Hallo liebe Leser*innen,
oh je, ich muss mir echt angewöhnen wieder regelmäßiger zu protokollieren, aber es ist leichter gesagt als getan. Entweder habe ich keine Zeit oder keinen Strom oder kein Internet um zu bloggen. Dementsprechend bin ich euch mal wieder einige Tage voraus. Nichtsdestotrotz bleiben wir auf Kurs, es geht weiter mit meiner schönen Zeit in Buenos Aires.
Schöne Zeit heißt in dem Fall meistens: Nichts tun. Ich genieße die Ruhe und den „Luxus“ meines Alleinseins in der Wohnung, schlafe aus, frühstücke ausgiebig, gönne mir Streamingzeit, auch wenn ich nur dummes Zeug gucke, aber ich bin einfach nicht wirklich aufnahmefähig.
Trotzdem wage ich mich ein paar Mal nach draußen, da es noch einiges gibt, das ich in der Stadt sehen will.


Eines Vormittags spaziere ich nach Puerto Madero, das alte Hafenviertel von Buenos Aires. Mittlerweile sind in den alten Backsteinhallen Restaurants, Cafés, Bürogebäude und Shoppingmalls, alles sehr modern und schön hergerichtet. Ich spaziere an der Puente de las Mujeres (Brücke der Frauen) vorbei in Richtung Stadtrand, wo es etwas grüner wird. Schließlich komme ich an einer Promenade an, hinter der eine schöne Lagune liegt.




Trotz Hitze und voller Sonneneinstrahlung spaziere ich weiter und entdecke, dass alle paar Meter ein argentinischer Star in Form einer Statue verewigt wurde… bis auf Messi, von dem sehe ich nur einen Fuß. Ob gestohlen oder in Restauration, wer weiß.

Ein Stück weiter erreiche ich mein Ziel: Der Ökologische Park in Buenos Aires. Leider ist der Park nicht so dichtbewachsen und sonnengeschützt wie ich dachte, aber es ist trotzdem ein bisschen Ruhe vom Großstadtdschungel. Am Ende des Parks treffe ich wieder auf den Rio de la Plata, den ich vor vielen Wochen mit der Fähre von Uruguay aus überquert habe. Dort setze ich mich eine Weile unter einen schattigen Baum und genieße das Geräusch des Wassers, das in kleinen Wellen ans Ufer schwappt. Man denkt, man sitzt am Meer. Von Uruguay aus konnte ich damals die Skyline von Buenos Aires sehen, umgekehrt klappt es nicht.



Ich beobachte ein wenig die anderen Leute, wie sie entspannt am Ufer sitzen und Mate trinken. Vielleicht sollte ich mir doch noch mein eigenes Set kaufen, seit meinem Farmaufenthalt bin ich auf den Geschmack gekommen. Nach einer Weile spaziere ich zurück und treffe mich später mit Molli auf ein entspanntes Abendessen.
Regelmäßig am Sonntag findet der Markt von San Telmo statt. Ein großer Straßenmarkt, der sich durch das ganze Viertel zieht, ähnlich wie der in Montevideo. Ich schlendere durch die Stände, entdecke viele schöne kleine Dinge, aber wie immer verbiete ich mir, etwas mitzunehmen. San Telmo ist eines der sehenswertesten Viertel von Buenos Aires, das ich eines Abends auch mit Molly erkunde. Auch wenn es im Vergleich zum Rest ziemlich heruntergekommen wirkt, verstecken sich hier architektonische Schönheiten, die einem das Gefühl geben durch Paris oder Rom zu schlendern… im schlechteren Teil 😉 an jeder Ecke ist eine gemütliche Bar oder ein schönes Café, tausend Möglichkeiten, einen netten Abend zu verbringen. Molli und ich stolpern über einen Second-Hand-Shop, der voll ist mit 80er Jahre Klamotten, Gauchomode und einigen lustigen Accessoires. Wir probieren uns spaßeshalber durch ein paar Lederjacken, alle sehen super aus! Aber leider, die Last des Backpackers ist minimalistisch zu leben.


Nach dem Straßenmarkt finde ich den „richtigen“ Markt von San Telmo, eine große Markthalle, die ein bisschen an eine alte Fabrik erinnert. Was für ein Erlebnis! Natürlich ist es proppenvoll und meine Sinne werden komplett überfordert. Aus den Essensbuden wabern leckere Gerüche durch die Luft, ob Asado, Burger, Pizza oder Süßes, hier gibt es alles, was das argentinische Herz begehrt. Dahinter sind die Verkaufsstände mit Kleidung, Schuhen, Möbeln, Mate, Gewürzen, Lebensmitteln und und und… Ich find’s toll, aber allzu lange halte ich’s nicht aus.




