Willkommen zurück meine Lieblingsleser*innen!

Ploppen wieder Fragezeichen in eurem Kopf auf, was der Titel heißen könnte? Vielleicht übertreib ich’s auch langsam, aber für dieses besondere Abenteuer braucht es einfach einen angemessenen Namen.

Nach meinem Gletscherabenteuer lasse ich es am nächsten Tag ganz ruhig angehen. Mein Bus geht erst am Nachmittag, vormittags genieße ich noch einen kleinen Spaziergang durch die Stadt und am Lago Argentino entlang.

Da fällt mir noch ein, warum der Perito Moreno Gletscher eigentlich so heißt, wie er heißt: Benannt nach dem Entdecker Francisco Moreno, der als erster Argentinier den Gletscher entdeckt und dem Lago Argentino seinen Namen gegeben hat. Perito ist eine Art Ehrentitel, den man dem Forscher gab, bedeutet so viel wie „Experte“.

Am Ufer des Sees setze ich mich an einen Aussichtspunkt und beobachte die Flamingos vor mir und streichle dabei einen Straßenhund. Die Sonne scheint, aber es ist trotzdem sehr kalt und sehr windig, sodass ich bald weitergehe.

Ich komme auch nochmal an der Laguna Nimez vorbei und überlege, ob ich mein Ticket nochmal nutzen soll (könnte ich, man kann mehrfach mit dem Ticket rein), entscheide mich aber dagegen. Ich packe meine Rucksäcke und mache mich auf den Weg zum Terminal. Der Bus nach El Chaltén fährt etwa drei Stunden. Auf dieser Seite des Landes gibt es so viel zu sehen, da bleiben mir die langen Busfahrten erspart.

El Chaltén ist ein kleiner Ort, hat eine Hauptstraße in der sämtliche Shops, Restaurants, Services und Supermärkte zu finden sind, auch die meisten Hostels liegen direkt an der Straße. Meins ist ganz hinten, am anderen Ende des Ortes. Super ausgesucht, Jana. Die Straße ist schön hergerichtet, vor allem für den Wandertourismus. Das ist der Ort, der wirklich direkt in den Bergen liegt, Ausgangspunkt für diverse Wanderungen unterschiedlicher Schwierigkeit und alles umsonst, abgesehen von den Transportkosten zu den weiter entfernten Wanderungen.

Ich checke ein, bringe meine Sachen ins Zimmer und komme sofort mit meinen zwei Mitbewohnern ins Gespräch. Einer von beiden, Lee, reist seit sechs Jahren durch die Welt. Er ist professioneller Fotograf und seine Bilder sind wirklich unglaublich. Mal abgesehen davon hat er spannende Geschichten zu erzählen und ist ein äußerst tiefgründiger Mensch, mit dem ich mich sofort super verstehe. Er empfiehlt mir, die Wanderung zum Sonnenaufgang zu machen. Ich hatte schon davon gehört, wäre aber nie auf die Idee gekommen, mir DAS anzutun. Aber nachdem, was er erzählt und nach der Versicherung, dass es durchaus machbar ist, beschließe ich, es zu versuchen. Das bedeutet, früh ins Bett und ein unchristlich früher Wecker.

Die Nacht ist unruhig. Ich habe das blöde Gefühl meinen Wecker zu verpassen und wache ständig auf. Außerdem beschließt mich doch wieder die Unsicherheit, ob ich das wirklich machen soll. Tatsächlich klingelt mein Wecker nicht, ich hatte ihn gestellt, aber nicht aktiviert. Schon interessant, wie das Bauchgefühl funktioniert. Gut, dass ich eh wach bin. Ich stehe auf. Es ist 3:45 Uhr.

Bin ich froh, dass ich mich auch für die Kälte gut ausgestattet habe. Leggins, Thermojogginghose, drei Jackenschichten, meine Gletschermütze, Handschuhe, alles bitter nötig, wenn man früh um viertel fünf das Hostel verlässt. Es ist stockfinster. Gut, dass ich vor kurzem meine Taschenlampe wiedergefunden habe (ich wusste doch, dass ich die eingesteckt hatte!). Ich hatte das Hostel wegen des kurzen Weges zum Wanderstartpunkt gewählt und tatsächlich bin ich keine zwei Minuten später dort. Da leuchtet mir plötzlich eine Kopfstirnlampe in die Augen und blendet mich fast. Unter der Lampe ist ein Alien. Sorry, ein englisch-sprechender Brasilianer, aber das ist so was wie ein Alien. Etwas verwirrt-freundlich fragt er, ob das der Eingang zum Wanderweg ist, irgendwie ist sonst niemand da, er hätte mehr Leute erwartet. Ich zucke mit den Schultern, schätze, das bin dann ich und der Rest kommt entweder nach uns oder war schon da. Er nickt und wir gehen los.

