Liebste Leser*innen,

An meinem ersten Sonntag fahre ich mit Thuy ins Café in die Stadt auf ihrem Roller. Thuy erklärt mir an einem leichten Abhang, dass sie diesen Teil besonders mag. Der Wind fliegt uns um die Ohren, man hat eine tolle Sicht über die Stadt und die Umgebung, die Sonne scheint. Sie hat recht, es ist wirklich schön. Thuys Café ist zauberhaft. Ein kleiner Steingarten mit ein paar Pflanzen und einer süßen grauen Katze, die umherstreift. Innen ist es total modern und bequem eingerichtet, es hängen Instrumente an der Wand und bei der Karte läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Nächstes Mal sollte ich wirklich Geld mitnehmen. So versuche ich, weniger Geld auszugeben (keins mitzunehmen), aber Thuy so zu unterstützen und die leckeren Getränke zu trinken, ist die optimale Art, ein bisschen Geld auszugeben. Thuys Nichte ist die, die sich die leckeren Getränke ausdenkt und auch hervorragend kochen kann. Sie wohnt mit bei uns im Haus, wenn sie nicht bei ihrem Freund ist. Sie spricht nur wenig Englisch, aber ist eine Zauberin in der Küche.

Jere und Lisa wollen später nachkommen, Lisa geht es nicht so gut. Kurz nachdem ich ankomme, kommen die ersten Gäste und kurz danach sprechen mich auch schon die ersten an. Ich grüße die Leute freundlich, wir stellen uns vor, erklären, woher wir kommen, was wir arbeiten. Die Englischlevels sind total unterschiedlich, manchmal sind die Kinder deutlich stärker als die Eltern, manchmal ist es umgekehrt, die einen sprechen mehr, die anderen weniger. Bald darauf sitzen wir in einer großen Runde und reden. Jere kommt alleine dazu, Lisa liegt leider flach.  Jemand hat Bananenkuchen mitgebracht, es ist das seltsamste, was ich je gesehen habe. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Stück Speckschwarte. Es schmeckt aber tatsächlich süßlich, nach Banane, wirklich lecker. Ich finde diesen Austausch super, viele sind interessiert und wir reden mehrere Stunden. Die Leute kommen und gehen, bis am Ende nur noch ein paar da sind, wir spielen auch wieder Gitarre und singen zusammen.

Gegen Mittag fahre ich mir Jere wieder zurück zur Farm, was ein echtes Abenteuer wird, weil der Roller ein dreiviertel Schrotthaufen ist. Die Bremsen funktionieren schlecht bis gar nicht, ein Spiegel ist ab, Blinker sind tot und am Anfang kriegen wir das Ding auch nicht gestartet. Thuy hilft uns und Jere fährt uns irgendwie sicher nach Hause, ich gebe Handzeichen, wenn wir abbiegen. Wieder würde ich gerne lernen, wie man Roller fährt, aber es ergibt sich dann doch wieder nicht. Mist!

Lisa hat trotz Krankheit gekocht, legt sich aber nach dem Essen gleich wieder hin. Sie hat eine böse Grippe erwischt. Jere und ich pflücken am Nachmittag Kirschen, zu dem Zeitpunkt waren Marie und Lucie noch nicht bei uns. Am nächsten Sonntag sind wir zu viele, dass wir alle fahren, sodass Jere und ich freiwillig zurückbleiben und den Tag zuhause entspannt verbringen. Blöderweise entgehen mir so die leckeren Getränke, aber mei, was soll’s.

