Leider klingelt unser Wecker schon wieder früh. Ich wache auf, fühle mich immer noch schlecht wegen des Fast-Unfalls und bin noch fertig von der langen Fahrt. Deshalb lasse ich zuerst alle anderen duschen und gehe als letzte ins Bad, während die anderen schon zum Frühstück gehen. Das Frühstück ist eher semi, ich esse nicht allzu viel. Danach kurze Besprechung, was heute unser Tagesziel ist. Chris möchte auf jedenfall Tilcara sehen, das nächste Dorf auf der Strecke nach Purmamarca. Das bietet sich an, am ersten Teil des Tages zu besichtigen, ich möchte gerne am Spätnachmittag in Humahuaca ankommen, um dort vielleicht noch das(den?) Hornocal zu sehen, den vierzehnfarbigen Berg. So bleiben wir ungefähr im Zeitplan, um die Iruya-Wanderung zu machen. Alle stimmen zu und wir packen unsere Sachen. Die Sonne scheint, der Tag scheint vielversprechend und tatsächlich ist der Ausblick von unserer Unterkunft nicht schlecht:

Ich frage, ob jemand anders fahren möchte, ich bin noch ein bisschen platt, Chris meldet sich und wir steigen ein. Am Vortag hatten wir in der Peña den Tipp bekommen, kurz vor 12 an der Blockade vor Tilcara anzukommen, um 12 würde sie öffnen und wir können durch. Gesagt getan. Wir sind um etwa 11:30 Uhr dort und müssen doch noch etwas warten. Chris bietet an, im Auto zu warten und das Auto dann in der Stadt zu parken, Anne bleibt ebenfalls, aber Katrine und ich ziehen daraufhin schonmal los ins Dorf. Wir überqueren die Blockade zu Fuß (Das ist kein Problem), danach einen Fluss und kommen dann in die Kleinstadt Tilcara.






Es ist ruhig. Schön ruhig. Sonst ist der Ort wahrscheinlich völlig überlaufen von Touristen, jetzt ist durch die Blockaden kaum was los. Wir schlendern durch die Straßen, entdecken weiter hinten sogar einen Fußballplatz. Da schreiben Chris und Anne, sie sind durch die Blockade und haben das Auto in der Stadt geparkt. Wir finden uns schnell und gehen dann in Richtung Stadtmitte. Der Plaza dort ist ein einziger Handwerkskunstmarkt. Man findet an vielen Ständen ein bisschen dasselbe, aber vor allem ist des bunt. Die Farben gelb, rosa, rot, blau springen einem von den vielen bunten Mützen, Handschuhe, Zopfhaltern, Armbändern, Schals und Ponchos entgegen, dass man am liebsten einen Großeinkauf machen würde.
Zuerst gehen wir aber größtenteils dran vorbei zum Mercardo Municipal, der in einer großen Halle gleich nebenan liegt. Dort werden eher alltägliche Sachen verkauft, aber wir wollen vor allem wegen des Essens hin. Katrine hat einen Tipp bekommen, dass einem hier irgendwo einfach Empanadas in die Hand gedrückt werden. Diese Verkäuferin suchen wir und wir werden fündig. Ganz hinten winkt uns eine Frau und drückt jedem eine kleine Käseempanada in die Hand. Wir beschließen, gleich zu bleiben und zu essen. Es werden noch Empanadas bestellt und Humitas – ein klassisches Gericht, dass auch in Bolivien und Peru zu finden ist. Dabei handelt es sich um ein Maispüree, eines mit Fleisch, eines ohne und stets eingewickelt in das eigene Maisblatt. Beide schmecken köstlich!




Danach spazieren wir doch noch über den Handwerksmarkt und schauen die schönen Sachen genauer an. Ich bin hier im Norden noch auf der Suche nach einem anderen Andenken. Alba hat mir erklärt, dass der Rhodochrosit, ein rosafarbener Stein, der Nationalstein Argentiniens ist und einzig und allein im Norden Saltas zu finden ist. Sie hat einen von dort… und ich will auch einen! Ich finde auch einen auf dem Markt, bin mir aber noch nicht zu hundert Prozent sicher und lasse ihn vorerst noch dort.
Es gibt hier einen Aussichtspunkt, noch eine „Garganta del Diablo“ (davon gibt es zig). Wir probieren hochzufahren, doch die Straßen sind steil, schlecht und unser Auto noch schlechter. Mir liegt die Anspannung schon im Magen, vor allem, weil die blöde Karre oft am Boden aufschleift, wenn es zu uneben ist, was hier ständig der Fall ist. An einem Punkt greifen die Reifen nicht mehr gut und wir kommen nicht mehr weiter. Auch die weitere Straße sieht nicht gerade gut befahrbar aus. Chris will versuchen, nochmal Anlauf zu nehmen, dafür steigen wir alle aus. Er rollt langsam rückwärts zurück und kommt dann mit neuem Anlauf hoch. Er schafft die Kurve und kann das Auto gerade in eine Seitenstraße stellen, sodass es wenigstens nicht mehr auf der Schräge steht. Wir beschließen nicht weiter zu fahren.
Allerdings hat Katrine das Erlebnis ein bisschen durchgeschüttelt und sie muss sich kurz setzen, Tränen kullern ihr übers Gesicht. Sie hat öfter mal ein bisschen Angst im Auto und gerade solche Strecken setzen ihr zu. Wir versuchen sie zu beruhigen. Ich verstehe die Angst, ich trage auch einen ständigen Knoten im Magen, dass dieses mittelmäßig schlechte Auto uns hier kaputt geht, hoffentlich ohne, dass uns etwas passiert, aber trotzdem auch, weil ich den Schaden dann zahlen muss. Nach einer Weile geht es ihr besser. Sie läuft aber trotzdem den Berg nach unten, wir kommen mit dem Auto nach. Oben haben wir festgestellt, dass einer der Reifen etwas Luft verliert. Wir fahren zu einer Gomeria, bei der uns ein junger Mann öffnet und sich den Reifen anschaut. Seit dem Roadtrip mit Alba kenne ich mich ein bisschen aus, für welches Problem man wohin fahren muss. Für diese Insight-Infos sind wir alle dankbar!!
Der junge Mann sieht sich den Reifen an und stellt fest, dass ein Wechsel nötig ist. In dem anderen stecken kleine Steine, deswegen entweicht die Luft. Chris hilft ein bisschen beim Hin-und Herrollen, während der andere den Reifen wechselt und den alten auch noch repariert. Fertig. Alles gut gelaufen!
Gegen halb vier wieder ins Auto, um weiter nach Humahuaca zu fahren und das (den) Hornocal zu besichtigen. Chris fährt uns raus aus der Stadt und nach einer halben Stunde Fahrt treffen wir auf die nächste Straßenblockade… die geschlossen ist. Am Anfang hoffen wir noch, dass es nur kurz ist, vielleicht haben wir Glück. Doch die Hoffnung zerschlägt sich bald, es tut sich nichts. Die anderen steigen aus, laufen herum, ich nutze die Gelegenheit für ein Nickerchen. Später steige ich auch aus, laufe umher. Anne macht Guacamole und wir halten einen kleinen, aber sehr leckeren Imbiss. Die Warterei hört nicht auf.
Mittlerweile nähern wir uns immer wieder den Leuten der Blockade, lesen die Schilder, sehen uns an, wie es aufgebaut ist. Immer wieder hören wir Musik, Klatschen, Rufen, sogar eine Art „Vortrag“ oder Motivationsrede findet statt.
Katrine beschließt irgendwann, ein bisschen spazieren zu gehen und verschwindet auf einem abzweigenden Weg. Kurz darauf erklären Chris und Anne, dass sie versuchen wollen, schonmal nach Humahuaca zu kommen, um in die Unterkunft einzuchecken, nicht, dass es nachher zu spät ist. Ich nicke und Chris gibt mir den Autoschlüssel, dann sind sie weg.
Und plötzlich bin ich allein mitten zwischen den Indigenen, die hier protestierten. Ich sehe wie friedlich alles verläuft. Kinder laufen zwischen den Beinen umher, einige Frauen kümmern sich um die Jüngeren mit Spielen. Kurz darauf gibt es Arroz con leche (Milchreis), in großen Töpfen von den Ansässigen gekocht. Jeder kommt mit seinem Becher und holt sich eine Portion für sich und die Familie ab, sogar mir bieten sie etwas an, aber ich lehne dankend ab. Sie brauchen es dringender.
Ich finde diese Menschen so unfassbar mutig. So für eine Sache zu kämpfen, tagelang auf der Straße zu leben, kaum zu essen, das ganze Leben anzuhalten um für sein Recht zu protestieren… so friedlich… ich finde es bewegend.






Aber das ist nicht die einzige Emotion in meiner Brust. Ich bin plötzlich allein. Katrine ist weg, Chris und Anne sind weg… ich stehe alleine da. Nicht, dass ich jemandem etwas vorwerfen will, die Entscheidung, vorzugehen, war absolut vernünftig und niemand könnte einen Spaziergang verwehren. Aber trotzdem fühle ich mich in diesem Moment, als sollte ich nicht alleine sein. Als sollte ich nicht die Verantwortung für dieses Auto haben, wo ich nie während meiner Reise in Südamerika Autofahren wollte, mit drei fremden Menschen, jetzt alleine, mitten in einem Straßenprotest, der unsere sämtlichen Pläne für den Abend zunichte macht.
Plötzlich wird mir klar, dass diese Proteste unsere Pläne immer wieder zunichte machen werden und mir die ursprünglich Zeit von eineinhalb Tagen Rückfahrt bis Salta niemals ausreichen werden, mit all den Hindernissen auf dem Weg. Ich müsste zusätzliche Tage zahlen und ich müsste meine Fahrt nach San Pedro de Atacama verschieben, wo ich bald eine Freundin aus Deutschland treffen soll… und das, meine Lieben, ist für mich auf keinen Fall eine Option.
