Beim Frühstück spricht mich ein anderer Gast auf nett auf Englisch an. Wir kommen ins Gespräch, stellen uns vor, frühstücken zusammen. Sein Name ist Robert, er ist Kanadier, organisiert, schreibt und spielt Musicals (Klavier), ist schon sehr viel gereist. Schon ein Jahr durch Deutschland getourt. Wir unterhalten uns richtig gut und beschließen, uns abends nach unseren jeweiligen Tagesausflügen nochmal zu treffen. Ich freu mich, er wirkt sehr nett. Und schon fühl ich mich nicht mehr so einsam. Danke für Robert, Fortuna.

Zum Nationalpark fahre ich übrigens zum ersten Mal mit dem Stadtbus. Für 5 Real (ca. 1€), für 30 min Fahrt… ich wünschte, ich könnte es öfter so machen, es ist wahnsinnig günstig und qualitativ nicht schlecht. Aber es gibt wirklich überhaupt keine Fahrpläne, weder online noch an den Stationen, man muss wissen, welche Linie wohin fährt, und wo genau man aussteigen will. Und da ich das als Nichtlokale nicht weiß, bin ich aufgeschmissen. Hinzu kommt, dass in Bussen öfter mal Taschen verschwinden oder Ähnliches. Diese Linie finde ich im Internet sehr gut beschrieben (weil sie zu einem der touristischsten Ziele auf diesem Kontinent fährt), deshalb ging’s. Der Fahrer sagt allerdings auch keine Haltestellen an, es wird nichts angezeigt… Der Park ist die Endstation und zurück verfolge ich auf Google Maps ungefähr, wo ich bin und steige dann willkürlich irgendwo aus, zufällig ist es richtig.

Als ich ankomme, will ich eigentlich gleich wieder umdrehen. Die Massen an Menschen schrecken mich jetzt schon ab. Aber mal wieder bin ich für diese Attraktion hierhergefahren, natürlich stelle ich mich am Ticketautomaten an. Was hab ich auch erwartet? Hochsommer, Samstag, strahlendes Wetter.

Ich bin um 11 Uhr da, kriege aber nur ein Ticket für 12:30 Uhr. Ich überlege kurz, ob ich nicht jetzt schnell zum Vogelpark fahre, aber es wäre zu kurz. Bis ich dort bin, dort mein Ticket habe, wieder zurück bin… und wenn man sein Zeitfenster hier verpasst, ist es nicht gut!

Also warten. Wenigstens ist es schön schattig, da sind die Südamerikaner  eigentlich überall gut ausgestattet. Ich tippe einen Blogeintrag auf dem Handy (bah, nervig) und so geht die Zeit schnell rum.  Allerdings fliegt mir eine kleine Überraschung zu, als ich so da sitze, still und über mein Handy gebeugt:

Ich glaube, ich hab noch nie so lange Personenleitsysteme gesehen… die so voll waren. Es ist irre. Insgeheim gebe ich schon auf, dass das noch schön werden kann. Wie soll man so noch die Natur genießen.  Während wir warten, gucke ich mir die Leute an. Ich trage helle Sportkleidung, meine Touri-Käppi und trage Sportschuhe. Fast alle anderen Frauen hier sind perfekt gestylt, tragen ein wunderschönes Outfit und Sandalen oder Haviannas. Als würden wir jetzt alle ins Musical gehen oder in einen Club. Wofür? Na, für das perfekt Instagram-Bild natürlich.

Nacheinander werden wir in Doppeldeckerbusse gestopft, die dann nochmal ein ganz schönes Stück weiter in den Park fahren. Unterwegs bittet die Infostimme, keine Tiere im Park zu füttern. Ich frage mich, ob irgendjemand ernsthaft glaubt, man würde auf diesem Massenausflug noch Tiere sehen. Überall hängen Werbeplakate mit einem Leoparden, die man hier wohl sehen könnte. Na, klar! Also wenn ich einen sehe, dann werde ich dem sofortigen Instinkt widerstehen und ihn nicht sofort streicheln,  füttern und mit heimnehmen. Danke für den Tipp. Merkt man, dass ich genervt bin, von den Leuten?