An einem Tag bauen Thuy und ich die Blechwände an die Scheune, in der wir den Honigprozess mit den Bohnen machen. Vorher lagen die Wände nur nutzlos neben der Scheune, eingefallen, ungenutzt, keine Ahnung. Mangels eines Bohrers, binden wir alles mit Draht zusammen, bis wir tatsächlich zwei recht stabile Ecken hinbekommen. Wenn wir alleine sind unterhalten wir uns oft über da Thema Liebe und Beziehung. Thuy bekommt da viel Druck von ihrer Familie, aber sie hat für sich entschieden, wenn es Zeit ist, ist es Zeit oder wenn sie jemanden trifft, der Lust hat, dieses Projekt mit ihr zu gestalten. Aber im Moment ist ihr die Farm einfach wichtiger und sie ist glücklich, so wie es ist. Ich bestätige sie nur zu gerne in dieser Perspektive, besser hätte ich es für mich auch nicht ausdrücken können. Wir sprechen über Kulturunterschiede und ich erzähle ihr von dem tollen Frauenmuseum in Hanoi, in dem ich gelesen habe, dass manche Clans hier matriarchalisch aufgebaut sind. Thuy nickt, ja genau hier, zum Beispiel. Ihre Familie ist matriarchalisch, die Frauen der Familie spielen eine superwichtige Rolle in der Partnersuche. Thuys Nichte zum Beispiel, will ihren Freund bald der Familie vorstellen. Dafür ist ein großes Essen in der Stadt geplant, Thuy ist eingeladen und vor allem viele Frauen der Familie. Ich finde das super! Thuy mein außerdem, wozu Kinder? Ich habe durchschnittlich fünf Volontäre hier herumlaufen, ist doch fast dasselbe?! Ich stimme schmunzelnd zu. Wir nennen sie oft „Mama“.

Thuy erzählt, dass sie nicht immer einverstanden mit ihrer Nichte ist. Sie ist 20 Jahre alt und würde ihren Freund am liebsten bald heiraten. Thuy (und da kann ich und jede westlich-geprägte Frau) nur zustimmen, findet das viel zu früh… aber viele Mädels hier stürzen sich (oder werden gestürzt) viel zu jung in eine Ehe, ohne sich zuvor eine eigene Lebensgrundlage zu schaffen, mit der sie sich selbst versorgen können. So werden viele Frauen abhängig von ihren Männern und einer Ehe, in der sie sich schon bald nicht mehr wohlfühlen. Und dann fangen die Probleme an.

Kurzer Kommentar zwischendurch. Ich schreibe diese Zeilen, während ich in Afrika sitze. Damals dachte ich mir, in Vietnam sind die Zustände schlimm… aber dort ist es verhältnismäßig noch richtig gut. – Mehr dazu lest ihr in den Afrika-Artikeln 😉 Eins nach dem anderen.

Ich finde es super cool, wie stark Thuy ist, sowohl körperlich als auch geistig und wie sie für ihre Träume und Ideen kämpft… und sich auch noch um die lokale Gemeinschaft sorgt. Für mich ist es wirklich inspirierend, bei ihr zu sein, sie zu unterstützen, mit ihr zu reden und zu sehen, wie es läuft. Aber sie ist auch ehrlich zu mir: Im Moment, macht sie ein Minus. Sie tut alles, um die Farm und ihr Business auf einen grünen Faden zu bringen, aber noch ist es nicht genug. Während wir dort sind, hat sie gerade eine Idee realisiert, gekühlten Kaffee in kleine Flaschen zu füllen und diese im Kühlregal zu verkaufen. Wir finden das alle super, schmeckt auch richtig gut. Ist wie die „kalter Kaffee/Cappuchino/Moccachino“ und wie sie alle heißen, die man bei uns billig von Nestlé neben dem Joghurt im Kühlregal findet… nur eben in echt guter Qualität. Hoffentlich bringt sie das einen Schritt weiter. Ich schlage ihr auch vor, eine Kosmetiklinie mit ihrem Kaffee zu starten, das hatte ich in Kolumbien gesehen. Projekte wie ihres sind es, die unserer sinkenden Welt noch eine Chance geben werden. Ein Funken Hoffnung für eine sterbende Umwelt.

Ich schaffe es, ein paar Mal morgens joggen zu gehen. Zuerst laufe ich ein bisschen in die falsche Richtung, aber nachdem Thuy mir den Weg erklärt hat, finde ich eine wunderschöne Strecke tief in die Kaffeeberge. Es ist traumhaft.

Während meiner Zeit dort hat Jere Geburtstag. Lisa bereitet ihm ein Überraschungsfrühstück, ich pflücke Blumen und Kaffeebohnen als Dekoration bei meinem Morgenlauf, die Mädels helfen beim Tischdecken. Alles in allem bekommen wir einen richtig schönen Geburtstagstisch hin, sogar mit Torte!

