Auch wenn es schwer fällt, Anne und ich quälen uns früh aus dem Bett, um den Sonnenaufgang von dem schönen Aussichtspunkt zu sehen. Und es lohnt sich auch. Ganz langsam kommt Lichtstrahl für Lichtstrahl in das Tal und leuchtet die Berge rötlich-braun an.

Es ist wirklich immer wieder ein besonders schöner Moment. Leider können wir nicht ganz so lange bleiben, der Check-out naht und Anne hat noch eine Video-Telefonat. Sie ist Lehrerin für Französisch und Englisch, das Gespräch ist eine Praxisübung für ihren Schüler.

Währenddessen gehe ich schonmal duschen, frühstücken, packen und so weiter und pünktlich um 10 sitzen wir wieder im Auto auf dem Weg nach Salta. Überraschenderweise hält uns keine Blockade auf. Wir tanken nochmal am Ende der Stadt und nehmen dann die Straße, die ich auf Google Maps gesehen hatte, aber keine Blockade… komisch. Vielleicht ist die auf der anderen Straße Richtung Salta. So muss es sein, denn schon bald merken wir, dass diese Straße zwar sehr schön ist, aber auch sehr klein und kaum befahren. Wie die Verbindungsstraßen auf den Dörfern in Bayern… nur mitten durch die dschungelbewachsenen Berge. Die Vegetation hat sich schon wieder komplett gedreht und zwar ins tropische, sodass ich das Gefühl habe, wieder in Brasilien gelandet zu sein. Es ist superschön und macht richtig Spaß zu fahren. Nur Anne wird irgendwann ein bisschen übel, wegen der vielen Serpentinen. Ich versuche langsamer zu fahren, aber das hilft nicht allzu viel, es sind eher die Kurven, die kann ich nicht ändern.

Wir fahren lange durch diese Zone, irgendwann öffnet sich der Dschungel dann doch noch und wir fahren wieder über Felder und Wiesen bis schließlich das Stadtgebiet von Salta in Sicht kommt. Hallelujah, wir sind zurück!

Anne lotst mich durch die Straßen bis zum Hostel, wo das ganze Abenteuer gestartet ist. Dort laden wir unsere Sachen ab und Anne fragt, ob’s okay ist, wenn ich das Auto alleine zurückbringe. Ich nicke verständnisvoll, sie braucht Ruhe. Also setze ich mich alleine wieder ins Auto, starte das GPS und reihe mich in den Verkehr ein. Obwohl ich alleine bin, hab ich das Gefühl, alles ist okay. Die Argentinier fahren zwar relativ ohne Regeln, passen aber viel aufeinander auf, sodass wenn mir doch ein Fehler passiert, der andere meistens korrigiert. Während ich in den vollen Straßen an der Ampel warte, es ist laut, die Sonne blecht, die Leute quasseln durcheinander und ich sitze so in meinem Auto… fühle ich mich heimisch. Obwohl es das komplette Gegenteil davon ist. Keine Ahnung wieso! Ich finde die Straße vom Autoverleih, stelle das Auto ab und springe förmlich aus dem Ding. Nochmal check, ob wirklich nichts mehr drin ist, dann will ich es zurückgeben, doch der Laden hat zu (Siesta). Na toll! Ich will das Ding einfach nur noch loswerden. Ich schreibe an die WhatsApp-Nr. und habe Glück, gleich kommt jemand, der das Auto abholt.

Ich warte noch 10 Minuten, dann kommt ein Mann und läuft um das Auto herum, sieht sich alles an. Ich gehe hin, begrüße ihn, beobachte ihn, wie er alles checkt. Seine Hand fährt über den Kratzer, wo uns die Frau mit dem Auto draufgefahren ist… mein Herz schlägt einen Moment höher, doch dann geht der Mann weiter, checkt den Benzinstand und hält dann den Daumen hoch. Alles in Ordnung. Mir fällt ein Stein vom Herzen! Ich winke noch und gehe dann schnell weg. Zu Fuß… langsam, sicher, kontrolliert… aber langsam… und so leicht! Dieses Auto war eine dermaßen große Last für mich und ich bin so froh, diesen Klotz nicht mehr am Bein zu haben. Gnade Gott demjenigen, der dieses Auto als nächstes mietet!!

