Erst in den Morgenstunden schlafe ich ein, wache aber bald wieder auf. Die anderen sind draußen. Ich gehe zu Chris und Anne, Katrine telefoniert gerade, und erkläre, dass ich nicht nach Iruya fahren werden, sondern das Auto heute schon zurück nach Süden gehen muss. Alles andere wird mir nervlich zu viel. Gespannt warte ich auf die Reaktion, die super entspannt ausfällt. Anne wäre sowieso auch heute schon zurück nach Süden, wenn dann eben im Bus, sie muss einen Flug in Salta erwischen. Außerdem würden sie mir nie etwas zumuten, wobei ich mich nicht wohl fühle. Dankbar lächle ich die beiden an und der schreckliche Knoten in meinem Magen löst sich. Ich kann die Tränen nicht zurückhalten, aber die beiden fangen mich auf. Auch Katrine später hat vollstes Verständnis. Wir machen aus, heute zum Hornocal zu fahren und danach zurück nach Tilcara, wo  es uns allen gefallen hat und wo wir zwei Nächte bleiben und einfach den Ort genießen, ganz entspannt. Mir fallen Steine vom Herzen und ich erkenne, dass ich mit fabelhaften Leuten unterwegs bin. Wir packen unsere Sachen, ich bitte Chris wieder,  zu fahren weil ich kaum geschlafen habe und unmöglich verantwortungsvoll fahren könnte. Er nickt und kurz darauf sind wir auf dem Weg zum Hornocal.

Wir biegen die schottrige Zufahrtsstraße ein, als uns eine ältere Frau von der Seite winkt und penetrant auf uns zugeht. Wir halten an, sie möchte mitfahren. Es ist keine Frage, es ist mehr eine Aufforderung, die keine Nein duldet. Wir sind vier, das Auto ist komplett zugepackt, aber mit ein bisschen Hin und Her schieben quetschen wir die Frau schließlich noch zu mir und zu Katrine auf die Rückbank. Okay, jetzt also zum Hornocal.

Die Fahrt geht schon bald bergauf und wir bekommen den Blick auf die traumhaften Berge, die teilweise tiefrot und zitronengelb abwechselnd sind. Es ist so wunderschön. Ich bin immer noch ein wenig erschüttert und nahe am Wasser gebaut von meinem Nervenzusammenbruch, sodass ich eher still bin, aber die schöne Natur macht es schon besser. Das Auto windet sich Kurve um Kurve nach oben und ich bin froh, dass ich nicht fahren muss.

Um die nächste Kurve gibt es allerdings eine Überraschung:

Meine ersten Vicuñas! Sind die süß! Etwa so groß wie ein Reh, große dunkle Augen, ein rundliches Gesicht und große bewegliche Ohren. Alle freuen sich über die Sichtung.

Schließlich kommen wir oben bei einer Schranke an. Die Frau steigt aus, bedankt sich und meint, wir können einfach durchfahren, es gibt auch einen Weg, den man ein Stück weit nach unten und so näher ran kann. Zahlen müssen wir nichts. Später finden wir heraus, dass sie die zuständige Person ist, die die Eintritte kassiert und die Leute über den Ort informiert. Das/Der Hornocal öffnet täglich gegen 10… oder eben dann, wenn diese Frau eine Mitfahrgelegenheit nach oben erwischt.

Wir fahren das letzte Stück und parken am Aussichtspunkt… oh wow… was für ein Anblick:

Der Berg der vierzehn Farben. Theoretisch kann man solche Landschaften viel hier im Norden sehen, aber in diesem Fall ist es eben besonders ausgeprägt. Die verschiedenen Farb- und Gesteinsschichten sind das Produkt aus sich abgelagerten Seen und Lagunen von über 40 Millionen Jahren Entstehungszeit und die Plattentektonik sorgte für die aufgefaltete Form.