Um Mittag herum hat Thuy ein paar Freunde/Bekannte aus dem Café eingeladen, die für uns kochen wollen. Plötzlich wuselt es in der Küche vor Frauen und Kindern, jeder hat eine Aufgabe zugeteilt… uns Freiwilligen ist das alles ein bisschen zu viel. Eigentlich hätten wir den Tag gerne freihaben wollen, aber das war nicht so ganz, was wir uns unter Erholung vorgestellt haben. Ich entziehe mich dem geschehen recht schnell, mich plagen Periodenkrämpfe und feministische Einstellungen. Wieso? Weil ich fünf Frauen in der Küche schnibbeln, kochen, vorbereiten sehen, während sie gleichzeitig herumrennenden Kinder betreuen… und die Männer dazu sitzen draußen auf der Terrasse, genießen die Aussicht. Ich würde am liebsten etwas sagen… aber es wäre eine große Beleidigung und es ist der falsche Ort für einen Aufstand. Aber so viel zum matriarchalischem Gesellschaftssystem… doch nur eine Illusion?

Einige Zeit später wird draußen ein großer, langer Tisch aufgebaut und mit Bananenblättern gedeckt. Bananenblätter werden hier für absolut alles verwendet, zum Dach decken, Tisch decken, als Frischhaltefolie, als Tragetasche, als Kunst… die Blätter haben eine plastikartige Oberfläche, sind flexibel und recht stabil… absolut perfekt. Dann wird aufgetischt. Reis, Tofu, Gemüse, Bananenkuchen, ein Graupenmilchreis, der superlecker schmeckt, es ist ein Festmahl. Die Frauen schreiben uns das Rezept für den Bananenkuchen und… noch etwas anderes auf, das würde ich beides sehr gerne mal ausprobieren.

 Und Jere bekommt noch einen Kuchen aus Kaffeewackelpudding. Der sieht super aus… und schmeckt scheußlich. Es ist ein echt lustiger Moment, weil wir es gegenseitig in unseren Gesichtern lesen, als wir abbeißen und alle so tun, als wär’s total gut, um niemanden zu beleidigen. Die Idee ist ja nicht schlecht, aber die Ausführung war furchtbar.

Am Nachmittag kriegen wir dann doch noch frei und gehen zusammen spazieren. Wir befreien einen der Hunde und nehmen ihn mit, der Ausflug tut ihm sichtlich gut. Und uns auch. Das Wetter ist herrlich, die Sonne scheint, die Landschaft ist toll. Ich hatte beim Laufen einen nahegelegenen Punkt entdeckt, von dem aus man schön über die Reisfelder im Tal schauen kann. Dort machen wir halt und verbringen eine Weile ganz in Ruhe, machen Fotos, entspannen.

Ich wollte ursprünglich nur 7-10 Tage bleiben, aber während meiner Zeit hier beschließe ich, auf den Süden Vietnams zu pfeifen und die restliche Zeit meines Visums hier zu verbringen. Ich hab eine so schöne Gruppe hier, wir sind in kürzester Zeit fast zu einer Familie geworden – so ein Geschenk lässt man nicht so schnell los.

Manchmal kommt Thuys … Neffe? Zu Besuch. Er wohnt nebenan mit seinen Eltern, ist 11 Jahre alt und neugierig. Wir verstehen uns kaum, sein Englisch ist noch kaum vorhanden und keiner von uns spricht die Landessprache. Er stellt sich vor sein, sein Name ist Hao. Ich wiederhole, Hao. Er schüttelt den Kopf, nicht Hao, Haaaaoo. Ich wiederhole, Haaaooo, wieder schüttelt er den Kopf. Haaaoouuu. Ich versuche es wieder, Haaaaooouu, wieder schüttelt er den Kopf. Jere steigt mit ein – Haaaaauuuooo – Haaaououu – Haaaaoooo. Egal wie oft wir es versuchen, wir kriegen es nicht hin. HAO (oder wie auch immer) ist des öfteren ziemlich langweilig. In Jere findet er einen Schachpartner, aber wir sind von der Arbeit auch oft erledigt und nicht immer in der Stimmung, einen elfjährigen zu unterhalten, dessen Name unaussprechbar ist. Eines Abends spielen wir in einer sehr kleinen Runde „Werwolf“ zusammen. Ich glaube, mit weniger Leuten kann man es nicht spielen, es sind auch sehr kurze Runden, aber macht trotzdem Spaß. HAO ist auch dabei und auch wenn es mit der Verständlichkeit manchmal schwierig ist.

