Hallo liebste Leser*innen,

wir nähern uns dem Ende der Welt. Der südlichsten Stadt unserer Erde: Ushuaia. Um dort hinzugelangen muss man allerdings aus Argentinien ausreisen, nach Chile einreisen, aus Chile wieder ausreisen und nach Argentinien wieder einreisen und mit der Fähre einen Kanal überqueren.

Wenn’s leicht wär, würden’s ja alle machen. Naja, aber es machen trotzdem alle.

Wie sicher einige schon wissen, mag Chile es nicht, wenn fremdländische Lebensmittel mit ins Land gebracht werden. Deshalb müssen an der Grenze alle mitsamt Rucksack aussteigen, der Gepäckraum wird von einem Hund durchsucht und die Rucksäcke müssen durch einen Scanner, der alles nach frischen Lebensmitteln absucht. Vor Einreise muss man eine Erklärung ausfüllen, dass man entweder nichts oder wenn ja, was genau, mit sich führt. Ich fühle mich ganz wie zuhause.

Witzigerweise habe ich damals im Reisebericht meiner Vorbild-Backpackerin gelesen, wie ihr ein Apfel angekreidet wurde, den sie vor Ort noch schnell gegessen hat 😉 Ich hatte versehentlich einen in meinem Rucksack vergessen (ehrlich, ich wollte mich nicht mit Chile anlegen), aber ich durfte meinen nicht mehr essen. Bye, bye Apfel.

Nachdem also die komplette Gruppe viermal aus und wieder eingestiegen ist, fahren wir auf eine Straße zu, die plötzlich im Wasser endet. Von dort aus geht es mit der Fähre weiter hinüber ins Feuerland.

Auf der anderen Seite fahren wir noch ein ganzes Stück durch die Pampa, bevor sich das Gelände langsam anhebt und waldiger wird. Und spätestens jetzt sieht man deutlich, der Herbst ist da. Die Bäume haben bunte Blätter in allen Farben, oft auch nur an einem Baum und es ist jetzt schon wunderschön… dann tauchen langsam dunkelblaue Bäche auf, dann die Seen und dann die Berge. Ich weiß, Fotos aus dem Bus sind nie gut, aber…

Endlich, Berge. Die Anden. Hier beginnt/oder endet die längste Gebirgskette der Welt. Die Anden ziehen sich durch sämtliche Klimazonen und beherbergen eine riesige Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen… okay, langsam klinge ich ein bisschen wie ein arte-Doku! Aber kommt schon, ich werde in den Anden wandern… wie cool ist das denn?! Darauf habe ich mich mit am meisten gefreut. Hinter dem nächsten Hügel taucht schließlich die Stadt auf. Ich steige aus und atme die kalte Luft ein. Angekommen: Am Ende der Welt. Ehrfürchtig schaue ich aufs Meer hinaus. Dort liegen nur noch ein paar Inseln… Kap Hoorn… und dahinter die Antarktis.

Theoretisch liegt unter Ushuaia noch Puerto Williams, auf der Isla Navarino, doch leider fährt dort zurzeit keine Fähre hin, sonst hätte ich dort mein Hostel gebucht. Aber ich bereue es überhaupt nicht. Ushuaia ist wirklich schön. Mein Hostel liegt etwas tiefer in der Stadt, was gleich mal einen ordentlichen Aufstieg bedeutet, der tiefste Punkt der Stadt ist nämlich die Küste, wo der Bus mich abgesetzt hat, der Rest der Stand liegt am Berg. Mit meinen zwei Rucksäcken wird bei dabei schnell kuschelig warm. Oben angekommen kann ich einchecken, obwohl ich mal wieder nichts im Voraus gebucht habe. Ich beschließe, das öfter zu machen, so spare ich mir die Online-Gebühr, die ich an die verkaufende Website zahlen muss. Und es gibt immer freie Zimmer.

Ich gehe noch einkaufen und spaziere ein bisschen an der Küste entlang, trotz des kalten Windes. Zufälligerweise erwische ich den Zeitpunkt, wie der Vollmond über den Bergen aufgeht… leider sieht man sowas auf Fotos nie gut, trotzdem konnte ich nicht widerstehen.

Eine Zeit lang genieße ich den Anblick, dann treibt mich die Kälte zurück ins Hostel. In der Küche lerne ich gleich einen anderen Deutschen kennen, Lukas, der schon ein paar Tage hier ist. Überraschenderweise finde ich ihn sehr schnell sympathisch und dränge mich ganz feinfühlig für morgen als Wanderpartnerin auf. Er nickt, er geht eh lieber zu zweit und es stört ihn nicht, dass ich bergauf im Schneckentempo unterwegs bin. Na, das sehen wir dann morgen. Für mich ist es super, es ist ja schon wieder eine Zeit lang her, dass ich wandern war und bei allem Respekt, die Anden sind nicht das Münchner Voralpenland.

