Liebste Leser*innen!
Wir verfallen wieder in geschockte Starre darüber, dass man mich nicht über die Grenze lassen will.
Ich sehe den Grenzbeamten fassungslos an. Der Busbegleiter drückt mir das Geld und meinen Rucksack in die Hand und will gehen, aber ich fange mich rechtzeitig – STOPP! Was soll ich denn jetzt machen? Sie können mich nicht einfach so alleine lassen, ich MUSS über die Grenze. Der Busbegleiter hat mich schon abgeschrieben, steigt wieder ein und der Bus düst davon.
Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich alleine an einer Grenze stehe, aber es ist das erste Mal, dass ich mich nicht verständigen kann. Ich tippe, so schnell ich kann in meinen Übersetzer. Er antwortet, er hält mir einen Bus an, der von der anderen Seite aus kommt. Mein Blick bleibt fragend, ja und dann?
Dann zurück nach Pleiku, aber hier komme ich nicht über die Grenze. Ich atme tief durch… und wo soll ich dann hin? Wo soll ich über die Grenze?
Er schreibt: Moc Bai. Ich suche in Google – wenigstens habe ich noch Internet nach dem Ort und seufze dann laut auf. Moc Bai ist der Grenzübergang bei Ho Chi Minh City. Ich gucke ihn an, ist das sein ernst?? Er zuckt nur mit den Schultern. Alles in allem war er sehr höflich und hilfsbereit, aber die Situation ist einfach kacke!!! Ich hätte in 4 Stunden da sein können. Stattdessen erwartet mich jetzt eine Gott weiß wie lange Reise… und ich muss Vietnam am nächsten Tag verlassen, weil mein Visum ausläuft. Alter Schwede…
An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass ich trotz der furchtbaren Situation, dem Stress, der Fassungslosigkeit und der ganzen stinkenden Scheiße nur ein Bild im Kopf hab: der Türsteher vor der Disko, der den uncoolen Nerd anschaut und sagt: „Du kommscht hier nicht rein! Guck disch mal, Jacke, Schuhe, Hose…“ – genauso fühle ich mich gerade… und es ist ein winzig kleines bisschen witzig.
Da kommt auch schon ein Bus, der mich zurück nach Pleiku bringt. Ich steige auf und lasse ein paar Stresstränen kullern. Das wird ein harter Tag. Wir fahren wieder anderthalb Stunden zurück nach Pleiku.
Als ich wieder an der Busstation ankomme, erfahre ich, dass ich erst mit einem Nachtbus nach Ho Chi Minh City fahren kann. Ich stecke also den kompletten Nachmittag in Pleiku fest. Ich überlege, Thuy zu schreiben, aber was kann sie machen? Außerdem war es ein guter Abschied, nochmal zurück zur Farm zu fahren fühlt sich komisch an. Ihr Café ist auf der anderen Seite der Stadt, zu weit, um zu laufen. Ich kann meine Sachen bei dem Busunternehmer lassen, der mir das Ticket verkauft hat. Damit ist mir ein bisschen mulmig, aber wenn ich nicht komplett am Busterminal feststecken will, bleibt mir nichts anderes übrig. Ich ziehe in ein nahegelegenes Café und gönne mir einen kalten Matcha-Latté. Ich versuche, die Zeit zum Schreiben zu nutzen oder zum Lesen, aber genau heute verrennen die Minuten kaum. Ich gehe weiter in die Stadt, suche nach einem Restaurant, wo ich länger bleiben kann, aber offenbar bin ich in der falschen Straße dafür. Ich irre hin und her, suche Schutz vorm Regen, finde am Ende doch noch etwas zu essen… aber es ist eher ein Typ, der vor sein Wohnzimmer einen Grillwagen gestellt hat und dort ein einziges Gericht verkauft. Es war irgendwie frittiertes Schweinefleisch, mit schlechtem Brot und noch labrigerem Gemüse… der Tag ist eh schon verloren. Ich laufe nochmal zum Café zurück, bleibe dort noch ein bisschen, die Zeit vergeht, langsam, aber sie vergeht. Ich frage, ob ich im Café auf die Toilette könne, was mir eher widerwillig gestattet wird. Man führt mich nach hinten, eine Tür wird aufgesperrt –offenbar eine Privatwohnung. Ich gehe hinein, da fängt die Frau an zu fuchteln: Doch nicht mit den Schuhen ins Haus!! Ich vergaß, andere Länder… ich ziehe also die Schuhe aus, erledige mein Bedürfnis und packe dann meine Sachen, um wieder ins Busterminal zu gehen.