Noch lustiger ist, dass es in unsrem näherem Umfeld 3 HAOs gibt. Den Elfjährigen HAO, einen anderthalb Jährigen HAO und einen ca. 35 Jährigen HAO, einem benachbarten Kaffeeplantagenbesitzer, der überraschenderweise Deutsch spricht. Er hat jahrelang dort gelebt (ist vielleicht auch dort geboren, spricht akzentfrei die Sprache. Er lebt eigentlich in Südvietnam und hat erst vor kurzem ein Grundstück hier gekauft und startet ein ähnliches Projekt wie Thuy mit Freiwilligen. Er kommt oft vorbei um von ihr zu lernen… wir alle haben das Gefühl, er steht ein bisschen auf unsere vietnamesische Mama.

Der Abschied fällt mir wahnsinnig schwer. Wir frühstücken noch einmal zusammen, dann nehme ich alle in den Arm und wir machen noch ein paar Abschiedsfotos vor der Farm… meine Kurzzeitfamilie – ich werde euch vermissen

Und von noch etwas muss ich mich verabschieden… das ist jetzt ein bisschen seltsam, also lasst es mich erklären. Dadurch, dass ich mich so schnell von A nach B bewege, gibt es in meinem Leben nicht soo viele Konstanten. Dementsprechend werden unwichtige Dinge plötzlich wichtig und persönlich… wie zum Beispiel absolut alles, was ich in meinem Rucksack mitschleppe. Aber wenn die Zeit der materialistischen Dinge kommt, dann kommt sie… und dann heißt es mal wieder loslassen. Die hier haben mich von Deutschland bis hierher getragen: Und hier ist Endstation. Bye Bye versiffte Deichmannschuhe!

Mindestens genauso ungern verabschiede ich mich von diesen hier:

Thuy und ich schaffen es irgendwie uns beide und all mein Gepäck auf den Roller zu packen, dann fahren wir los, raus aus den Kaffeebäumen, rauf auf den Hügel… mit einer kleinen Unterbrechung, in der ich absteigen muss, weil wir in einem Loch hängen und zusammen sind wir zu schwer, um wieder rauszukommen. Dann noch einmal runter in die Stadt bis ins Busterminal. Thuy hilft mir, eine Verbindung Kambodscha zu finden, dann wird es Zeit, mich von ihr zu verabschieden. Wir haben beide Tränen in den Augen. Ich bin ihr so dankbar für ihre (Gast-)Freundschaft und hoffe wirklich, dass wir uns in Zukunft noch mal wiedersehen. Ihre Farm war eine Oase für Familie, Freunde, Ruhe, Kreativität und Naturverbundenheit für mich, die ich dringend gebraucht habe. Ich bin wieder bereit, für die nächste Etappe meiner Reise. Wir verabschieden uns und ich steige in einen Bus. Auf nach Kambodscha.

Dadurch, dass ich mich dagegen entschieden hatte, den Süden Vietnams zu bereisen, dachte ich mir, wieso den Umweg über Saigon (Ho Chi Minh Stadt)? Die Grenze zu Kambodscha ist recht nahe, ich kann doch auch direkt rüber? Ich suche mir also den nächsten Touristenort, der tatsächlich nicht weit entfernt ist und der Bus bringt mich direkt dorthin. Alles läuft super. Wir kommen zur Grenze, dort müssen wir alle aussteigen, ein Beamter checkt unsere Ausweise. Ich und zwei andere Männer werden zur Seite gerufen. Mir war schon klar, dass ich als einzige Weiße im Bus eine Sonderbehandlung kriege, die müssen sicherlich den Reisepass genauer überprüfen, das Visa-On-Arrival ausstellen, das dauert. Die Männer diskutieren miteinander, der Bus fährt schon mal durch die Schranke.

Plötzlich kommt einer der Männer vom Bus mit meinem großen Rucksack in der Hand, reicht ihn mir und ebenfalls die Hälfte des Ticketpreises. Gleichzeitig hält mir der Grenzbeamte sein Handy mit der Übersetzerfunktion hin. Ich lese „Sie können die Grenze hier nicht überqueren“

Ich falle aus allen Wolken. Was zur Hölle???!!!

Liebste Grüße,

Eure Jana

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert