Bis nach Puerto Madryn fahre ich etwa 4 Stunden. Im Busfernsehen (!, Ja, das gibt es) läuft Matrix 4 (auch noch gute Filme), das lenkt mich ganz gut vom Abschiedsschmerz ab. Und bald darauf schlafe ich sowieso ein. In Puerto Madryn kaufe ich mein Ticket nach Puerto Piramides, ein kleines Dorf, das direkt auf der Halbinsel Valdez liegt, mein nächstes Reiseziel. Der Bus fährt dreimal am Tag, samstags, sonntags, feiertags nur einmal. Alba hat mich dazu inspiriert, mehr die kleinen Dörfer neben den bekannten Städten zu suchen, da ist es schlichtweg ruhiger und noch etwas originaler. Ganz nach meinem Geschmack. Ich hatte mich bis jetzt nur nicht getraut, weil es in der Stadt immer leichter für Touristen ist: Mehr Busverbindungen, längere Öffnungszeiten, immer viele Unterkunftsmöglichkeiten, alles ständig auf Abruf. Dank Alba bin ich viel sicherer geworden und kann meine Reise so jetzt noch viel besser genießen.
Mir bleibt aber noch etwas Zeit, sodass ich noch ein paar Sachen erledigen kann: Geld von Western Union abheben und bei der Post fragen, wie man ein Päckchen nach Deutschland schickt. Kurz darauf fülle ich die Adressaufkleber auf und schicke mein erstes Paket ab… na mal schauen, ob das ankommt.
Der Bus nach Puerto Piramides fährt nochmal fast zwei Stunden. Ich sehe aus dem Fenster, doch ich sehe immer noch nur die endlos gleiche Pampalandschaft, spärlich bewachsenen, sandigen Boden ohne große Hebungen. Eine lange gerade Straße führt auf die kleine (also für Argentinien) Halbinsel. Kurz vor dem Ortseingang sehe ich ein lama-ähnliches Tier und bin gleich begeistert. Es folgen mehrere und ich freu mich schon, mehr darüber zu erfahren. Das Dorf liegt direkt an der Küste, dahinter heben sich große Sanddünen in den Himmel. Ich steige aus und folge Google Maps zu meinem Hostel, genau wie viele andere Häuser ein schöner, bunter Komplex. Ich checke ein, gehe noch einkaufen und das war’s dann auch für den Rest des Tages. Ich unterhalte mich noch kurz mit Juan, meinem einzigen Zimmergenossen, gehe aber bald darauf schlafen. Am nächsten Tag habe ich großes vor.
Die Halbinsel Valdes ist für ihre vielfältige Tierwelt bekannt, vor allem aber für eines: Wale. Die Art Franca Austral kommt hier jedes Jahr für einige Monate zu Besuch… leider bin ich genau zur falschen Zeit da. Aber ehrlich gesagt hätte es für mich mal wieder kaum besser kommen können. Zwar verpasse ich den sicher fantastischen Anblick der Wale, dafür ist auf der Insel zurzeit kaum was los. Sonst reißen sich hier die Touristen um die Plätze auf den Booten oder blockieren den Strand. So habe ich alles für mich… und es gibt trotzdem mehr als genug zu sehen.
Heute habe ich einen ganz besonderen Ausflug gebucht. Kurz vor elf laufe ich durch die Straßen und komme kurz darauf bei Marios Mountainbike-Verleih an: Heute geht es mit dem Fahrrad über die Dünen und das Hinterland der Pampa bis zu einem etwas entfernt gelegenen Strand. Ich freu mich schon riesig! In München habe ich das Fahrradfahren für mich wiederentdeckt… aber das hier ist schon was ganz anderes, als mit meinem klapprigen Horst durch das aufgeräumte München zu fahren. Mit dicken Geländereifen, die nur aus Gummi (oder so) radeln wir los. „Wir“ sind Mario, der Tourguide, ein britisches Pärchen um die fünfzig, mit denen ich mich sofort super verstehe und denen ich regelmäßig hinterher hecheln muss – und ich. Ich kriege eine extra Radlerhose, mit einem Stoffschutz im Schritt, für die ich sehr dankbar bin. Hätte ich das mal beim Reiten gehabt.
Als erstes geht es den Berg hoch weit über das Dorf. Nach oben ist für mich immer schwierig, egal ob Wandern oder Fahrrad, was daran liegt, dass ich schlichtweg sehr schwer bin. Trotzdem ist die Aussicht die Mühe wert. Am Anfang ist die Strecke noch ein ganz normaler Weg, dann biegen wir ab und es geht durch den Sand. Das ist ein ganz schöne Herausforderung. Man muss im Sattel weit nach hinten rutschen, erklärt Mario, dann sinkt man nicht so schnell im Sand ein. Der Tipp ist gut, trotzdem ist es eine völlig neue Erfahrung für mich. Und manchmal müssen wir doch absteigen, weil es so gar nicht mehr vorwärts geht. Dann biegen wir ab und fahren auf einem winzigen Trampelpfad (von Tieren gezogen) durch die Pampalandschaft. Die kleinen Büsche haben manchmal spitze Dornen und ich mache mir Sorgen um die Reifen, doch dann fällt mir wieder ein, dass da ja gar keine Luft drin ist. Die Strecke macht richtig Spaß, weil sie ein bisschen Technik erfordert, aber größtenteils eben verläuft. Ich unterhalte mich viel mit Peter über unsere jeweiligen Reisen und alle möglichen anderen Dinge, wir verstehen uns sehr gut. Auf dem Weg begegnen uns wieder die Lamas – Guanacos, wie ich jetzt gelernt habe – die sehe ich von jetzt an regelmäßig. Im Hostel meinten schon ein paar Leute fast abfällig, die sind ja überall… aber das heißt ja nicht, dass sie deswegen weniger interessant sind. Wir kommen auch an einer Pferdeherde vorbei (nicht wild), die hier im Hinterland grast, bei denen ich natürlich den Kopf ganz weit rausstrecke. Es ist super, weil wir bei den Tierbegegnungen immer schön langsam und leise vorbeifahren können, anders als mit dem Auto. Dafür ist das Mountainbike echt perfekt. Peace!!