Nach San Telmo gehe ich im Stechschritt zurück in die Innenstadt, ich habe nämlich noch etwas vor. Kurz vor zwei Uhr trudele ich im Palacio Barolo ein, einem der eindrucksvollsten Gebäude in Buenos Aires. Ich bekomme noch ein Ticket für die Tour um zwei (Argentinien!) und dann geht’s auch schon los.
Warum ist genau dieses Gebäude so interessant? Der Architekt hat das komplette Gebäude einem italienischen Text aus dem 14. Jh. nachempfunden: Die Göttliche Komödie von Dante Alighieri. So besteht das Gebäude wie der Text aus drei großen Teilen: Der Hölle, dem Fegefeuer und dem Paradies, oben im Leuchtturm. Das Haus ist voll mit Symbolen und Verweisen auf den Text oder auf die Bruderschaft der Freimaurer, denen auch der Architekt angehört hat.





Aber jetzt kommt erst der spannende Teil:
Der italienische Architekt, Mario Palanti, hat dieses Gebäude aus zwei Gründen entworfen und gebaut. Der erste Grund war finanzieller Natur, superlangweilig, öde, weg damit! Der zweite Grund: Sowohl er als auch der Leiter des Projekts, Luiz Barolo waren große Fans von Dante. Während des ersten Weltkriegs waren beide besorgt, Dantes Überreste in Italien könnten durch den Krieg zerstört werden und bauten den Palacio Barolo als Mausoleum des Dichters.
Als krönenden Abschluss fertigte Mario Palanti im Jahr 1919 in Italien eine Statue an, ein fliegender Adler, der einen Mann (Dante) auf seinem Rücken trägt. Die Statue wurde nach Argentinien verschifft, doch bevor sie im Hafen verladen werden konnte, wurde die Statue gestohlen. Es vergehen Jahre, bis sie zufällig in einer Sammlung entdeckt wird, doch der Sammler will das Stück nicht hergeben. Erst nach langer Zeit der Verhandlung werden sich beide Seiten einig… doch just dann wird die Statue ein zweites Mal gestohlen.
Wieder vergehen Jahre, bis man mit durch Zufall in einem Antiquariat den unteren Teil der Statue wiederentdeckt. Der obere Teil, der Adler, der Dante ins Paradies fliegt, bliebt bis heute verschollen. Rumore besagen, dass in der Statue die echten Überreste von Dante nach Argentinien verschifft wurden… stimmt aber nicht, sie liegen bis heute in Ravenna, Italien. In der Eingangshalle des Palacio Barolo steht jetzt eine Nachbildung der Statue, der untere Teil des Originals kann bei der Tour besichtigt werden.


Super spannende Geschichte, oder?
Auch die Tour durch das Gebäude war sehr interessant, allerdings etwas langwierig… und das schlechtbezahlte, verkleidete Gespenst von Dante hätte es auch nicht wirklich gebraucht, aber gut: alles für den Tourismus. Sehr schön war auch die Sicht aus dem Leuchtturm über die Stadt. Allerdings fühlt es sich durch die Hitze an, als säßen wir alle in einem Ofen in hundert Metern Höhe.





Ein besonders schöner Besuch war in der in El Ateneo Grand Splendid, dem größten Buchladen in Südamerika – eingebettet in einem ehemaligen Theater. Ich finde, das ist der optimale Ort für eine Bibliothek oder eine Bücherei. Im ehemaligen Bühnenbereich ist heute ein kleines Café, in dem man entspannen und lesen kann. Selbst die Logen sind voll mit Büchern. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus.





An meinem letzten Tag in der Stadt verabrede ich mich Molly auf einen kleinen Stadtspaziergang und vielleicht einen Café. Wie ich Stunden später nassgeschwitzt mit einer Horde Briten in einem Club gelandet bin, weiß ich bis heute nicht, aber hier kommt die Geschichte.
Molly will am Abend eine neue Bekannte aus dem Hostel auf ein Konzert begleiten und fragt, ob ich mit will. Ich sage zu, habe aber im Kopf, dass ich am nächsten Morgen fit sein muss, um alle restlichen Sachen vor der Abreise zu erledigen. Wir gehen zum Veranstaltungsort und kaufen unsere Tickets, es ist halb acht, das Konzert beginnt um acht. Da freuen sich meine deutschen Knochen. Allerdings lässt Mollis Bekannte auf sich warten. Es wird zehn vor acht, fünf vor acht, zwei vor acht, dann taucht sie endlich auf, allerdings will sie ebenfalls noch auf Leute warten. Das ärgert meine deutschen Knochen. Ich bezahle doch nicht für ein Konzert, nur um dann die Hälfte davon auf Leute zu warten. Immerhin kommt der Rest relativ schnell. Und plötzlich passiert etwas: Jeder der dazukommt, erkennt in der Menge einen anderen Hostelmitbewohner, – bekannten, was-auch-immer und unsere „Gruppe“ wächst in Sekunden auf bestimmt 15 Leute. Als wir zum linken Eingang wollen, weist uns die Wärterin ab: Da ist die Schlange, anstellen. Wir sehen zum rechten Eingang… die Straße entlang… der komplette Gehweg ist voll mit Wartenden. Wir gehen um die Ecke… der ganze Block ist voll mit Wartenden. Ich fasse es nicht. Ich habe für ein Konzert bezahlt, von dem ich nichts hören werde, weil ich die Zeit des Konzerts in der Warteschlange verbringe. Meine deutschen Knochen wollen nach Hause gehen. Aber die Schlange bewegt sich ziemlich schnell nach vorne und wir stehen bald im Innenhof eines großen Komplexes, in dem die Bühne steht.
Endlich angekommen… da beschließt die Gruppe, sie brauchen erstmal alle was zu trinken. Meine deutschen Knochen wollen Leute schlagen. Wir stellen uns also für Getränke an, als ich erkläre, dass ich im Moment keinen Alkohol trinke, kassiere ich schon schiefe Blicke. Dann endlich, suchen wir uns einen Platz in der Menge und ich kann mich aufs Konzert konzentrieren… und das wendet das Blatt.