Überraschenderweise haben wir ein ähnliches Tempo, aber nur, weil er kürzlich ziemlich erkältet war und nicht so schnell kann. Ich bin wie immer langsam. Wir kommen schnell ins Gespräch, verstehen uns gut und beschließen, den Weg zusammen zu gehen. An sich wäre ich gerne mal alleine wandern gegangen, aber gerade in der Dunkelheit ist es sicher besser so. Wir gehen größtenteils durch den Wald, doch während der wenigen Passagen ohne Bäume, beißt der Wind gnadenlos und ist superkalt.

Das Wandern im Dunkeln ist übrigens eine völlig neue Erfahrung für mich. Bis auf die kleine Wanderung zu Silvester auf den Nachbarberg, die ich noch aus Kindertagen kenne. Man sieht wirklich nicht mehr, als den Leuchtstrahl, den die Taschenlampe wirft. Einerseits kann man so kein Aussicht genießen, andererseits wird man nicht von der Strecke erschreckt, die noch vor einem liegt. Der Weg steigt zunächst leicht, dann geht es eine ganze Weile gerade aus. Kurz vor der Flussüberquerung verirren wir uns, da sind wir auch nicht die einzigen. Glücklicherweise finden wir den Weg schnell zurück, dann wird es steil. Die letzte Stunde kämpfen wir uns schweratmend nach oben, es wird auch schon heller und heller. Und dann:

Ist es zu bewölkt für den Sonnenaufgang. Und wir sind auch ein bisschen spät.

Aber egal. Wenigstens sehen wir das, wofür tausende und abertausende Wanderer nach El Chaltén kommen:

Also fast. Die Gipfel des Fitz Roy. Das Symbol für Patagonien und die bekannte gleichnamige Wandermarke. Und Fitz Roy bedeutet nichts anderes als „Sohn des Königs“. Leider gibt es keine schöne Geschichte dazu, er wurde schlichtweg nach einem Entdecker mit dem Namen „Fitz Roy“ benannt. Das indigene Volk der Tehuelche nannte ihn „El Chaltén“ , was so viel wie „rauchender Berg“ bedeutet. Der Fitz Roy ist bekannt dafür, schnell in im Nebel zu verschwinden, und tatsächlich tauchen bald ein paar Wolken auf. Aber egal.

Es ist traumhaft schön hier. Und auch wenn es scheißkalt ist, setzen wir uns an die glasklare Lagune und trinken einen Mate auf unsere gelungene Nachtwanderung.

Da ist endlich das Foto vom Mate 😀 Sorry, dass es gedauert hat.

Auch die Umgebung ist übrigens traumhaft. Wir entdecken noch eine zweite, tiefer liegende Lagune, noch blauer… die Intensität der Farben hier ist einfach gewaltig. Ich wünschte, ich könnte malen…

Während wir trinken gesellt sich ein weiterer Wanderer zu uns und wir unterhalten uns nett. Der andere will noch ein weiteres Ziel heute besuchen und fragt, ob wir mitwollen. Ich bin zuerst unsicher, das könnte weit werden, sage dann aber doch zu, ich komme mit. Mein Brasilianer bleibt lieber noch ein bisschen hier und geht dann zurück. Kurz bevor wir uns trennen, klart der Fitz Roy Gipfel nochmal auf und wir nutzen die Gelegenheit:

Dann beginne ich den Abstieg mit meinem neuen Wanderpartner. Heißt übrigens Diego, kommt aus Belgien. Auch mit ihm verstehe ich mich super, wir unterhalten uns den Großteil des Weges über Gott und die Welt. Das Ziel ist die Laguna del Torre, das zweite große Wanderziel hier in El Chaltén. Normalerweise macht man jeweils eins pro Tag, aber Diego wollte alles auf einmal machen. Und ich weiß oft nicht, worauf ich mich eigentlich einlasse. Tatsächlich ist es aber relativ leicht, kaum mehr Aufstieg, es ist einfach nur sehr sehr weit. Aber dadurch, dass wir so viel quatschen und von dieser wahnsinnig schönen und abwechslungsreichen Natur umgeben sind, vergeht die Zeit recht schnell. Außerdem mache ich regelmäßige Fotopausen:

Zeitsprung: Ich bin 13/14/15 Jahre und lese „Herr der Ringe“. – What?! Was hat das denn jetzt hier verloren? – Ja, ja, warte kurz, ich komm gleich drauf – Manchmal schreiben Autoren Dinge, für die man kein so richtiges Bild im Kopf hat. Vor allem Tolkiens Naturbeschreibungen verlangen viel Fantasie vom Leser. Besonders eine davon ist mir immer im Kopf geblieben, nämlich die des Waldes von Lothlorien, die auch im Film nicht richtig dargestellt wurde: Tolkien spricht von einem Wald mit silbernen Bäumen und goldenen Blättern – und hier auf dieser Wanderung sehe ich plötzlich genau diesen Wald. Mein innerer Nerd rastet aus.

Natürlich ist es eher rotgold, aber für mich ist genau das die Beschreibung. Anyway:

Hinter dem Wald überwinden wir eine kleine Steigung und stehen dann vor der Laguna del Torre. Und oh, welch Überraschung uns dort erwartet. Das hätten wir hier nicht erwartet:

Der Wind ist hier stärker als alles, was ich bis jetzt in Patagonien erlebt habe. Diego und ich breiten die Arme aus und lassen uns nach vorne fallen – ohne zu fallen. Glücklicherweise lässt das bald nach. Wir legen eine kurze Pause ein, bewundern das Eis und essen. Also, nicht das Eis.

Direkt vorne am Ufer liegen die kleinen Eissplitter-/platten, die vom Wind hierher geweht werden. Dahinter liegen schon größere Brocken, sogar kleine Berge und ganz ganz weit hinten in der Ferne… wächst der Gletscher ins Wasser.

Diego füttert mich mit durch, schließlich hatte ich eine so lange Wanderung nicht erwartet. Er weiß schon, wie man sich schnell beliebt macht. Außerdem hat er ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil es schon sehr weit ist und ich ja mehr oder weniger blind ins Abenteuer eingestiegen bin. Ich winke ab, war meine Entscheidung und ich fühle mich überraschend fit. Wir packen zusammen und machen uns auf den Weg nach oben zum Aussichtspunkt für den Gletscher. Dafür müssen wir seitlich an der Lagune nach oben über ein Geröll-Hochufer (?! Ach, schaut einfach das Foto an!)

Weiter hoch, weiter hoch, noch weiter hinter, oh eine schöne bunte Pflanze – Diego, warte mal kurz!

Okay, kann weitergehen!

Und dann sind wir dort:

Dafür hat sich die Anstrengung definitiv gelohnt. Fehlt nur noch der Rückweg. Da merke ich dann doch langsam, dass mir die Kraftreserven ausgehen. Scheinbar unendlich weit laufen wir zurück bis wir endlich das Dorf von oben sehen können. Hallelujah!

Wenigstens bin ich nicht alleine müde und hungrig. Diego und ich verabreden uns zum Abendessen und feiern dort die Höchstleistung, die wir heute hinter uns gebracht haben. Er ist sehr stolz auf mich, dass ich die Strecke mit ihm durchgehalten habe und ich ehrlicherweise auch. Er ist deutlich erfahrener, was lange schwierige Wanderungen betrifft, aber irgendwie hat heute einfach alles gepasst, sodass ich es auch geschafft habe! Allerdings zu welchem Preis: Ich humple nur noch. Meine sind in einem desolaten Zustand, ich spüre mein Hüften ächzen, als wäre ich 80. Trotzdem stimme ich zu, am nächsten Tag noch auf eine kurze Wanderung mitzukommen, was ich schon auf dem Rückweg zum Hostel wieder bereue.

Es sollte letztendlich auch nicht dazu kommen. Ich hatte ursprünglich geplant noch eine Nacht länger im Hostel zu bleiben, aber jetzt ist plötzlich alles ausgebucht und ich muss am nächsten Tag in eine neues umziehen. In ein ziemlich unsympathisches. Gleich am Empfang wird man darauf hingewiesen, dass man ja keine Gäste mitbringen soll, dass kann einen die Reservierung kosten… da gab es wohl schlechte Erfahrungen. Außerdem soll man nicht auf den Sofas schlafen, dafür wären ja die Zimmer da. Hallo?! Wofür ist ein Sofa da, wenn nicht für ein Nachmittagsschläfchen?! Mein Bett ist in einer Reihe von drei Stockbetten das mittlere oben… die undankbarste Stelle. Dafür gibt es eine Fußbodenheizung… darf man auf dem Boden schlafen? Okay, genug davon.

 Das sprengt natürlich die Wanderpläne, aber das ist wahrscheinlich besser so. Ich hätte es nie durchgehalten, mein südliches Knochengerüst ist ein Desaster. Ich verbringe den kompletten Tag auf dem Sofa, Füße hochgelegt, gehe nur zweimal kurz raus, um mein Busticket zu organisieren. Diego kommt vorbei und wir verabschieden uns, er fährt heute nach El Calafate zum Perito Moreno Gletscher. Vielleicht sieht man sich anderswo mal wieder.

Am nächsten Tag fährt auch mein Bus, allerdings nach Perito Moreno Stadt, nördlich von hier. Vorher mache ich noch einen Spaziergang durch das Dorf und die umliegende Flusslandschaft. Tatsächlich finde ich eine Brücke auf die andere Seite und werde von den schönsten Herbstfarben überrascht, die ich je gesehen habe. Nie im Leben habe ich zuvor so rote Blätter gesehen.

Ich spaziere am Ufer entlang, mache Fotos, genieße die Farben, die Natur, die Bewegung.

Dann wird es Zeit für den Rückweg und für das Busterminal. Über Nacht fahre ich nach Perito Moreno Stadt, wo mich ein neues Abenteuer erwartet, von dem viele Backpacker überhaupt nicht wissen, dass es dort ist. Dabei ist es ein absolutes Muss, wenn man schon in der Gegend ist!!!

Liebste Grüße

Eure Jana

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