Bei meiner Busagentur sitzt diesmal eine Frau und kein Mann, von meinem großen grauen Rucksack ist keine Spur. Ich werde nervös. Ich erkläre der Frau, dass ich hier ein Ticket gekauft und einen Rucksack gelassen habe, wo ist er?
Sie versteht den Teil mit dem Rucksack, aber nicht den mit dem Ticket und schreibt mir ein neues. Ich sehe was sie tut und will sie aufhalten, da fällt mir auf, dass sie einen anderen Preis aufschreibt. Natürlich, die Kerle haben mich mal wie der abgezogen! Ich erkläre ihr, ich habe schon ein Ticket, aber offensichtlich zu einem falschen Preis! Ich will mein Geld und ich will meinen Rucksack. Sie telefoniert, da kommt eine andere Frau mit dem Roller und bedeutet mir aufzusteigen. Oh, Mann, was ist das jetzt wieder?!
Die Frau fährt mich zu den Bussen an den Ort, wo mein Bus in ca. einer Stunde abfahren soll. Dort steht ein Van darin ist mein Rucksack. Immerhin eines. Ich erkläre ihr, dass ihr Kollege zu viel Geld von mir verlangt hat. Sie dreht sich um und redet mit jemandem, dann wenden sich alle wieder ihrer Arbeit zu. Ich weiß jetzt schon, sie werden mich einfach ignorieren, bis mich der Bus abholt. Und ich hab nicht die Eier, notfalls das komplette Ticket zurückzuverlangen, weil ich Vietnam am nächsten Tag über diese Grenze verlassen muss. Und die Strafe eines überzogenen Visas kommt mich teurer, als der überzogene Ticketpreis. Als der Bus kommt, steige ich ein, und lasse die dampfende Scheiße hinter mir.
Das ist die Wahrheit über die Welt, meine Freunde. Wenn man nicht zu hundert Prozent ständig wachsam ist und sein Schutzschild aufgebaut hat, beißen sich die Haie in dein Fleisch und reißen mit sich, was geht. Es war nicht das erste Mal, es wird nicht das letzte Mal sein, es ist einfach Teil des Reisens. Und es kommt von Leuten, die selbst nicht genug haben.
Ich lege mich auf meinen Schlafplatz und versuche diesen Tag hinter mir zu lassen. Außerdem genug Energie zu tanken, für das was kommt. Aber die Nacht wird unruhig. Man kann zwar schlafen, aber der ständige Passagierwechsel an den Stationen ist einfach mit zu viel Lärm verbunden, als dass man tatsächlich gut schlafen könnte. Als ich am nächsten Morgen die Ausläufer von Ho Chi Minh erreiche, läuft mein Internetvolumen aus. Super! Jetzt habe ich mein Kommunikationsinstrument verloren.
Um fünf Uhr rollt der Bus an seine Endstation. Ich steige aus, hole meinen Rucksack. Ein Taxifahrer oder Busbegleiter, ich erinnere mich nicht, versucht mir zu helfen. Ich sage „Moc Bai“ und „Bus“, das ist alles was ich von mir bringe. Es reicht aus. Der Mann lässt mich auf seinen Roller aufsteigen (hier werden keine hundert Meter gelaufen, wenn ein Roller zur Verfügung ist), wir fahren um die Ecke, über eine Straße, dann muss mein Fahrer stehen bleiben, weil man mit Fahrzeug nicht reinkommt. Er deutet auf die Kommunalbusse, die dort sind und sagt „Number 42“ (kann auch 24 gewesen sein, keine verlässliche Info mehr). Ich nicke, bedanke mich und suche unter den Bussen nach der richtigen Nummer. Als ich sie finde, frage ich den Fahrer „Moc Bai“? Er nickt und ich klettere in den Bus. Die Busbegleiterin verkauft mir ein Ticket und wir fahren ein Stück durch die geschäftige Stadt, die daran ist den Tag zu beginnen. Wir halten an einer Straßenseite und man erklärt mir, hier müsse ich raus.
Ich bin unmöglich schon am Ziel und gucke den Busfahrer fragend an. Mit Händen und Füßen gibt er mir zu verstehen, dass ich über die Fußgängerbrücke auf die andere Straßenseite muss und dort fährt ein anderer Bus nach Moc Bai. Ich seufze und nicke. Hoffentlich finde ich das.