Ich laufe durch die Straßen zum Hostel, genieße die Sonne, freue mich, wieder im schönen Salta zu sein. Die vergangenen Tage sind viel zu viel, als dass sie in meinen Kopf sie schon verarbeiten kann, ich schaue schlichtweg nach vorne. Im Hostel gibt es erstmal das Essen von gestern, auch Anne, die sich ein bisschen ausgeruht hat, wärmt bald ihren Locro auf. Wir beschließen, gemeinsam ins archäologische Museum zu gehen, das heute offen hat und das Chris uns empfohlen hat. Mit gefülltem Magen laufen wir in die Innenstadt zum Musem, kaufen Tickets und werden dann nach oben geführt in einen abgedunkelten Raum. Fotos sind nicht erlaubt, deshalb sind meine Erklärungen nur grob, ich weiß es nicht mehr genau.

Zuerst führt einen das Museum hin zu der Entstehung eines Vulkans, der nicht weit von hier liegt, dann über die Entdeckung der Völker, die sich dort angesiedelt haben in über 4000m Höhe. Es wird erklärt, wie sie gelebt haben, was sie gegessen haben, wie sie sich gekleidet haben, die verschiedenen Gesellschaftsschichten. Es ist hochinteressant, bis zu dem Punkt, als es um die Religion und die Götter der Prä-Inka-Gesellschaft geht.

Das folgende Thema ist ein bisschen bizarr, gehört aber hierher. Wem es zu viel wird, der überspringt ab hier bis zum Ende des Museumsberichts.

MUSEUMSBERICHT:

Sowohl das Volk der Inkas als auch deren Vorgänger hatten eine enge Verbindung zur Natur. Dort waren ihre Götter, dort war ihr Schicksal und ihre Kultur. Wenn die Natur rebelliert durch schlechtes Wetter, Naturkatastrophen oder ähnlichem, die zu Missernten und zum Leid des Volkes führen, war es der allgemeine Glaube, dass die Götter verärgert waren und dass man ihnen zur Versöhnung ein Opfer bringen muss. Meistens Coca-Blätter, Mais, Kartoffeln, oft auch ein Lama, Alpaca… und in extremen Fällen: ein Mensch.

Obwohl ich das weiß in der Theorie, durchfährt mich ein kleiner Schock, im nächsten Raum zu lesen, dass auf dem Vulkan in über 6000m Höhe perfekt konserviert drei Mumien entdeckt wurden und zwar von Kindern. Alle drei sind hier im Museum, der 6-Jährige Junge ist für die Museumsbesucher ausgestellt.

In mir wüten die Emotionen aus Interesse, Neugier aber auch Ekel, Angst und vor allem der Frage, wie diese Menschen etwas so Furchtbares tun konnten, wie das. Dazu muss man allerdings verstehen, dass diese Völker eine völlig andere Sichtweise vom Tod haben. Für die Inkas und deren Vorgänger bedeutete der Tod nichts anderes als den Übertritt in eine andere Welt, eine höhere und bessere. Es war eine Ehre für diese Kinder, in 6000 Meter Höhe gebracht zu werden, um dort den Göttern am nächsten zu sein und in deren Welt einzutreten. Offenbar wurden sie zuvor stark unter Drogen gesetzt und in der Kälte mit wenig Sauerstoff war es ein schneller Tod.

Und trotzdem ist es für mich als westlich-geprägten Mensch nicht einfach, das zu verstehen oder zu akzeptieren. Zumindest, von meinem bisherigen Wissensstand aus. Aber ich möchte es versuchen, mehr erfahren über diese Kulturen und ihre Verbindung zu Natur, zum Leben und zum Tod.