Hin und wieder halten wir an und Mario erklärt uns ein paar historische Gegebenheiten. Er nutzt mich spontan als Dolmetscher Spanisch – Englisch, meines ist besser als seines. Ich nicke, gute Übung für mich. Er erklärt ein paar Absätze auf Spanisch, ich übersetze für das britische Pärchen.
Anfang des 20 Jahrhunderts war Puerto Piramides viel größer als Puerto Madryn, die heutige große Hafenstadt. Das lag an den großen Salzseen die in der Mitte der Insel liegen. Zu der Zeit wurde Fleisch noch mit Salz konserviert, dementsprechend stand der Ort wirtschaftlich gut dort. Mario hebt ein altes Stück Eisen in die Höhe und erklärt, dass sind die Überreste der Zuggleise, die hier vor langer Zeit durchgingen, um das Salz in den Ort zu bringen und dort zu verkaufen. Mit der britischen Erfindung des Kühlschranks, die gegen 1920 in Argentinien ankam, starb die Wirtschaftsquelle schnell aus und der Ort wurde fast verlassen. Durch Zufall kamen Jahre später Besucher in den Ort und erkannten diesen als Fischerparadies – und mit den von den Ködern angelockten Fischen kamen auch die Wale, die zur neuen Wirtschaftsquelle aufstiegen: dem Tourismus. Und hier sind wir heute.
Wir fahren weiter.Am meisten Spaß macht es, bergab zu fahren. Der Wind pfeift einem um die Ohren, die Landschaft fliegt vorbei, mir kann es nicht schnell genug gehen. Am Strand fahren wir über die kleinen Steine, ebenfalls ähnlich wie der Sand eine ganz schöne Herausforderung. Am Strand erklärt uns Mario etwas zur Geologie des Ortes.
An den Klippen kann man deutlich dunkle und helle Streifen erkennen. Die dunklen zeigen die Phasen in denen das Wasser das Ozeans über dem Land war, die hellen, in denen das Land an der Luft war und zwischen drin stecken Milliarden von Muscheln – 25 Millionen Jahre alte Muscheln. Über die Jahrmillionen stieg das Wasser an und ab, überschwemmte ganz Südamerika bis hin zu den Anden. Die gesamte Gegend hier ist ein Paradies für Urzeitforscher, da in der Restinga (Klippenvorsprung, auf dem wir mit den Rädern fahren) nicht nur die Lebewesen selbst zu finden sind, sondern auch ihre Umwelt, Sauerstoffgehalt der Luft, Bodenschätze konserviert sind. Neben uns liegt ein riesiger Felsen, herausgebrochen aus den oberen Klippen, darin kann man die Muscheln sehen. Mario zeigt auf einen kupferfarbenen – oxidierten Stein: Das ist ein Walknochen. Bei ihm zuhause hängt sogar der Zahn eines Megalodons, der seit Jahrtausenden ausgestorbene, riesige Urzeithai. Ich hab ihn gesehen, leider vergessen ein Foto zu machen, sorry… also, vom Zahn 😉