Das einzige, was mir am Hostel nicht gefällt, ist dass nicht gut geheizt ist. Oder sehr schlecht isoliert oder beides. Mein Zimmer ist jedenfalls relativ kühl und ich schlafe mit Schlafsack und Thermostrumpfhose… dafür schön warm.

Am nächsten Tag bin ich früh mit Lukas verabredet. Um sieben verlassen wir das Hostel, um halb acht sind wir am Ausgangspunkt zum Paso de Ovejas (Schafspfad), der uns ins Gebirge führt. Es beginnt relativ flach und mit einer tollen Aussicht auf die Farben des Sonnenaufgangs, dann geht es in den Wald. Der Weg ist gut begehbar, der Wald wunderschön, gelb-rötlich in Herbstfarben geschmückt.

Plötzlich stehen wir vor einem Fluss, er Weg führt auf der anderen Seite weiter. Einziger Übergang sind ein Paar Äste/Baumstämme, die längst halb im Wasser hängen. Hilft alles nichts, wenn wir weiterwollen ,müssen wir drüber. Lukas geht mutig vor, beide haben wir uns vorher einen langen Stock als zusätzliche Stütze gesucht.

Langsam macht er einen Schritt nach dem anderen und schafft es trocken ans andere Ufer und ich schließlich auch. Puh! Cool, dass das geklappt hat, hier ins Wasser zu fallen wäre schon ziemlich scheiße gewesen und bei der Kälte auch gefährlich. Bin jetzt schon froh, dass ich nicht alleine losgezogen bin. Wir gehen weiter, auf und ab, doch irgendwie steigt das Gelände nicht an. Spätestens als wir den Fluss ein zweites Mal überqueren, beschleicht uns das Gefühl, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind. Natürlich gibt es hier kaum Internet, sodass uns nichts anderes übrig bleibt, als dem Weg weiter zu folgen. Plötzlich stehen wir wieder vorm Fluss und müssen ihn nochmal überqueren. Auch das schaffen wir trockenen Fußes, wie durch ein Wunder! Und tatsächlich hat der Adrenalinkick durchaus Spaß gemacht. Schließlich erkennt Lukas die Gegend wieder: Wir sind im Kreis gelaufen, irgendwo falsch abgebogen. Wir folgen unserem Pfad aufmerksamer und tatsächlich nach einer Weile teilt sich der Weg fast unsichtbar. Diesmal halten wir uns rechts und kurz darauf wird das Gelände steil: Super! Nach fast zwei Stunden Umweg bin ich schon halb fertig, aber jetzt geht’s erst richtig los.

Lukas ist ein super Wanderpartner. Ich habe ihn schon vorgewarnt, dass ich beim Aufstieg langsam bin, aber er nimmt es entspannt und nutzt die Zeit, die ich im Schneckentempo hinter ihm herdackle, um die Aussicht zu genießen. Nach fast zwei Monaten Patagonien und dem O-Track im Torres del Paine- Gebirge ist er topfit… trotz langer Nacht. Selbst gut ausgeschlafen würde ich da nie hinterher kommen.

Der Weg ist ein Geröllfeld aus Steinen aus dem Gebirge und führt im Zickzack nach oben. Man läuft recht gut darauf und nach einiger Zeit wird es wieder fast eben (also bergauf-bergab auf mehr oder weniger derselben Höhe) und man läuft an der Bergkante entlang. Hier lerne ich zum ersten Mal so richtig den bereits viel besagten und häufig verfluchten patagonischen Wind kennen. Nicht ohne Grund: Von allen Seiten und oft aus dem nichts kommt ein dermaßen starker Windstoß, dass man stehenbleiben und sich irgendwo festhalten muss, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mal von vorne, mal von hinten, mal von der einen, mal von der anderen Seite, immer dann, wenn man es nicht erwartet, schlägt er wieder zu. Eine Kammwanderung stelle ich mir mit diesem Wind unmöglich vor. Als wäre das nicht schon genug, spürt man den Gruß der Antarktis in der Schärfe des Windes, es ist schön frisch. Wir kommen immer höher und schließlich passieren wir ein kleines Schneefeld… mein erstes in Südamerika. Schnee in den Anden… so cool.

