Liebe Leser*innen,

nun ist es passiert. Eine meiner großen Reiseängste hat sich bestätigt, als ich am Check-In des Flughafens stehe und vergeblich nach den amerikanischen Dollar suche, die sich gestern noch in meinem Geldbeutel befunden haben. Ich wurde bestohlen.

Stress und Nervosität ergreifen Besitz von mir und ich muss kurz nachdenken und meine Prioritäten sortieren. Ich vergewissere mich nochmal, aber alles andere ist da: Kreditkarte, Reisepass und Handy sowieso, die habe ich auf dem Weg zum Flughafen gefühlt ständig in der Hand. Für die Einreise nach Nepal brauche ich für das Touristenvisum dreißig US-Dollar, darum muss ich mich hier noch kümmern. Es ist noch genug Zeit, also frage ich die Frau am Schalter, ob es hier Bankautomaten gibt, wo ich US-Dollar abheben kann. Sie nickt und zeigt in die Richtung. Ich nehme mein Flugticket und gehe zum Automaten, während ich in Gedanken alle meine Schritte von dem Zeitpunkt als das Geld noch da war bis jetzt gedanklich genauestens zu analysieren. Meine Gedanken überschlagen sich.

Interessant und gleichzeitig schlimm war, dass ich die Schuld von Anfang an nur bei mir suche. Wo war ich unaufmerksam, wo hab ich nicht aufgepasst, wo war ich dumm oder fahrlässig mit meinen Sachen, dass jemand anders die Gelegenheit ergreifen konnte? Meine ganze Weltansicht schaltet um in eine Art Gefahrenmodus: Ich schaue mich hundert Mal um, während ich das Geld sicher verstaue und meine kleine Handtasche fest an mich drücke. Jeder, der mir zu nahe kommt, ist in meinen Augen sofort verdächtig, mich zu bestehlen.

Ich gehe durch den Flughafen zu meinem Gate und warte, bis das Boarding beginnt. Mittlerweile bin ich mir sicher, was passiert ist. Und leider ist die Enttäuschung darüber noch etwas größer. Es muss im Hostel passiert sein. Sobald ich die Sicherheit eines Hostels verlasse, bin ich immer vorsichtig und habe meine Tasche immer umgelegt, niemand hätte eine Gelegenheit etwas ungesehen herauszunehmen. Da hätten mir Diebe eher die Taschenriemen durchschneiden müssen. Eigentlich bin ich auch im Hostel immer vorsichtig, mit einer Ausnahme: Auf meinem Zimmer. In 90% der Fälle nehme ich meine kleine Handtasche auch mit aufs Klo oder in die Dusche, wenn ich mir unsicher bin. Aber in 10 % der Fälle will ich eine Minute mal auf Toilette gehen können, ohne das die Tasche an mir herumbaumelt. Und ich hatte meine Handtasche, kurz bevor ich los bin zum Flughafen für fünf Minuten auf dem Bett liegen lassen und war im Bad. Und da muss die Frau, die mir gegenüber in dem abgedeckten Bett schläft, zugeschlagen haben.

Es kann nur sie gewesen sein. Es haben nämlich außer den US-Dollar auch mein kambodisches Geld gefehlt und über die Rezeption hatte ich zuvor mal herausgehört, dass sie ursprünglich aus Kambodscha kommt.

Auf meinem eigenen Zimmer von einer Mitbewohnerin… vor allem von einer anderen Frau bestohlen worden zu sein, erschüttert mein Vertrauen in die Menschheit massiv. Und das ist ein großes Problem, das spüre ich. Aufgewühlt steige ins Flugzeug und verlasse Thailand.

Wie es das Schicksal will, sitze ich im Flugzeug neben einem sehr freundlichen älteren Iren, Patrick. Wir kommen ins Gespräch und reden fast die ganzen drei Stunden Flug von Thailand nach Nepal. Die Ablenkung ist mir willkommen und Patricks Freundlichkeit tut meiner Seele gut. Erleichternd dazukommt, dass er bei einem befreundeten Hotelier wohnen wird, der ihn vom Flughafen abholen wird und mir anbietet, ob ich nicht mitfahren möchte. Das Angebot nehme ich gerne an, unter dem Vorbehalt, dass es für seinen Gastgeber okay ist.