Ich steige aus, gehe über die Fußgängerbrücke, laufe dann hilflos die andere Straßenseite entlang. Ja, hier fahren auch Busse, aber ich finde mich in dem Chaos nicht zurecht. Ich sehe viele junge Leute, die wie Schüler aussehen, die sprechen vielleicht ein bisschen Englisch. Tatsächlich zeigen sie in dieselbe Richtung, die mir die Leute im Bus gedeutet haben und als ich ein bisschen weiterlaufe, sehe ich Busse aus einem Tor fahren. Darin ist eine kleine Regionalbusstation und darin finde ich einen Schalter, der mir ein Ticket nach Moc Bai verkauft. Ich bin so froh! Dieses Hindernis ist hinter mir. Ich warte eine halbe Stunde, dann fährt der Bus los.
Ein großes Hindernis liegt allerdings noch vor mir. Das Visum für Kambodscha kostet 30 USD und muss auch in USD bezahlt werden. Ich habe aber nicht mehr genug. In Pleiku habe ich versucht mir US Dollar vom Automaten zu holen und sogar in einer Bank nachgefragt. Aber scheinbar kann ich als Ausländerin keine USD in Vietnam bekommen. Meine einzige Hoffnung ist, dass es an der Grenze Geldwechsler gibt. Gibt es normalerweise immer aber ihr wisst, mein Tag ist bis jetzt ziemlich beschissen gelaufen, dementsprechend ist mein Puls auf 200 als wir uns der Grenze annähern. Ich hab mir aber einen Notfallplan zurecht gelegt. Falls jetzt wirklich alles schief geht, fahre ich zum Flughafen von Ho Chi Minh und fliege nach Thailand. Wäre echt scheiße, aber deshalb ist es ja ein NOTFALLplan. Alter, dieser Tag! Rückblickend weiß ich immer nie, woher ich die Stärke nehme, nicht komplett auszurasten. Aber was bringt es mir in dem Moment? Nichts! Außer dass ich noch mehr wertvolle Energie verliere. Wenn es überstanden ist, ausruhen, ausruhen, ausruhen. Aber erst muss ich noch durch.
Der Bus hält in dem potthässlichen, grauen, verrauchten Ort von Moc Bai. Ich steige aus, frage, ob man irgendwo US-Dollar wechseln kann, aber die Leute schütteln nur den Kopf. Puh, okay, dann hilft nur noch im offiziellen Gebäude nachzufragen.
Ich gehe rein, frage dort einen Beamten… und er deutet auf die Putzfrau, die neben der Toilette steht. Da, sie kann dir wechseln. Es ist der seltsamste Währungswechsel, den ich bis jetzt hatte, halb versteckt in der Toilette, als würde ich Kokain kaufen… und im Nachhinein bemerke ich, dass die Frau mich eiskalt abgezogen und fast 10 USD für den Wechsel einbehalten hat. Aber ehrlicherweise, ich war in dem Moment einfach nur so froh, diese Scheiß USD zu kriegen, dass ich nicht böse bin. Ich bekomme einen Stempel in meinen Reisepass und verlasse Vietnam nach exakt vier Wochen Rundreise.

Ein paar Schritte weiter betrete ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Königreich – mag alt sein, aber ich finde es trotzdem cool. Allein der Grenzposten sieht schon königlich aus.
Ich nehme meine letzte Energie zusammen und bin zauberhaft höflich zu dem Grenzbeamten, der mir meine Visa-on-Arrival Karte aushändigt. Ich fülle sie aus, bezahle, laufe von einem Büro ins andere und bekomme am Ende mein königliches Visum für Kambodscha. Puuuhhhh…. Hürde überwunden.

Noch an der Grenze bekomme ich ein SIM-Karte und mir wird ein Bus vermittelt – für den ich ziemlich sicher auch viel zu viel bezahle für die Strecke – , der mich direkt nach Phnomh Penh bringt, Kambodschas Hauptstadt. Fünf Minuten nach dem ich eingestiegen bin, halten wir für eine Mittagspause. In dem Kiosk-Restaurant kann ich auch noch mit Dong bezahlen, da greife ich gerne zu. Ich präsentiere mein Mittagessen:

Bestes Mittagessen ever!
Dann fahren wir noch ca. zwei Stunden durch eine flache, grüne Landschaft. In der Ferne sehe ich erste goldene Tempel, die viel zu weit weg sind für Fotos, aber mich schon ziemlich beeindrucken. In Phnomh Penh halten wir an einer chaotischen Straßenecke mit vielen Bussen, noch mehr Scootern und TukTuks. Nachdem ich aussteige, suche ich erstmal das Weite. Unterwegs rufen mir die Taxifahrer zu, aber ich rufe zurück, dass ich sie ohne Geld nicht bezahlen kann. Glücklicherweise kann ich dank meiner funktionierenden SIM-Karte schnell einen ATM finden, dann bin ich ausgestattet um das Abenteuer Kambodscha zu beginnen!
Liebste Grüße
Eure Jana
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