Wir kommen an unserem Zielort, dem Strand an, dort machen wir Mittagspause. Die Landschaft ist wie immer wunderschön, das Wasser glasklar, grünlich-blau, so wie ich es kenne und liebe, die Klippenlandschaft ist einmalig. Aus der Ferne sehen wir schwarz-weiße Vögel, die wir fälschlicherweise für Pinguine halten. Passiert den meisten, sind aber Cormorane, die sehen aus der Ferne genauso aus und können fliegen. Ich spaziere ein bisschen vor mich hin, nutze die Pause um die Beine zu entspannen und unterhalte mich mit Mario. Er macht die Touren jetzt seit 28 Jahren, hat gemeinsam mit seiner Exfrau auch ein Restaurant in der Stadt und bietet neben Mountainbike auch Wandertouren an. Wieder jemand, der es geschafft hat, sein Hobby in einen Beruf zu verwandeln und so seinen Traum leben kann.





Es wird Zeit für den Rückweg. Da es derselbe Weg ist, müssen wir die tollen Berg-ab-Strecken jetzt auch wieder Berg-auf radeln… ich komme ganz schön ins Schwitzen, komme aber hinterher. Dann kann ich die technischen Fahrt durch die Pampa wieder genießen, genauso wie die durch die Dünen. Und die schöne Aussicht nicht zu vergessen.






Kurz vorm Dorf machen wir noch einen kurzen Halt und Mario erklärt, dass wir für den nächsten Abschnitt selbst entscheiden müssen, ob wir fahren oder schieben. Es wird ziemlich steil. Treffpunkt ist dort unten bei der Teerstraße. Ellie winkt ab, sie schiebt, Peter überlegt noch… für mich ist es eigentlich relativ klar. Kurz nach Mario lasse auch ich die Bremse los und lasse mich den Berg herunterrollen. Es wird sehr schnell sehr schnell und mir wird ein bisschen mulmig bei der Steigung: Wenn ich falle, falle ich Kopf voraus und zwar ganz schön heftig. Ich verlagere das Gewicht nach hinten und versuche zu bremsen, aber auf dem sandigen Boden würde ich nur die Kontrolle über die Räder verlieren. Also bleibe ich bei meiner Geschwindigkeit, lenke durch die sandigen Windungen, rutsche ein paar Mal fast mit dem Hinterrad weg und komme am Schluss doch heil bei Mario unten an. Der ist beeindruckt: Ich bin die erste Frau, die diese Strecke tatsächlich ganz gefahren ist. Ich glaube ihm nicht, aber er versichert es mir so, dass ich mich doch ein bisschen freue. War schon eine geniale Abfahrt. Kurz darauf kommt Peter und auch nicht lange danach Ellie und wir fahren den Rest zurück ins Dorf. Wir bedanken uns bei Mario für die großartige Tour und versprechen, ihm ein gutes Feedback auf der Internetseite zu hinterlassen. Ich erzähle Peter und Ellie, dass ich am nächsten Tag vor habe zu einem entfernter gelegenen Punkt auf der Insel zu trampen, doch sie meinen, sie können mich morgen gerne mitnehmen, sie wollen auch dorthin. Das ist natürlich super für mich.
Ich wackle nach Hause, nach fünf Stunden Fahrradfahren spüre ich die Belastung in den Beinen. Aber der Tag ist zu schön, um ihn schon zu beenden. Ich mache eine kurze Pause im Hostel und gehe dann runter zum Strand, um ein bisschen spazieren zu gehen. Drüben bei den Klippen kriege ich Lust auf ein bisschen gute Aussicht und erklimme spontan die Anhöhe für einen guten Platz für den Sonnenuntergang.
Da, um genau zu sein:

Da ist es auch superschön… aber auch ganz schön windig und bis zum Sonnenuntergang ist es noch eine gute Stunde… da spaziere ich lieber weiter. Aber diese Aussicht war wirklich super:






Wieder habe ich den Strand fast für mich… so kann man die Natur nochmal richtig anders genießen.



Nach Sonnenuntergang wird es schnell kalt und ich gehe schnell ins Hostel zurück. Dort gebe ich Bescheid, dass ich noch einen Tag länger bleiben werde. In der Küche lerne ich ein deutsches Pärchen kennen und wir tauschen ein paar Erfahrungen aus. Aber sie sind mir ein bisschen zu deutsch, der Kontakt wird nicht weiter eng.
Abends kuschle ich mich ins Bett und denke voller Vorfreude an den Muskelkater, der mich morgen ereilen wird… der war es sowas von wert!!
Liebste Grüße
Eure Jana
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