Bald darauf beginnt es zu regnen und gleich darauf zu schneien – buchstäblich cool. Ich packe meine Hände unter die Rucksackträger und ziehe mir die Kapuze der Regenjacke tief ins Gesicht. So komme ich gut durch den kleinen Schneesturm, aber es ist wirklich kalt. Dauert aber nicht zu lang.

Die Natur um uns ist atemberaubend. Auf der gegenüberliegenden Bergseite stürzen kleine Wasserfälle in die Tiefe, das Wasser fließt – wegen des Windes – nach oben. Das habe ich bis jetzt nur in Naturdokumentationen gesehen, live ist es noch beeindruckender. Die grünen Wiesen im Tal gehen in rote Herbstwälder und schließlich in graue, schneebedeckte Gipfel. Es könnte nicht schöner sein.

Bei den nächsten Anstiegen komme ich ganz schön ins Hecheln. Es ist ja doch schon ein ganzes Stück her, seit ich zuletzt wandern war. Leider müssen wir kurz darauf feststellen, dass wir schon wieder falsch sind. Ich überlege ernsthaft, ob ich Lukas den Rest allein gehen lassen soll und ich warte hier, doch es scheint, als wäre es nicht viel. Wir machen eine kurze Pause, ich teile meine Brotzeit mit ihm und danach machen wir uns auf zum letzten Stück. Noch einen kurzen steilen Anstieg, den ich ganz langsam, Stück für Stück erklimme, dann haben wir es tatsächlich geschafft. Vor uns tut sich eine Ebene auf, an dessen einem Ende ein Mini-Eis-See ist, aus dem der Wind die Eisbrocken herausweht und über die Fläche jagt… und auf der anderen Seite ein Naturphänomen, dass ich in meinem ganzen Leben wohl nur ein einziges Mal sehen werden.

Die Cueva de Jimbo. Eine Höhle aus Eis.

Staunend kommen wir näher. Die Höhle ist viel größer, als wir es uns beide vorgestellt haben, wir dachten, sie wäre vielleicht drei-vier Meter hoch, in Wahrheit sind es eher 10-15. Ich bewundere das schwarz-weiße Spiralen-Muster im Eis, absoluter Wahnsinn.

Ich hab versucht mich im Internet über Geschichte und Geologie zu informieren, leider ist alles überladen mit der traurigen Nachricht des Todesfalls, zu dem es im letzten Jahr gekommen ist. Offiziell ist die Wanderung nämlich verboten. Das Eis bewegt sich schnell und immer wieder brechen große Brocken aus der Decke und fallen zu Boden… letztes Jahr ist leider jemand dadurch umgekommen. Deshalb kommen nur wenige Leute her und die Tour wird auch nicht angeboten. Falls ihr etwas findet, schreibt es mir gerne, mir geben die spiralförmigen Streifen und die Entstehungsgeschichte immer noch Rätsel auf und ich würde es gerne wissen. Was ich weiß, ist dass das schwarze Gestein-und Erdschichten sind, die regelmäßig wieder von neuem Schnee überdeckt werden… sonst leider nichts.

Vor der Höhle steht ein Schild, man soll sie nicht betreten und wir tun es auch nicht. Aber ein paar Fotos in sicherem Abstand sind schon nötig.

Da wir unser Picknick schon hatten, beschließen wir bald darauf, wieder umzukehren. Es ist leider wirklich sehr kalt und wir sind beide nassgeschwitzt vom Aufstieg, da ist es besser, man bleibt in Bewegung. Vorsichtig treten wir den Rückweg an. Wie immer ist das meine Gelegenheit, ein paar Nahaufnahmen von der umgebenden Natur zu machen, die ich euch natürlich stolz unter die Nase halten muss… es ist aber auch einfach zu schön dort!!!

Es geht zurück über das Geröllfeld mit der tollen Aussicht, dann wieder durch den Herbstwald. Der ganze Nachmittag ist schön sonnig. Im Wald fällt mir auf, dass die Bäume nur kleine Blätter haben, nicht größer als mein Daumennagel und meist nur von einer Baumart (oder ähnlichen). Dafür in allen Farben, gelb, orange, braun, rot.

Über die Wiesen geht es zurück zum Parkplatz am Ausgangspunkt, dort nimmt uns jemand netterweise mit in die Stadt. Im Hostel fallen wir müde auf Sofa und ich muss sofort die Schuhe ausziehen. Ich war mit neuen Socken unterwegs und die waren zu dick! Mir tun seit Stunden die Füße weh und ich habe mindestens drei bis vier wunde und aufgeriebene Stellen. Tja, selber schuld. Aber das wird schon wieder. Der Ausflug war es alle Mal wert.

Liebste Grüße vom Ende der Welt,

Jana

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