Die drei anderen wollen den kurzen Wanderweg gehen, ich bin so kaputt von meiner schlaflosen Nacht, dass ich sie ziehen lasse, setze mich stattdessen an einen windstillen Ort und genieße die Aussicht. Als sie zurückkommen, sind sie ganz schön aus der Puste. Ein „kleiner“ Wanderweg auf über 4350m Höhe ist schon was anderes, als auf 1000 oder weniger Metern Höhe. Es ist zwar sehr schön, aber auch echt kalt, sodass wir bald wieder fahren.

In Humahuaca müssen wir nur kurz an der Blockade warten, gegen 12 öffnet sie. Jetzt, wo wir die Zeiten kennen, ist es etwas leichter zu navigieren. Anne hat uns in Tilcara ein Haus reserviert, für uns vier ein bezahlbarer Preis und ein schöner Ort. Allerdings können wir wegen der Blockade noch nicht hin. Wir fragen nach, ob sie um drei öffnen, doch sie schütteln den Kopf. Um sechs. Uns fallen fast die Augen raus. Wieso das denn?! Heute ist Samstag, viel Touristenverkehr, da wollen sie den Druck verstärken. Hm, ergibt Sinn. Na gut, damit verbringen wir den Tag in Tilcara. Wir stellen das Auto ab und holen uns an einem Straßenstand Tortas Fritas, eine Art gebackene Teigtasche in die man sich alles Mögliche füllen lassen kann. Ich nehme die Variante mit Champignons und Käse, sehr lecker. Dazu gibt es einen heißen, dickflüssigen Saft, der sehr süß und beerig schmeckt, auch richtig lecker, vor allem die Kombination. Das Essen hier im Norden ist eben einfach nochmal was anderes.

So schön es ist, dass die Situation geklärt ist, aber ich brauche trotzdem etwas Zeit für mich. Ich frage die anderen, ob es okay ist, dass ich mich ein bisschen absetze. Ich gehe einfach in den Park zum Markt, setze mich dorthin und genieße ein bisschen die Sonne. Alle nicken, klar kein Ding, wir treffen uns einfach so ein 2h wieder. Passt. Ich gehe los zum Park. Dort finde ich eine ruhige Bank, ein bisschen in der Sonne, setze mich und… sitze einfach da. Sehe mir die Leute an. Lass den immer noch aufgestauten Tränen ihren Lauf und atme durch. Wird schon wieder alles gut. Kurz darauf kommt Katrine vorbei. Sie hat die anderen verloren, aber macht nix, sie wollte sowieso ein paar Sachen für sich erledigen. Sie hätte Lust, sich hier ein Tattoo stechen zu lassen von einer Frau, die wir beim letzten Mal hier kennengelernt haben. Ich nicke, coole Idee. Sie verschwindet kurz, kommt dann aber wieder, setzt sich und wir beginnen erst ein oberflächliches Gespräch, dass dann immer weiter in die Tiefe geht…und mir richtig gut tut.

 Katrine ist wirklich ein besonderer Mensch, vor allem dafür, dass sie erst 21 ist. Ja, ich weiß, ich bin auch nicht viel älter, aber ich finde gerade in den Zwanziger Jahren gibt es himmelweite Unterschiede zwischen jedem Jahr, was den Reifegrad betrifft. Katrine hat genau die Feinfühligkeit, die ich gerade brauche. Ich fasse das Vertrauen, das mir bis gestern gefehlt hat. Glücklicherweise kann auch ihr eine Schulter sein. Dieser Roadtrip kostet uns alle viel mehr Kraft, als wir gedacht hätten. Das Problem ist vor allem, dass unser Auto einfach nicht gut ist. Dadurch, dass es so tief liegt, schleifen wir ständig über Steine oder unebenen Teer, was jedes Mal uns allen eine Scheißangst einjagt. Das macht uns allen zusätzlich Druck… aber es zu teilen hilft ungemein. Schließlich kommen Chris und Anne noch dazu. Wir schlendern nochmal über den Markt und fahren dann ein Stückchen weiter zu einem Park, in dem regionale Pflanzen (hauptsächlich Kakteen) ausgestellt sind und eine alte Inkastätte nachgebaut wurde. Wieder teilt sich die Gruppe ein bisschen auf, jeder sucht auch ein bisschen Ruhe für sich, Katrine und ich setzen unser Gespräch fort und schlendern durch die Kakteen.