Auch wenn es mir widerstrebt, ich sehe mir den Jungen an. Man sieht nicht viel, der Großteil der Mumie ist von einem rituellen Tuch bedeckt. Aber man sieht das kleine Ärmchen, die Hände, die das Gesichtchen verdecken… alles perfekt erhalten.

Ich gehe weiter in die nächsten Räume, wo Details zur Ausgrabung und zur Bergung der Mumien beschrieben sind, sowie auch zu den anderen beiden Kindern. Geopfert wurden übrigens oft Menschen aus hohem Stand, damit es den Göttern auch würdig ist.

Es gibt eine Extra-Ausstellung zur „Königin des Berges“, einem weiteren Opfer, diesmal eine ältere Frau. Diese Mumie wurde ebenfalls in der Nähe von Salta gefunden, wurde aber viel hin- und her gereicht und so stark beschädigt, bis sie wieder zurück in die Heimat kehren konnte. Ich lese die Infotafeln, drehe mich um und erschrecke wieder leicht, als ich die Mumie sehe. Auch hier sieht man noch die zeremoniellen Tücher, allerdings in Fetzen und in schlechtem zu Stand.

Am Ende des Museums gibt es noch eine Kunstausstellung, bei der ich Fotos machen darf

Dann sind wir wieder draußen. Puh… das war intensiv.

MUSEUMSBERICHT ENDE!

Ich gehe ins Hostel für eine kurze Siesta, bevor ich mit Anne in Richtung Busterminal spaziere. Dort trennen wir uns kurz und ich kaufe mein Ticket nach San Pedro de Atacama. Dann folge ich ihr zu einem etwas höher gelegenen Platz, auf dem man eine gute Stadtaussicht hat. Wir unterhalten uns kurz, dann muss sie etwas mit ihrer Fluggesellschaft klären, die nur sehr schnelles, bürokratisches Spanisch spricht. Das stellt sogar mich vor eine Herausforderung, aber am Ende schaffen wir es doch noch, das gewünschte Ziel zu erreichen.

Abends gehen wir noch gemeinsam in eine Peña, ähnlich der, mit der ich zu Beginn mit Chris und Sara war. Die Musik ist wieder schön, die Tänzer wieder beeindruckend, das Essen wieder lecker. Ein schönes Abschluss für die gemeinsame Zeit. Danach wird es Zeit für’s Bett und für den Abschied von Anne.

Am nächsten Morgen geht mein Bus um 6 Uhr morgens von Salta nach San Pedro de Atacama… und so endet meine Zeit in Argentinien. Am 25. Februar bin ich nach Buenos Aires gekommen, am 28. Juni, verlasse ich das Land auf der anderen Seite. Ich habe alles mitgenommen, was geht, unglaubliche Natur gesehen, tolle Freunde gefunden, viele Abenteuer erlebt und musste oft kämpfen. Aber ich bin unendlich dankbar für jeden Moment in diesem wunderschönen Land und es tut weh, jetzt weiterziehen zu müssen. Aber ich bin bereit. Südamerika hat noch viel zu bieten. Zwar ist jetzt ein bisschen Eile geboten, wenn ich noch meine grobe Idee eines Zeitplans einhalten will, aber ich bereue keine Sekunde, die ich in Argentinien war!

Nächster Halt: Chile. Mein alter Feind. Aber jeder verdient eine zweite Chance, oder? Außerdem wird es diesmal anders, weil ich in Chile eine Freundin aus Deutschland treffe, die mich für die nächste Zeit begleiten wird. Ich freue mich schon riesig, endlich ein vertrautes Gesicht um mich zu haben.

Der Bus fährt los und dann heißt es:

Bye, Bye Argentinien! Bis wir uns das nächste Mal sehen.

Liebste Grüße,

Eure Jana

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