Hallo meine liebsten Leser*innen!

Während meiner Zeit im Kopan Kloster, musste ich ein paar Mal das Klostergelände aus organisatorischen Gründen verlassen. Habe gerade beschlossen, das Thema in einen anderen Artikel zu packen, passt thematisch einfach nicht gut zusammen. Als ich dann aber schonmal in der Stadt war, dachte ich mir, dann kann ich mir wenigstens ein paar Attraktionen anschauen.

Eine davon war ein kleiner versteckter Park, den mir Patricks Hotellier-Freund empfohlen hat. Der „Garden of Dreams“ ist eine wunderschöne Anlage, um dem Chaos von Kathmandu für kurze Zeit zu entfliehen und eine Grünfläche mit tibetanischem Flair zu genießen. Das war in der Tat ein schöner Nachmittag.

Aber es gab noch eine andere Attraktion, von der ich gehört hatte, die mir aber ehrlicherweise ein wenig die Haare zu Berge hat stehen lassen. Ich hab lange überlegt, ob mir das nicht zu heftig ist, aber am Ende war es eine Spontanentscheidung.

Vorsicht liebe Leute, es wird mal wieder eine grenzwertige kulturelle Erfahrung. Und in der grenzwertigen Erfahrung wird es nochmal extra grenzwertig! Also bereitet euch vor oder lasst den Artikel einfach aus.

Die Tempelanlage von Pashupatinath liegt im Osten von Kathmandu und ist eine der wenigen streng hinduistischen Anlagen. Das bedeutet, ich als Religionsfremde darf nicht bis ins Heiligste der Anlage. Andere Teile sind wiederum zugänglich und man kann von bestimmten Punkten auch von oben auf den Tempel sehen.

Ich verstehe nicht viel von dem was ich sehe, ich hatte auch nicht die Muße mich groß damit zu beschäftigen. Zuerst geistere ich ein bisschen auf der Anlage herum und bin wie immer schwer beeindruckt von der hingebungsvollen Detailkunst hinduistischer/buddhistischer Architektur. Es ist ein Wahnsinn, was für begabte Menschen daran wohl in jahrelanger Handarbeit gearbeitet haben.

Während ich so herumgeistere, gerate ich Ausversehen in die Menschenmasse, die sich für den heiligsten Tempel anstellt. Ich werde aber gleich von vielen aufgeregten und erbosten Hindus (Männern natürlich) dazu aufgefordert, die Schlange zu verlassen, hier darf ich nicht rein. Ich suche mit erhobenen Händen das Weite. Die Leute gehen übrigens barfuß in den Tempel.

Ich finde wieder zurück zu einem der Hauptwege und treffe dort zufällig auf eine andere Touristin aus dem Okzidenten in meinem Alter. Wir kommen ins Gespräch und ich habe mittlerweile alles von ihr vergessen – Schande über mich! Wir beschließen, zusammen zum nächsten Ort zu gehen, weil wir beide nicht wissen, wie krass es wird und zu zweit ist es immer einfacher.

Vor uns erscheint die Brücke, auf der bereits einige Schaulustige stehen. Auf der anderen Seite sind große steinerne Stufen, auf die man sich setzen und von denen aus man das beobachten kann, was auf der anderen Seite des Flusses geschieht.

In Indien und im Hinduismus ist Wasser heilig. So gibt es in Nordindien den Fluss Ganges, der „heilige Fluss“ an dem genau dasselbe passiert, wie auch hier: Menschen werden nach ihrem Tod von ihren Angehörigen hierher gebracht, ihr Körper wird gesegnet und gewaschen und dann auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt. Das alles geschieht ganz öffentlich, neben einer der heiligsten und lebendigsten Stätten des Hinduismus und vor allen Touristen, die Interesse haben einer öffentlichen Kremation beizuwohnen.

Der Tod wird hier nicht in Schweigen gehüllt und im privaten Kreise ausgetragen, sondern er hat einen öffentlichen Platz mitten im Leben, für alle sichtbar: Den er ist ein wichtiger Teil des Lebens. Was ich am Anfang als skandalös empfunden habe, finde ich, nachdem ich eine Zeitlang zuschaue, was auf der anderen Seite geschieht, eigentlich einen ganz richtigen Umgang mit dem Tod. Und ehrlicherweise auch einen schönen… naja, bis auf ein paar Ausnahmen, die ich nach wie vor makaber finde.

Die Verstorbenen kommen auf einer Bahre, getragen von ihrer Familie, am Fluss an, verhüllt von einem safran-orangenen Tuch. Es dauert alles seine Zeit, hier findet keine industrielle Verbrennung statt, sondern die Familie nimmt in Ruhe Abschied, bespricht sich mit den in weiß gekleideten Priestern, die die Verbrennung vornehmen und begleiten. Auf großen steinernen Plattformen am Ufer werden wunderschöne, mit Mangold-Blumen verzierte Pavilions aufgestellt, unter denen große Holzhaufen errichtet werden. Die Familie bringt den verstorbenen zunächst zum Flussufer. Meistens ist es einer, der die Waschung des oder der Toten übernimmt. Sie schöpfen mit der Hand Wasser vom Fluss und waschen die Füße, Hände, aber auch das Gesicht und die Beine. Das Gesicht der Toten zu sehen, finde ich für mich schon etwas grenzwertig… ich weiß nicht, wie viele tote Menschen ihr schon gesehen habt, bei mir ist es schon länger her und es bleibt für mich ein seltsamer Moment. Vor allem bei fremden.

Was ich noch ein bisschen makaber finde, ist der Moment, als einer jungen Frau die Beine gewaschen werden und ihr der Mann, der sie wäscht, wirklich weit unter ihr Kleid fasst. Sicher alles Teil der Kultur und nur für mich als außenstehende grenzwertig, aber ich kann auch nicht aus meiner Haut.

Dann wird der/ die Verstorbene wieder nach oben gebracht und endgültig verhüllt. Man legt den Körper auf den Scheiterhaufen, darüber wird mehr Holz und Stroh geschichtet. Einige Angehörige umrunden den Scheiterhaufen mehrfach betend, dann ist der Moment da und das Stroh wird entzündet. Es beginnt zu qualmen, bald darauf schlagen die Flammen hoch.

Achtung Fotos!

Ich dachte, es würde schlecht riechen, tut es aber nicht. Vielleicht ist es an windigen Tagen schlimmer, wenn der Rauch direkt in die Nase zieht. Aber ich finde es viel weniger schlimm, einer öffentlichen Kremation zuzuschauen, als ich dachte. Im Gegenteil, ich bin tief nachdenklich und irgendwie sieht es auch friedlich aus.

Bis auf zwei Ausnahmen. Bei der ersten weiß ich heute nicht, was ich denken soll. Es ist die Bestattung eines Mannes, der eine riesige Verwandtschaft hat. Von den drei Plattformen ist die Hälfte voll mit dem Trauerzug dieses Mannes. Natürlich weinen die Angehörigen. So weit, so normal. Aber in diesem Fall beginnt eine Frau richtig zu schreien, fällt auf die Knie und wird dramatisch von anderen Frauen festgehalten. Kurz darauf macht eine zweite das nach und später auch noch eine dritte. Ich sitze auf der anderen Seite und mich überkommt das seltsame Gefühl, als würde ich ein Theaterstück schauen. Ich mein, ich bin auch dramatisch veranlagt, aber das war ja fast opernhaft. Klar, jeder trauert auf seine Weise und jede Art seinen Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen ist gerechtfertigt… aber das wirkt einfach gestellt. Unecht. Und ich frage mich die ganze Zeit, warum sie das tun würden.

Die zweite Ausnahme ist heftig, weil sie so alltäglich und in ihrer Alltäglichkeit so unglaublich makaber ist. Sorry, ich weiß, ich verwende gerade oft das Wort „makaber“, aber das beschreibt es einfach am besten, deswegen vernachlässige ich hier meinen literarischen Anspruch.

Ich sitze dort mehr als eine Stunde und beobachte dabei mehrere Trauerzüge, manche größer, manche mit nur einer Hand voll Leuten. Gerade sehe ich die Ankunft eines neuen Verstorbenen und bekomme bei dem Anblick ein ungutes Gefühl, dass gleich etwas schiefgeht: Der Verstorben liegt auf einer Metallbahre, die zwar sehr stabil, aber auch sehr glatt aussieht. Um zum Ort des Geschehens zu kommen, müssen die Angehörigen ihren Verstorbenen eine kleine Treppe hinuntertragen, während sie die Bahre auf den Schultern halten. Also diese Bahre. Ihr ahnt es vielleicht schon und genau das passiert auch: Die Bahre gerät in Schieflage und der Verstorbene rutscht von dem glatten Untergrund. Mit einem dumpfen Geräusch landet der steife Körper auf den Stufen. Ich habe ehrlicherweise keine Worte für das, was ich in dem Moment fühle. Aufpassen im Physikunterricht? Oh mein Gott, jetzt hat er sich den Schädel nochmal aufgeschlagen? Nicht so schlimm, kann doch jedem passieren? Ja, im Prinzip ist uns allen schonmal was runtergefallen… aber halt nicht unbedingt der eigene Vater oder Bruder oder Schwester oder was auch immer, weil wir ihn nicht an der Bahre festgebunden haben.

Die Angehörigen gucken sich kurz ebenso verstört und ratlos an, aber man ist wie in allen südlichen Ländern auch pragmatische veranlagt und hebt den Verstorbenen nach einem Moment der Verwirrung wieder auf die Bahre. Dann ist die Treppe auch geschafft.

Irgendwann beschließe ich, dass ich jetzt genug gesehen habe und verlasse den Fluss. Man kann auf der anderen Seite noch ein Stück den Hügel hoch und von dort aus einen Blick in das Hindu-Heiligtum werfen. Das tue ich noch, dann verlasse ich die Tempelanlage wieder.

Draußen vor dem Tempel sieht man plötzlich wieder den Unterschied von heiligen Stätte und realer Welt: Während die Tempelanlagen reich verziert sind und in höchster Qualität gehalten, ist die Straße so voller Löcher, Müll und Pfützen, das man kaum einen Weg durchfindet.

Reichtum neben Armut, Glaube neben Realität… da entdecke ich ein Graffiti an der Wand, das ich unglaublich stark finde und meiner Erfahrung von gerade eben nochmal einen echten Beigeschmack gibt:

Ich habe noch etwas Zeit und beschließe noch zu der großen Buddha-Stupa zu fahren, die auf dem Weg zurück zum Kloster liegt. Dort ist es auch nochmal richtig schön und ich habe nochmal ein bisschen Zeit, das eben gesehene zu verarbeiten. Außerdem ist es ein gutes Training für mich, „draußen“ zu sein, in der echten Welt und gute Erfahrungen zu sammeln. Oder zumindest keine schlechten. Die Stupa ist wirklich gewaltig und den Besuch definitiv wert.

An einer Straßenecke entdecke ich ein Café, das nochmal Bubble-Tea zu einem guten Preis anbietet. Die Gelegenheit nutze ich nochmal, bei uns im Westen ist mir das Zeug zu teuer. Dann fahre ich zurück in mein Kloster.

Liebste Grüße,

Eure Jana

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