Wir sind auf einem Trommelkonzert und die Stimmung ist bei 100 Prozent. Der Rhythmus der Trommeln geht einem ins Blut, in den Puls, in die Knochen, es ist wahnsinnig gut. Einer aus der Gruppe dirigiert den Rest, es gibt keine Noten, alle sind aufeinander eingespielt und folgen den Anweisungen des „Dirigenten“, der eigentlich nur vorne steht und selbst tanzt. Doch jede Bewegung mit den Armen ist eine andere Anweisung an die Gruppe, die dementsprechend den Rhythmus wechselt, pausiert, das Tempo anzieht und so weiter. Ich hab richtige Gänsehaut Momente. Später kommt eine Sängerin auf die Bühne, die so zierlich und weiblich wirkt, dass man nie so eine gute Rapperin dahinter vermutet hätte. Die Menge tobt. Sie hat genau den richtigen Mix aus coolem Rap und verführerischer Latina. Ich bin begeistert. Alle könnten stundenlang dem Spiel der Trommeln zuhören, aber irgendwann ist die Gruppe durch… vor allem physisch, es ist sicher verdammt anstrengend für anderthalb Stunden auf eine Trommel einzuschlagen… und zwar koordiniert.
Nach dem Konzert gehen die Gespräche los, in welchen Club es jetzt geht. Das ist mein Moment denke ich, warte aber noch eine Zeitlang mit Molly, bis sie entschieden hat, wohin sie geht. Wir treffen auf einen Amerikaner, der amerikanischer nicht sein könnte und uns von der Afterparty des Konzerts erzählt. Ich erkläre, dass ich nicht mitgehe und werde mal wieder, wie schon so oft in meinem Leben dafür diskriminiert, dass ich keine Partygängerin bin. Allerdings ist diesmal das erste Mal, dass ich nicht versuche, „mich dafür zu rechtfertigen“ , sondern mich schlichtweg jemand anderem zuwende.
Seltsamerweise habe ich an diesem Abend aber Lust, auszugehen. Liegt vielleicht am Urlaubsfeeling, aber ich habe das Gefühl, ich sollte die Großstadt wenigstens einmal nutzen. Und mit Molly habe ich eine gute Begleiterin. Ich sage ihr also spontan zu, dass ich „kurz“ mitkomme (Na klar! Als ob das je funktioniert hätte).
Das Konzert selbst hat eine Afterparty – und um dorthin zugelangen, folgt die komplette Meute des Konzerts den Trommeln durch die Stadt bis zum Club. Es ist kein langer Weg, aber mit hunderten von Leuten im Schlepptau laufen wir doch ein ganz schönes Stück. An den Rändern der Meute gehen Wärter mit einem Seil und leiten die Masse auf den Gehweg… es ist ein bisschen wie im Kindergarten oder mit sehr sehr vielen Hunden, die man versucht im Zaum zu halten und ich finde es ziemlich lustig.
Während des Weges passiert dasselbe Phänomen, wie vor dem Konzert, jeder kennt plötzlich jemand neuen und innerhalb kürzester Zeit steigt die Gruppe von 15 auf 40. Der Großteil sind Briten. Natürlich ist es unmöglich sich alle Namen und Gesichter zu merken und ehrlich gesagt habe ich dazu auch gar keine Lust. Ich halte mich an Molly und sie sich an mich, so kommen wir ganz gut über die Runden.
Im Club steht die Luft und man ist innerhalb von Sekunden nass. Ebenfalls eine neue Erfahrung für mich: Nüchtern im Club… und ehrlich gesagt, ist es eine gute Erfahrung. Ich bin gelöst, ganz bei mir, genieße die Musik und ignoriere den Rest der Welt. Dafür brauche ich keinen Alkohol. Jemand hat mir mal gesagt, man muss sich betrinken, um die stickige Luft, die schwitzigen Menschen und die Situation überhaupt auszuhalten… wie scheiße ist das denn? Da verzichte ich liebe ganz. Aber so kann ich es irgendwie genießen. Um Mitternacht treten nochmal Trommler auf (andere) und wieder kommt die gute Stimmung vom Konzert auf. Ich bleibe viiiel länger als gedacht und habe tatsächlich eine gute Zeit. Unglaublich. Gegen halb fünf bin ich im Bett… der nächste Tag wird anstrengend. Aber ich bereue nichts. War ein toller Abschluss für meine Zeit in Buenos Aires.






Liebste Grüße
Eure Jana
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