Wir kommen an. Vor uns der nächste Bus mit Touris, hinter uns der nächste Bus mit Touris… es gibt keinen ruhigen Moment, man schwimmt immer im Strom. Eins nach dem anderen werden wir von Ausguck zu Ausguck geführt. Während wir laufen merke ich, dass ich diejenige bin, die offensichtlich falsch gekleidet ist. Hatte irgendwie mehr Wanderweg erwartet, wenn ich das Wort „Trail“ höre. Aber tatsächlich kann man den Weg komplett in Sandalen/FlipFlops laufen, auch Kinder und ältere Leute… alles ganz leicht, damit die Masse bequem hin und zurückkommt. Und man nicht zu verschwitzt auf dem Instagram-Foto aussieht.

Dennoch… der erste Ausguck auf dem man die ersten Wasserfälle sieht, ist schon ziemlich schön. So ein Wasserfall ist einfach ein wahnsinnig schönes Naturvorkommen… und gleich sehe ich die größten der ganzen Welt. Ich vergesse meinen Ärger ein bisschen und versuche es, so viel wie möglich zu genießen. Man hört das Rauschen schon von Weitem. Tiere sieht man – außer den Schmetterlingen und den Vögeln – nicht wirklich, bis auf das hier:

Ich war überrascht, dass sie so ruhig war, ich war recht nah dran mit der Kamera. Angststarre oder Gewohnheit?

Man läuft stehts berg ab und kommt dann irgendwann an der Hauptaussichtsplattform an.

Ich bin baff: Die Wasserfälle sind gewaltig und atemberaubend schön… die Masse an Menschen ist gruselig:

Allerdings muss ich zugeben, dass die Aussichtsplattform sehr schön gebaut ist. Von ganz vorne kann man wirklich schön mitten in die tosenden Wasserfälle schauen.

Wer das auch mal machen möchte, dem würde ich fast empfehlen, das Geld in die Hand zu nehmen und eine Bootstour buchen. Man ist einfach etwas abseits und kann das Naturerlebnis hautnah erleben… hab’s im Nachhinein fast ein bisschen bereut, das nicht gemacht zu haben, aber natürlich kostet es auch seinen Preis. Den Hubschrauber finde ich übertrieben.

Ich lasse mich langsam von der Masse auf die Plattform schieben. Was dort passiert ist nach ein paar Sekunden kaum noch aushaltbar. Es dreht sich wirklich alles nur um das perfekte Instagram-Bild. Es wird überall nur posiert, man versucht, schnell ein schönes Bild zu machen, bevor wieder Menschen durchlaufen und das die komplette Plattform entlang, auf so engem Raum entsteht 1000000-Mal ein und dasselbe Bild… ähm interessiert sich hier noch jemand für die Wasserfälle an sich oder hat Instagram unsere Gesellschaft schon so zerstört? Ich frage mich ernsthaft, wie viele Leute hier noch herfahren würden, wenn keine Handys und Kameras erlaubt wären.

Während ich mich langsam nach vorne treiben lasse, manchmal freundlich stehen bleibe, bis das Foto entstanden ist (übrigens auch von heulenden Kindern), hat es eine rundliche Frau mit blauem Oberteil hinter mir besonders eilig. Ständig ertönt ein genervtes Stöhnen oder Klicken mit der Zunge. Ich merke, sie will sich vorbeidrängeln, um schneller vorne an DEM Foto-Spot zu sein, was auf dem engen Platz wirklich fast unmöglich ist. Zuerst bin ich noch sauer, danach habe ich fünf Minuten total Spaß dabei, sie immer wieder mit meinem Rucksack zu blockieren, sobald sich eine kleine Lücke ergibt. Irgendwann schafft sie es doch noch und drängelt sich mit Freundinnen im Schlepptau vor. Ich schüttle den Kopf.

Trotz der Unannehmlichkeiten verbringe viel Zeit hier. Neben den beiden „Menschenstraßen“ stehen die Fotografierer und Beobachter am Rand und ich bleibe immer wieder mal stehen, wenn sich eine Lücke ergibt.

