. Am liebsten essen wir Kürbis, jeder macht ihn ein bisschen anders. Thuy hat eine spezielle würzige Sauce, ähnlich der Sojasauce, aber viel intensiver mit anderen Aromen. Thuy zeigt uns, wo die Drachenbohnen wachsen, die ich gerne kleinschneide und in ein Omelett verbrate.


Wir leben ein großartiges Leben. Viel leckeres Essen, Arbeit in wunderschöner Natur, die Arbeit selbst ist oft entspannend und wenn es regnet, machen wir Sprintsport zum Trockengarten. Das Gras schneiden in der Früh ist jedermanns Hassaufgabe, weil alles nass ist, das Schneiden mit dem Reisschneider ist anstrengend und es gibt immer weniger gute Stellen, wo man gutes Gras findet. Außerdem haben wir alle Schiss, dass doch noch eine große/giftige Schlange aus der sumpfigen, grasigen Umgebung kriecht.
Die einfachere Methode ist, die Kühe einfach irgendwo im Garten an einem langen Seil anzubinden, wo sie unter den Bäumen grasen können… oder sie einfach laufen zu lassen. Jere und ich haben mal einen halben Abend damit verbracht, in drei Kaffeeplantagen, zwei Kühe zu finden. Das Beste von allem ist, mit ihnen Gassi zu gehen und sie so fressen zu lassen.


Der einzig wirklich negative Aspekt von allem sind die Hunde. Insgesamt sind es acht: Vier von ihnen sind dauerhaft angebunden, haben nicht mal einen Meter Laufweite. Zwei sind in Käfigen, haben niemals Menschenkontakt. Keiner bekommt auch nur annähernd genug Futter. Die zwei, die wir angebunden haben, als ich auf der Farm angekommen bin, schreien so schrecklich, dass es einem das Herz zerreißt. Die anderen haben sich mit ihrer Situation abgefunden, aber lechzen trotzdem nach jedem bisschen Aufmerksamkeit. Wenn ich die verbleibenden, freilaufenden Hunde füttere, versuche ich ihnen anzutrainieren, dass einer nach dem anderen isst, während die anderen warten. Gibt man allen gleichzeitig, stehlen sie sich gegenseitig die Portionen und das wenige Futter wird auf dem Boden verstreut. Es gibt auch nur Reis. Einmal am Tag. Als die Welpen nur noch Knochen sind und trotz meiner Zurückhaltebemühungen halb wahnsinnig vor Hunger nach Essen schnappen, erweicht sich Thuy, ihnen eine doppelte Portion zu geben.
Es ist nicht, dass sie Hunde nicht mag, aber die Hunde sind ein Problem, für das sie weder Zeit noch Geld hat. Kastration, Erziehung, Futter, das alles kostet Geld und die Farm verschlingt schon genug. Wenn sie ihre Rüden kastriert, kommen nur andere von anderen Höfen. Sich hinzustellen und zu überwachen, das jeder Hund gleichmäßig frisst, ist Zeit, die sie nicht hat. Und (Straßen-)Hunde sind auf der ganzen Welt ein Problem, um das sich keiner kümmern will. Thuys Lösung ist eine Antwort, die keinem von uns gefällt. Aber keiner von uns adoptiert einen Hund und fliegt ihn mit nach Deutschland… wir sind also nicht besser.
Weiter geht’s im nächsten Artikel!
Liebste Grüße,
Eure Jana
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