Weiter unten gibt es sogar ein paar Lamas:

Dann erklimmen wir den kleinen Hügel, wo ein paar Ruinen nachgebaut sind. Einige wenige echte sind kaum noch zu sehen:

Man kann auch in eines der nachgebauten Häuser reinschauen. Dort sieht man, das die Leute Kaktusholz (das Innere von abgestorbenen Kakteen) als Baumaterial verwendet haben. Das haben wir auch ganz viel auf den Handwerksmärkten gesehen in Form von Anhängern, Skulpturen, Bilderrahmen oder Möbelstücken. Sieht toll aus:

Der Ausblick von dort ist wunderschön, die Sonne steht schon tief. Wir wollen es langsam wieder packen, damit wir rechtzeitig durch die Blockade kommen.

Auf der Rückfahrt ist wieder so eine holprige Straße und wieder schleift das Auto auf, was mich zusammenzucken lässt. Kurz danach riecht es nach Benzin. Ich lasse Chris anhalten, schaue unters Auto… dort läuft das Benzin im Rinnsal auf die Erde. So eine Scheiße aber auch!!

Ich google gleich nach einem Mechaniker, wir fahren aber erstmal weiter raus aus dem Ort zur Tankstelle, nahe der Blockade, dort soll es auch einen Mechaniker geben. Dort steige ich wieder aus und frage mich durch. Der Tankwart zeigt auf ein Gebäude auf der anderen Straßenseite, ich gehe hin, treffe dort eine recht unfreundliche Frau, die schickt mich weg. Auch wenn es so aussah, als gäbe es dort etwas… aber okay. Ich laufe zur Blockade, frage freundlichst die Leute dort, die deuten ebenfalls dorthin. Ich erkläre, dort wollte mir niemand helfen. Das finden sie komisch, dann zeigen sie auf die Gomeria, bei der wir am Vortag schon waren – Da, da ist gerade der junge Mann. Ich laufe ihm hinterher, erkläre die Situation, er zeigt ebenfalls auf den anderen Mechaniker, aber er kann es sich auch mal anschauen. Das reicht mir, ich laufe zum Auto und leite sie wieder hierhin zurück.

Wir steigen aus und der junge Mann legt sich unter’s Auto. Ich bin wieder vollkommen ruhig, denke kühl und klar, ich hatte meine Phase schon. Katrine findet es so unfassbar, dass es eigentlich schon wieder lustig ist. Diesmal ist es Anne, die die Fassung verliert und sich zurückzieht, um den Nervositätstränen freien Lauf zu lassen.

Während der Auto-Untersuchung laufe ich zur Blockade und erkläre den Leuten dort unsere Situation. Wir werden die nächste Öffnung wahrscheinlich nicht schaffen, weil unser Auto spontan kaputt gegangen ist und die Reparatur länger dauern kann. Ob sie für uns ein Auge zudrücken können und uns auch nach sechs Uhr noch durchlassen würden. Die Frauen erklären, das ist eine Gemeinschaftsentscheidung vom ganzen Block und jeder Fall wird individuell betrachtet. Wir müssen dann eben vorkommen und uns unserem Schicksal ergeben. Das finde ich fair und gehe mit der Info wieder zurück zu den anderen.