Denn das, wofür ich eigentlich hier bin, ist wirklich ein unglaubliches Schauspiel. Sowas hab ich noch nie gesehen und vor allem: gespürt. Diesen Ort muss man wirklich mit allen Sinnen wahrnehmen, aus nächster Nähe zu den Fällen liegt ein wunderbar angenehmer Sprühnebel in der Luft, der die brennende Hitze verschwinden lässt. Ich entdecke eine kleine Familie, die in Richtung der Wasserfälle ein Gebet spricht. Das gefällt mir. Ich stelle mich in die Lücke daneben und schließe auch für einen Moment die Augen und atme tief ein. Es ist super.

Fast vorne angekommen, beschließe ich, nicht bis ganz vorzugehen, dort wird es nur unangenehm. Aber für ein paar gute Aufnahmen reicht es hier… und ich kann stehen bleiben. Zwar werde ich immer wieder von hinten angerempelt, aber der Rucksack fängt alles ab. Mein treuer Freund. Ich stehe einfach da und lasse den Anblick auf mich wirken: Aus den viele Wasserfällen tosen solche Massen in die Tiefe, dass es fast angsteinflößend ist…ja, so kann sie auch die Natur. Die üppige Vegetation daneben hat die besten Bedingungen und das sieht man auch. Die Schönheit des Ortes lässt mich den Preis wirklich vergessen. Ich schaue nach oben. Über den schwitzenden Touristen kreisen die Vögel und lachen uns aus. Ich hoffe es zumindest.

Was ich nämlich wirklich bescheuert finde, ist hier Geld ins Wasser zu werfen, als Glücksbringer. Ich verstehe es ja an Brunnen, wie dem Trevi-Brunnen in Rom: Das Geld kommt… den Stadtarbeitern zugute? Bin mir grade nicht mehr sicher, aber iwie hat das weggeworfene Glücksgeld hier noch einen Zweck. Und die Geste ist ja auch schön… aber hier?? Ich weiß nicht, muss man nur noch einen Eimer Wasser an den Straßenrand und plötzlich bin ich reich? Wasser – da muss Geld rein! Bringt Glück… Gib’s einem Obdachlosen, davon haben beide mehr.

Irgendwann reicht’s mir dann doch wieder und ich reiße mich los. Der Rückweg verläuft genauso, wie der Hinweg: Durch ein irrelanges Personenleitsystem irgendwo im Nirgendwo, bis man in einen Bus gesteckt und weitergekarrt wird. Es ist fast 16 Uhr, als ich zurückkomme, letzte Hoffnungen auf den Vogelpark werden zerstört (schließt um 16:30).

Im Hostel schreibe ich Robert, ob wir abends zusammen essen wollen. Ich will noch Blog schreiben und meine nächsten Tage organisieren, aber ich merke schon, dass ich Hunger habe. Robert sagt zu, schlägt aber vor, dass wir uns jetzt gleich am Pool treffen. Ich besiege den menschenscheuen Zwilling und wir haben eine fantastische Abkühlung im Pool. Wir reden über Gott und die Welt und ich höre staunend seinen Geschichten und Erlebnissen zu. Dagegen kann ich wirklich nichts Spannendes erzählen. Noch nicht. Später gehen wir in typisch brasilianisches Restaurant und essen Ananas mit Zimt, etwas, was wir nicht definieren können, aber wie Kartoffeln schmeckt, Käse mit Honig und fantastisch gewürzte Fleischspieße… Hühnerherzen unter anderem… Es ist wahnsinnig lecker!! Ausklingen lassen wir den Abend auf seinem Balkon ausklingen mit einer schönen Aussicht über die Stadt und den Nachthimmel.

Robert ist eine echte Inspiration. Er weiß genau, was er will, was er kann und kennt seinen Wert. Seine Art, sein Lebensgefühl, seine PErspektiven sind ein Vorbild. Und er hat mir aus der Einsamkeit herausgeholfen, als ich es wirklich gebraucht habe. Robert, if you read this, it was an honor to meet you! Your’re awesome!!!

Ein ereignisreicher Tag geht zu Ende und mit ihm mein Besuch in Iguacu.

Morgen geht es weiter in den Süden Brasiliens.

Eure Jana

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One response

  1. Krasse Story. ich war ja schon zweimal am den Wasserfällen, einmal Anfang September und einmal Ende Oktober. verglichen mir dem, was du schreibst, war ich da wohl komplett alleine 😂

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