Wir landen in Nepal, gerade als die Sonne untergeht. Ich schaue zu dem rosaroten Himmel… aber das liebevolle Gefühl für Sonnenuntergänge, das ich sonst habe, ist diesmal nicht da. Sondern nur Unsicherheit und Angst vor dem was vor mir liegt.

Ich folge Patrick ins Ankunftsterminal, wo wir unser Visum beantragen und bezahlen. Dort läuft alles wunderbar und ich habe selten so freundliche Grenzbeamte getroffen. Das ist doch schonmal ein gutes Zeichen. Nachdem ich mein 30-Tage-Visum für Nepal bekommen habe, folge ich Patrick, der sicheren Schrittes durch den Flughafen geht. Er war schon öfter in Nepal und liebt dieses Land, die Berge zum Wandern und die nepalesische Kultur.

Ich würde mich wirklich gerne drauf freuen… aber ich kann nicht. Ich bin so enttäuscht und fühle mich so verraten, dass kein gutes Gefühl durch die Mauer aus Negativität durchkommt. Zumindest fühle ich mich sicher, solange ich an Patricks Seite gehen kann. Erzählt habe ich ihm übrigens nichts von dem Diebstahl, ich will noch nicht darüber reden. Während wir draußen nach seinem Gastgeber suchen, sprechen uns… Verzeihung, IHN einige Taxifahrer an, ob er ein Taxi benötigt. Ich werde nicht mal eines Blickes gewürdigt, geschweige denn angesprochen. Offenbar bin ich als Schatten des weißen Mannes unsichtbar geworden. Ganz ehrlich, ist mir heute Recht, auf den Kampf habe ich gerade keine Lust. Kurz darauf entdecken wir unsere Mitfahrmöglichkeit und Patrick begrüßt fröhlich seinen Gastgeber. Er fragt kurz à la „Ist okay, oder?“ ob sie mich mitnehmen könnten, aber ich stelle mich trotzdem noch kurz vor und frage höflich nach, ob es wirklich in Ordnung ist und keine Umstände macht. Ein bisschen fühle ich mich von Patrick bei jemandem eingeladen, der den Dienst zwar erbringen muss, aber dafür weder extra bezahlt noch gefragt wurde. Aber es ist alles in Ordnung, der Mann ist sehr freundlich und heißt mich herzlich willkommen in Nepal.

Wir steigen ein. Auf dem Weg erzählt mir Patrick, wie sich die Stadt mittlerweile entwickelt hat. Wo früher noch gar keine Straßen waren und welche Bauwerke mittlerweile fertig sind.

Das erste, was mir allerdings auffällt ist die Luft… wow. Jetzt bin ich ja schon lange in Asien und war auch in einigen großen Städten. Aber noch nie war der Smog so heftig, wie in Kathmandu. Schon nach einer halben Stunde fühlt sich meine Kehle angegriffen an, weil die Luft so schmutzig ist. Kein Wunder, bei der irren Anzahl an Rollern, die durch die Straßen fahren, die, je näher man der Innenstadt kommt, viel zu schmal für Autos sind. Das hindert diese aber natürlich nicht daran, es trotzdem zu probieren.

Kathmandu, um es mit einem Wort zu beschreiben, ist ein einziges Chaos. Der Verkehr, die Menschen, die Eindrücke, die Gerüche… vor allem bei Nacht, wenn die Straßen gefühlt erst richtig aufleben. Ich bekomme an diesem ersten Abend kaum etwas mit, der Tag war ja auch anstrengend genug. Als wir bei Patricks Hotel ankommen, verabschieden wir uns, verabreden uns aber auch für den nächsten Tag zum Frühstücken in seinem Hotel. Ich bedanke mich herzlich bei ihm und bei seinem Gastgeber, der den Taxifahrer anweist, mich noch zu meinem Hostel zu bringen. Ich winke den beiden zum Abschied, dann bin ich wieder allein. Die Fahrt zu meinem Hostel dauert nicht lange, aber ich bin trotzdem wieder angespannt. Ich steige aus, danke dem Fahrer und gehe hinein. Auch das Personal dort ist sehr nett, sie checken mich ein und bringen mich dann auf mein Zimmer.

Dort atme ich nochmal durch, aber es riecht immer noch komisch, oder vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Ich weiß, wenn ich jetzt länger Pause mache, dann stehe ich vor Müdigkeit nicht mehr auf. Deshalb suche ich mir mit meiner Offline-Karte den Weg zu einem Restaurant in der Nähe, bei ich praktischerweise gleich auch bei einem Geldautomaten vorbeikomme.

Das Chaos von Kathmandu schnappt mich auf und zieht mich mit. Hier in der Innenstadt sind viele Touristen unterwegs, ich ernte also nicht allzu viel Aufmerksamkeit bzw. sehe ich viele gleichartige. Unterkünfte aller Art, Imbisse, Restaurants, Shopping, sowie Kleinwarengeschäfte für alles Mögliche ballen sich hier auf einem Haufen, nichts ist weit weg. Die Geldautomaten stehen „in Gruppen“ in kleinen verglasten Zellen. Einer davon gibt mir Nepalesische Rupee… und in einem anderen entdecke ich doch tatsächlich eine Kreditkarte, die wohl jemand vergessen hat. Kurzentschlossen nehme ich sie an mich. Der Name darauf scheint niederländisch oder so zu sein. Nach kurzem Überlegen erkenne ich, dass es unmöglich sein wird, den Besitzer wieder zu finden, aber wenn ich die Karte nehme, ist sie immerhin sicher verwahrt, bis sie gesperrt wird. Also stecke ich sie ein.

Im Restaurant angekommen bin ich der einzige Gast, was sicherlich an der Uhrzeit liegt. Es ist 19 Uhr, das ist eine sehr deutsche Zeit fürs Abendessen, hier essen die Leute sicher später. Ich bin zu müde, um lange zu überlegen, setze mich und bestelle nach kurzem Überfliegen der Karte einen Varation von Momos.

Momos sind eines von Nepals „Nationalgerichten“ und sind nichts anderes als gefüllte Teigtaschen. Wir kennen sie beim Asia-Imbiss als Dumplings. Finde ich großartig, hab ich schon immer gern gegessen. Und es war auch gut.

Während ich da sitze und warte und esse, bin ich tief in Gedanken versunken. Ich versuche herauszufinden, warum ich so angeschlagen bin. Klar, bestohlen zu werden ist kein tolles Gefühl, aber die dunklen Gewitterwolken, die über mir hängen, sagen mir, dass es mehr ist als das. Ich fühle mich nicht nur betrogen und ausgenutzt, sondern auch müde, angestrengt, verunsichert und… geschwächt.

Ich beginne, grundsätzliche Dinge infrage zustellen. Warum tust du dir das noch an? Was ist der Mehrwert? Kannst du das reisen noch genießen? Kannst du überhaupt weiterreisen, wenn du den Menschen um dich herum nicht mehr vertrauen kannst?

Die klare Antwort darauf ist Nein! Eine Reise wie diese erfordert die Grundeinstellung, den Menschen, den man unterwegs begegenet und auf die man angewiesen ist, Vertrauen entgegenzubringen. Auf die Taxifahrer, die einen vom Flughafen zum Hostel oder von der Stadt in einen entlegenen Park bringen. Auf die Geldwechsler, die einem einen fairen (als ob!) Tausch anbieten. Auf die Touranbieter, die einem einen sicheren Ausflug auf einen Wildwasserfluss versprechen, auch wenn sowas niemand garantieren kann.

Wer diesen Menschen nicht vertrauen kann, der kann nicht durch die Welt reisen, wie ich es tue.

Und daraus ergibt sich die Frage: Ist das das Ende meiner Reise? Zeit, nach Hause zu gehen?

Liebste Grüße

Eure Jana

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