Der junge Mechaniker kommt wieder hoch und erklärt, dass wir ein Loch im Benzintank haben. Dafür müssen wir aus einem Lubricentro eine Paste kaufen, damit kann er uns das verschließen. Der nebenan – wo eigentlich der Mechaniker sein sollte (keine Ahnung, warum die uns einfach weggeschickt hat!) – hat es nicht. Es gibt noch einen anderen in der Stadt. Kurzentschlossen mache ich ein Foto von dem Produkt und laufe dann gemeinsam mit Chris in die Stadt zum zweiten Lubricentro. Wir kommen an und stehen vor verschlossenen Türen. Es gibt keine Handynr., keine Öffnungszeiten. Ich schreibe Katrine und Anne, daraufhin erfahren wir, dass der junge Mechaniker selbst mit dem Motorrad los will in den nächsten Ort, um es dort zu kaufen. Genau in dem Moment, sieht Chris jemandem aus dem Haus kommen und spricht den Mann spontan an. Es ist tatsächlich der Ladenbesitzer und er verkauft uns die Paste. Ich stoppe die Motorrad-Aktion per Handy und wir laufen zurück.

Währenddessen erkläre ich Chris, falls er auch mal die Nerven verlieren möchte, das ist absolut okay. Durch all den Stress, die Unsicherheit, die vielen Emotionen bewahrt er stets die Ruhe und findet die richtigen Worte für uns drei Mädels. Er schiebt es auf seine Kindheit mit seiner Schwester, das war lehrreich. Es geht ihm gut.

Wir kommen an, geben die Paste an unseren Wundermechaniker und halten den Atem an, bis er wieder aus dem Auto hervorkriecht und den Daumen nach oben reckt. Alles gut. Noch etwa eine halbe Stunde trocknen lassen, dann sollte es wieder gehen. Wir atmen durch und bemerken gleichzeitig, dass sie die Straßenblockade öffnen. Schnell fragen wir, ob wir es auch auf der anderen Seite der Blockade trocknen lassen können, der Mechaniker nickt. Wir springen ins Auto und reihen uns in die Schlange ein. Katrine und Anne waren währenddessen in der Stadt und haben Empanadas gekauft. Sie kommen gerade zurück und steigen ebenfalls ein, alle sind erleichtert, dass das Leck geklebt ist. Plötzlich fährt das Auto vor uns rückwärts. Hinter uns steht ein LkW, kein Platz, Chris will hupen… doch die Hupe ist kaputt. Es kracht und das Auto fährt in uns hinein. Wir sind fassunglos!!

Instinktiv springe ich aus dem Auto, bereit dem Kerl vor uns ins Gesicht zu springen, da blicke ich in ein Auto voller Mädels, die mich tiefentschuldigend anschauen. Die Fahrerin kommt raus, es tut ihr so leid, sie gibt mir gleich ihren Kontakt und ihre Versicherung und ist sehr freundlich. Ich fahre schnell wieder runter und kläre alles mit ihr, bedeute den anderen nebenbei, sie sollen über die Blockade fahren, ich komme auf der anderen Seite dazu. Letztendlich ist nicht viel mehr passiert außer einem Kratzer, der bei unserem Auto eh kaum auffällt.

Wir fahren nach Hause und ich beschließe, auch auf Chris‘ Anraten, nicht aktiv zu werden, sondern das Auto einfach so abzugeben. Ich stimme zu. In Deutschland ein No-Go, aber hier wusste der Vermieter wahrscheinlich, was für einen Schrott er uns so billig angedreht hat und wird am Ende froh sein, wenn das Auto einfach wieder in Salta ist. +/- Kratzer.

Kurz darauf stehen wir vor unserem Haus. Ja, Anne hat uns ein Haus angemietet, für uns vier ist der Preis absolut fair und wir haben ein bisschen Ruhe von dem Stress. Es heißt „Casa de Joaquin“… der Hausherr ist Kater Joaquin, der uns alle herzlich willkommen heißt und gleich von einem Schoß zum anderen springt. Wir kochen, essen, versuchen diesen Tag zu verarbeiten, gehen früh ins Bett. Was für ein Trip!!

Liebste Grüße,

Eure Jana

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