Klingt jetzt hart und als käme es nicht aus meinem Mund… aber ich bin fertig mit Argentinien. Nicht falsch verstehen, ich liebe dieses Land von ganzem Herzen, aber ich bin bereit, weiterzuziehen, ich will die anderen Länder kennenlernen und ich will nicht noch einen Tag länger bleiben, ich war lange genug hier. Mein Inneres sagt mir deutlich, dass es Zeit ist!
Aber wie sage ich das den anderen? Das ich nicht die Iruya-Wanderung machen will, dass alles, was wir so schön geplant hatten in meinem Kopf gerade explodiert ist? Ich will ihnen auch nicht die Reise versauen. Jetzt fühle ich mich auch noch schuldig. Allerdings kann es sein, dass sie dann schlichtweg alle bleiben wollen und mich alleine mit dem Auto zurückschicken. Schließlich ist das allein meine Verantwortung… das jagt mir eine Scheißangst ein.
Da kommt Bewegung in den Protest und die Blockade öffnet sich. Zuerst ist die andere Seite dran. Ich gehe zur Seite, damit die Autos passieren können… und Leute, mir kommen die Tränen bei dem, was ich sehe. Alle Autos hupen, klatschen, grüßen, recken die Faust in die Luft in Unterstützung für den Protest. Niemand ist sauer oder genervt, alle unterstützen die Sache. Das hält die Protestierenden am Leben. Es ist ein sehr emotionales Erlebnis. Ich frage einen der Männer, ob es einen Rhythmus der Öffnungen gibt und er bestätigt, alle drei Stunden. Wir haben also die um 3 Uhr genau verpasst und mussten deshalb solange warten. Aber die Info ist wertvoll. Dann ist unsere Seite dran, ich gehe zum Auto und sehe, wie Katrine grade zurückkommt und ebenfalls einsteigt.
Wir passieren die Blockade, winken und fahren dann weiter nach Humahuaca, während wir Ausschau nach Anne und Chris halten. Offenbar sind sie recht weit gekommen, weil wir bis in den Ort fahren und keine Spur von ihnen entdecken.
Während der Fahrt erkläre ich Katrine grob, was in meinem Kopf vorgeht und dass ich darüber nachdenke, die Wandertour in Iruya nicht zu machen, weil ich die Sorge habe, wegen der Proteste nicht rechtzeitig zurück in Salta zu sein. Sie versteht das, aber da ich selber noch unsicher bin, bleibt es vorerst dabei. Wir finden Chris und Anne in einer Seitenstraße. Da es dort einen Markt gibt, kaufen Katrine und Anne schnell für ein Abendessen ein, dann fahren wir zu unserer Unterkunft und checken pünktlich ein. Sobald unsere Sachen drin sind, erkläre ich den anderen die Situation grob. Sie verstehen und versprechen drüber nachzudenken. Dann entschuldige ich mich auf einen Spaziergang und sobald ich außer Sichtweite bin, brechen mir die Tränen aus und ich schluchze. Mein Herz rast, meine Gedanken drehen sich, die Situation überfordert mich komplett, ich hab keine Ahnung, was ich machen soll.
Der Gedanke, alleine durch zig Staßenblockaden zurückzufahren macht mir große Angst, gleichzeitig bin ich sauer und verwirrt, wie es passieren konnte, dass plötzlich ich die mit der Verantwortung bin, obwohl ich das nie wollte, eigentlich wollte ich mit dem Bus oder gar nicht fahren… das alles wirbelt mir durch den Kopf und ich kann mich überhaupt nicht beruhigen.
Ich komme an einer Weide vorbei, in meiner Nähe steht ein Pferd. So nahe, dass ich es anfassen kann und es lässt mich auch… das gibt dem Wirbelsturm eine Pause, aber nur eine kurze. Ich kehre zurück und wir stellen fest, dass man hier nicht wirklich kochen kann, also wollen wir in die Stadt fahren, dort essen. Ich bin sterbenshungrig, ausgekühlt und fertig mit den Nerven, will mir aber nichts anmerken lassen. Wir fahren also in die Stadt in ein kleines Restaurant. In meinem Bauch rumort es, aber man kann das Klo nicht benutzen, es gibt ein Wasserleck in der Stadt. Auch das noch!
Was mich aufmuntert, ist das Essen. Diesmal hab ich den Locro bestellt… und es schmeckt so lecker, dass ich die Köchin nach dem Rezept frage. Leider verstehe ich sie so schlecht, aber ein paar wichtige Sachen höre ich doch raus und bin entschlossen, das selber nach zu kochen. Wir essen und verschwinden schnell wieder, ich muss dringend auf ein funktionierendes Klo.
Zurück zuhause setzen sich die anderen noch ein bisschen nach draußen, während ich bald im Bett verschwinde. Mir will aber einfach nicht warm werden, sodass ich irgendwann doch noch meinen guten Freund den Schlafsack hole. Doch ich kriege die ganze Nacht kein Auge zu. Mein Herz rast, meine Gedanken kreisen.
Was soll ich tun?
Liebste Grüße,
Eure Jana
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